Raum für Kunst: Ankermieter gegen Galeristen
Kunsthändler der Hauptstadt fürchten um die Vielfalt durch steigende Immobilienpreise. 100 von 400 Galerien in Berlin sind wirtschaftlich aus eigenen Mitteln überlebensfähig.
Schon wieder ein neuer Rekord auf dem Kunstmarkt: 41 Milionen Euro erzielte kürzlich ein Bild von Gerhard Richter bei einer Auktion, kein anderes seiner Werke war je teurer. Bei solchen Umsätzen sollte sich die Kunstszene eigentlich nicht vor einem Boom auf dem Berliner Immobilienmarkt fürchten, sollte man meinen. Doch die Galeristen der Stadt warnen neuerdings, dass die künstlerische Vielfalt verloren gehen könnte.
Denn die spektakulären Auktionen prägen zwar das Image des Berufsstandes, sind aber nur die Spitze des Eisbergs: „Das Gros unserer Arbeit besteht darin, junge Künstler aufzubauen und zu fördern. Davon kann man keine teure Miete bezahlen“, erklärt Anemone Vostell vom Landesverband Berliner Galerien.
„Ich sehe durchaus, dass die Vielfalt gefährdet ist“, meint auch Wolfgang Tammen. Er unterhält seine Galerie seit vielen Jahren in der Hedemannstraße nahe dem Jüdischen Museum. „Je teurer die Miete, desto mehr muss sich der Galerist Gedanken machen, was er anbietet“, sagt Tammen.
Für die betroffenen Kollegen heiße das in der Tendenz, mehr Werke vom Sekundärmarkt zu offerieren. Bilder der klassischen Moderne vor allem. Die schon etablierten Künstler könnten dem Primärmarkt mit seinen Werken frisch aus dem Atelier damit buchstäblich den Raum nehmen.
"Auf Salongalerie machen"
Eine andere Strategie sei, „auf Salongalerie zu machen“, hat Werner Tammen beobachtet. „Das heißt, nur für das Wochenende spezielle Räume anzumieten in der Hoffnung, in dieser Zeit den Verkauf zu erzielen, den man braucht.“
Seine eigene Arbeit sieht Tammen allerdings nicht von der Entwicklung auf dem Immobilienmarkt betroffen. „Viele Vermieter sind froh, wenn sie einen guten Ankermieter im Haus haben“, sagt er. Das seien Gewerbe mit gutem Programm, die außerdem für „Lauf“ sorgen. 100 bis 200 neue Leute bringe er mit seinen Ausstellungen alle sechs bis sieben Wochen ins Haus, sagt Tammen. Außerdem entwickle sich die Gegend rund um den ehemaligen Blumengroßmarkt in seiner Nähe sehr gut.
„Dort wurden die Grundstücke nach Konzept vergeben“, berichtet er. In einer Mischung aus ökonomischen und ideellen Gesichtspunkten ist nun unter anderem ein Wohnatelierhaus mit 20 Ateliers und 70 Wohnungen geplant.
Freiräume müssen erhalten bleiben
Dorothée Nilsson sieht es im eigenen Interesse Berlins, „zur Bewahrung der weltweiten Anziehungskraft und Authentizität besonders für die Kunstszene sicherzustellen, dass die Mietpreise nicht ins Unermessliche steigen“. Die Schwedin leitet seit fünf Jahren den Berliner Standort der internationalen „Grundemark Nilsson Gallery“ mit Schwerpunkt auf skandinavischer Fotokunst. „Als wesentlicher Bestandteil einer einzigartigen Kreativwirtschaft in der Stadt müssen Freiräume besonders für internationale Künstler und Subkulturen erhalten bleiben“, sagt sie.
Sonst könnte eine Situation wie in New York entstehen, wo viele Kunstschaffende und ihre Galerien wegen steigender Preise aus Manhattan wegziehen mussten – und nur diejenigen übrigblieben, die sich den Kauf einer Immobilie leisten konnten.
Immerhin 100 von 400 Galerien in Berlin sind wirtschaftlich aus eigenen Mitteln überlebensfähig, hat das Institut für Strategieentwicklung (IFSE) in einer Umfrage 2013 ermittelt. Die Verteilung von „emerging artists“ und etablierten Künstlern liegt bei etwa zwei Drittel zu ein Drittel. Damit vertreten Berliner Galeristen mehr junge und (noch) nicht etablierte Künstler als das im Bundesdurchschnitt der Fall ist. Fast die Hälfte erziele den größten Umsatzanteil mit Verkäufen an Sammler aus anderen Teilen Deutschlands, so die Umfrage.
Viele Immobilienbesitzer sind der Kunstszene wohlgesonnen
Diese Situation ist der Geschichte der Stadt geschuldet. „Wir haben definitiv den Standortnachteil, dass das Klientel im Bürgertum immer noch nicht da ist“, sagt Werner Tammen. Er nennt ähnliche Zahlen wie das IFSE: 30 Prozent des Umsatzes würden die Galerien in der Stadt erzielen, 70 Prozent bei Messebeteiligungen außerhalb. Dort würden die Galeristen dann vom enorm positiven Image der Stadt profitieren. Es wirkt auch auf die Kunstschaffenden zurück: „Internationale Künstler kommen in die Stadt, weil sie Berlin im Lebenslauf stehen haben müssen“, sagt Tammen. Das Reizvolle für sie: „Hier können Künstler sich einmischen, hier kann man Kunst noch etwas ausrichten.“
Unter den Immobilienbesitzern gibt es wiederum immer noch viele, die der Kunstszene wohlgesonnen sind und günstige Mieten verlangen, sagt Dorothée Nilsson. „Die Frage ist aber, ob das so bleibt.“ Nilsson macht auf die Funktion der Galerien als Quartiersentwickler aufmerksam. Nach dem Motto „Send in the Clowns“ würden sie als erste urbanes Niemandsland erobern – „und dann ziehen alle anderen dorthin“.
Das bestätigt Anemone Vorstell vom Landesverband Berliner Galerien: „Die Auguststraße wäre nicht das, was sie heute ist, wenn sich die Galerien nicht irgendwann dort niedergelassen hätten.“ Kunstförderung ist in diesem Sinne also auch Stadtentwicklung und so sollte die Politik das Thema angehen, sagt Vostell: „Wenn die Bezirke einen Bebauungsplan aufstellen, dürfen die Galerien nicht vergessen werden. Fünf Prozent der Flächen sollten für die Kreativwirtschaft vorgesehen werden“, fordert sie.
Eine Gelegenheit, die Galerien der Stadt kennenzulernen, gibt es wieder vom 1. bis 3. Mai beim „Gallery Weekend“. Um sich individuelle Rundgänge zusammenzustellen, kann man unter gallery-weekend-berlin.de eine Karte herunterladen, auf der die beteiligten fast fünfzig Galerien verzeichnet sind.
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