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Ohne Ecken und Kanten. Bauen im Einklang mit der Natur – dieses Haus in Wannsee gibt das gute Beispiel.
© Promo/Tobias Hein

Plusenergiehäuser: Alles fließt

Das Architekturbüro Graft setzt mit zwei Plusenergiehäusern in Wannsee Maßstäbe für ein nachhaltiges Lebenskonzept.

Noch darf man sich die viel gepriesenen und wenig gebauten Plusenergiehäuser nicht als autarke Inseln der Glücksseligen vorstellen, deren Bewohner alle Leitungen nach außen gekappt haben und sich angesichts ständig steigender Versorgungspreise bequem zurücklegen. Aber der Weg ist vorgezeichnet. Beispielsweise durch Projekte wie Holistic Living (auf Deutsch: ganzheitliches Wohnen).

So zeitgemäß benannt sind zwei Häuser in Wannsee, die auf dem ehemaligen Don-Bosco-Areal soeben bezugsfertig werden. Die Architekten von Graft haben ein Einfamilienhaus und ein Doppelhaus gebaut, die alles in sich vereinen, was derzeit im Nachhaltigkeitssektor state of the art ist. Als potenzielle Mieter kommen Menschen infrage, die aus Überzeugung umweltbewusst leben – und sich einen gewissen Wohnstandard leisten können.

Zunächst treten einem die beiden Häuser an der Max-Liebermann-Allee als Villen vor Augen, die sich von ihren konventionelleren Nachbarn durch Eleganz und Dynamik doch ziemlich unterscheiden. Die horizontalen Lamellen der Fassaden aus Oregon Pine umlaufen in weichen Rundungen Ecken und Kanten. Hier und da eine schräg angeschnittene Wandkante setzt wirksame stilistische Akzente.

Bei der Holzbox, die über einem gläsernen Erdgeschoss schwebt, handelt es sich um einen Typengrundriss, den man länger oder kürzer bauen kann, je nachdem, wie viele Zimmer benötigt werden. Das Erdgeschoss mit dem um einen kompakten Treppen- und Küchenkern fließenden freien Grundriss holt die Natur ins Haus und öffnet sich über verschiebbare Glaswände mit großer Geste zum Garten. Zur Straße hin gibt sie sich eher verschlossen. Der Wohnbereich ist außerdem um zwei Stufen abgesenkt und korrespondiert mit dem Garten.

Balken aus Holz, Wärmedämmung aus Zellulose

Das Obergeschoss weist die intimeren Räume mit Blick ins Grüne auf und bietet Rückzugsmöglichkeiten. Unter der Auskragung des Obergeschosses liegt an der Straße jeweils ein geschützter Außenraum mit Ladestation für das Elektroauto und separatem Zugang zum Abstell- und Vorratsraum.

Insoweit handelt es sich um pragmatische, familientaugliche, funktional sehr durchdachte Wohnhäuser, die die Vorzüge des Grundstücks optimal nutzen und die den Bewohnern keinen extravaganten Lebensstil aufnötigen, wie er in manchen Hochglanzmagazinen vorgeführt wird.

Früher haben Graft-Architekten ausgefallene Formen in die Welt gesetzt, das überlassen sie nun Stararchitekten wie Jürgen Mayer H. Inzwischen geht es ihnen weniger um formale Extravaganz, sondern – wie hier bei Holistic Living – vielmehr darum, zu demonstrieren, wie man ökologische Bau- und Lebensweise mit hohem Wohnkomfort verbinden kann. Und welche der zahlreichen, heute entwickelten konzeptionellen und technischen Möglichkeiten in einem solchen Haus zusammenwirken können, um dem hohen Ziel näherzukommen: Bauen und Wohnen im Einklang mit Natur und Umwelt und nicht auf deren Kosten.

Das beginnt mit den Baustoffen. Den Keller konventionell zu betonieren, ist unumgänglich, aber die aufgehenden Wände und das Tragwerk sind aus nachwachsenden Rohstoffen, die Ständer und Balken aus Holz, die Wände aus Holzfaser- beziehungsweise OSB-Platten, die Wärmedämmung aus Zellulose. Innenwände tragen einen Lehmputz, der ideale Diffusionseigenschaften besitzt. Ein gesundes Raumklima ist ein Nebeneffekt dieser nachhaltigen Bauweise.

Überschüssige Energie wird ins Auto geladen

„Hohe Dichte effizienter Einzelkomponenten“, sagen die Architekten zur technischen Ausstattung der Häuser. In der Tat ist Überdurchschnittliches an Haustechnik aufgeboten. Der Strom wird solar erzeugt und in einer Batterieanlage gespeichert. Die Energie für Heizung und Warmwasser liefert eine Erdwärmepumpe. Die Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung kontrolliert Temperatur und Luftfeuchte. Grauwassernutzung und Regenwasserzisterne reduzieren den Wasserverbrauch.

Alle Komponenten können über ein sogenanntes Bussystem überwacht und ferngesteuert oder automatisiert geregelt werden. Das Energiemanagement kümmert sich um Raumtemperatur und Sonnenschutz und um den Ladestand der Batterien – auch des Elektroautos vor der Tür, denn überschüssige Energie wird ins Auto geladen und soll dort im Falle des Einfamilienhauses für 19 500 Kilometer Jahreslaufleistung ausreichen. Deshalb gehören zur Mietsache auch ein Elektrosmart oder ein Erwerbszuschuss und eine Mietgutschrift für dessen Leasing. Wohnen und Mobilität werden einheitlich betrachtet und als ganzheitliches Lebenskonzept angeboten.

Ein weitergehendes Ziel der Architekten ist, die aus dem Monitoring der Häuser gewonnenen Erfahrungen und Daten in das Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen DGNB einzubringen. Deren Bewertungsverfahren ist nämlich bislang auf öffentliche Bauten und Bürogebäude zugeschnitten und eignet sich nicht zur Beurteilung privater Wohnhäuser.

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