zum Hauptinhalt
Die Potsdamer Schlössernacht, das Foto statt aus dem August 2019, fiel 2020 aus und soll in diesem Jahr stattfinden.
© Andreas Klaer

Konzertveranstalter Peter Schwenkow im Interview: "Im Herbst fliegt der Korken aus der Flasche"

Der Event-Veranstalter und Deag-Chef über die Systemrelevanz der Unterhaltungsbranche und die goldenen Jahre nach der Pandemie

Herr Schwenkow, die Deag wirbt für ein Randy-Newman-Konzert im Juni im Admiralspalast und die Potsdamer Schlössernacht im August. Glauben Sie wirklich, dass die Events stattfinden?
Das hängt vor allem von der Verfügbarkeit der Impfstoffe ab. Wenn wir im Juni oder Juli etwa 80 Prozent der impfbereiten Menschen versorgt haben, dann sollten wir kleinere Veranstaltungen und Open-Air-Events durchführen können. Mit welchen Zugangsbeschränkungen auch immer.

Konzertbesuch gegen Impfausweis?
Das ist denkbar. Dazu vielleicht auch die Vorlage eines negativen PCR-Tests, der nicht älter als 48 Stunden ist oder die Bestätigung eines Arztes, dass man die Krankheit überstanden hat und immun ist. Für diejenigen, die das nicht haben, könnte man einen separaten Eingang mit Schnelltests anbieten. Wir sind bereit, in Abstimmung mit den Behörden sinnvolle Konzepte für unser Publikum umzusetzen. Kurzum: Im Sommer geht es langsam wieder los.

Das klingt nach kleineren Veranstaltungen, damit die aufwändige Zugangskontrolle überhaupt bewältigt werden kann.
Warum soll man nicht 2000 Menschen in die Philharmonie lassen, wenn die alle getestet und geimpft worden sind? Organisatorisch oder technisch ist das kein Problem. Die Frage ist, ob man einen Beamten findet, der das genehmigt. Denn wir haben ja eine Renaissance von Restriktionen und ein Berufsverbot für viele Bereiche, darunter auch die Kreativwirtschaft.

Vielleicht funktioniert die Interessenvertretung nicht so gut wie in der Industrie.
In der Kreativwirtschaft sind 1,1 Millionen Menschen beschäftigt, gut 200<ET>000 mehr als in der Autoindustrie. Allein im Veranstaltungsbereich setzen wir in einem normalen Jahr gut fünf Milliarden<TH>Euro um. Wir sind nicht Tingeltangel, sondern eine seriöse Dienstleistungsindustrie, die für das Wohlbefinden der Menschen unverzichtbar ist. Wenn es überhaupt etwas Positives gibt in der Pandemie, dann gehört der Erkenntnisgewinn in der Politik dazu: Wirtschafts- und Finanzpolitik haben die Bedeutung der Kreativwirtschaft erkannt.

Gut versichert. Peter Schwenkow hat sich bereits 2003, als ein Sars-Virus erstmals Schlagzeilen machte, gegen die Folgen einer Pandemie abgesichert.
Gut versichert. Peter Schwenkow hat sich bereits 2003, als ein Sars-Virus erstmals Schlagzeilen machte, gegen die Folgen einer Pandemie abgesichert.
© PNN / Ottmar Winter

Und die staatlichen Hilfen wirken?
Es hat sehr lange gedauert, aber jetzt wird es richtig gemacht. Erst gab es eine Soforthilfe. Die Überbrückungshilfe I hat dann vielen kleineren Unternehmen geholfen. Jetzt ist man immer noch beschäftigt mit der Überbrückungshilfe II. Im Spätherbst hat die Politik endlich die Systemrelevanz von Theatern und Kinos, Varietés und Kabaretts, Konzert- und Zirkusveranstaltern erkannt. Die Überbrückungshilfe III wurde entsprechend ausgelegt und die Limitierung nach Unternehmensgröße aufgehoben. Nun kann auch die Deag einen Antrag auf Unterstützung stellen.

Bleibt die Branche von einer Pleitewelle verschont?
Wenn es wirklich so kommt, die Überbrückungshilfe III ist ja noch nicht ausformuliert, dann haben wir eine gute Chance, wieder Land zu sehen. Wie gesagt: Elf Monate geschlossen!

Die Deag steht relativ gut da, weil Sie wegen des Sars-Virus schon 2003 eine Versicherung abgeschlossen hat.
Ja. Wir haben ein tolles Versicherungsunternehmen, das uns für 2020 einen zweistelligen Millionenbetrag gegeben hat. Trotzdem machen wir unterm Strich einen Verlust. Bedroht ist die Deag aber nicht.

Wie wichtig waren die 25 Millionen Euro, die es als Notkredit von der KfW gab?
Das Geld hat uns geholfen, grundsolide aufgestellt zu sein. Anders als viele, die leider am Abgrund stehen.

Sie haben sogar kürzlich einen kleinen Veranstalter in Dänemark übernommen.
Wir sind finanziell gut ausgestattet, um an der einen oder anderen Stelle zu helfen oder zu akquirieren. Aber wir sind die Ausnahme, weil wir den Versicherungsschutz haben und die zusätzliche Liquidität von der KfW. Der Deag geht es gut, aber 99 Prozent in der Branche geht es schlecht.

Der so genannte Christmas Garden lädt vor allem Familien ab November in den Botanischen Garten.
Der so genannte Christmas Garden lädt vor allem Familien ab November in den Botanischen Garten.
© REUTERS

Das klingt doch nach Pleitewelle.
Ein Teil der Probleme ist nur verschoben. Es gibt ja die Gutscheinregelung, wonach die Veranstalter die Einnahmen aus dem Verkauf von Eintrittskarten für zukünftige Veranstaltungen behalten dürfen. Diese Regelung läuft am 31. Dezember 2021 aus. Das heißt, sie müssen liefern oder zurückzahlen. Vermutlich wird es Veranstalter geben, die weder das eine noch das andere können. Hier ist weitere Hilfe erforderlich.

Zumal Veranstaltungsorte im Zuge der Öffnung ab dem dritten Quartal überbucht sein dürften.
Das glaube ich nicht. Wir werden vielmehr im Herbst und im Winter ein massives Angebot von nationalen Künstlern und Produktionen haben, weil es kein internationales Touring vor April oder Mai 2022 geben wird. Künstler aus den USA werden in diesem Jahr nicht in Europa auftreten.

Dann gibt es also genügend Platz für die heimischen Entertainer.
Wir werden viel Platz brauchen. So wie in Berlin nach dem ersten Weltkrieg in den 1920er Jahren der Korken mit einem unglaublichen Druck aus der Champagnerflasche geflogen ist, werden wir jetzt etwas Ähnliches erleben.

Corona verschafft uns goldene 20er Jahre?
Die Menschen haben einen unglaublichen Nachholbedarf. Tanzen, Singen, Musik hören, Bier trinken oder Champagner, jeder auf seine Weise. Diese Bedürfnisse sind gigantisch. Irgendwann im Herbst dieses Jahres wird der Korken mit einem unglaublichen Knall aus der Flasche fliegen.

Und die große Party findet ganz ohne ausländische Künstler statt?
International Touring bedeutet, einen Tag in Barcelona auftreten, den nächsten Tag in Paris, dann Berlin und London. So funktionieren große Tourneen. Die internationalen Superstars sehen wir nicht vor dem Frühling 2022. Und auch der Brexit wird uns zu schaffen machen.

Inwiefern?
Die Künstler von der Insel können in Kontinentaleuropa nur zwei Auftritte machen und müssen dann auf die Insel zurück. Nach der jetzigen Brexitregelung sind drei Shows nacheinander nicht möglich. Hinzu kommt: In England gibt es das größte Know-how für internationales Touring. Alle diese Firmen, technische Dienstleister und Bühnenbauer müssen sich Niederlassungen in der EU einrichten, sonst sind europaweite Veranstaltungen mit dem erforderlichen Ton- und Lichtequipment nicht möglich. Die Auswirkungen des Brexits auf unsere Branche sind monströs.

Wie stark trifft das die Deag?
Gar nicht. Großbritannien ist unser größter Markt, dort gibt es die meisten nationalen Künstler. Mit denen werden wir nach dem Ende des Lockdowns richtig loslegen.

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Pandemie live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Wenn überall die Korken fliegen, steht die Deag vor guten Jahren. Warum zieht sich das Unternehmen trotzdem von der Börse zurück?
Auf absehbare Zeit hätten wir die Schwierigkeit, dass die Börse nicht an die Erholung des Geschäfts glaubt. Nach einer Mutation kommt die nächste Mutation und dann noch eine. Diese Unsicherheit mag die Börse gar nicht.

Aber was bringt dann das Delisting?
Ich muss schauen, wie es mir gelingt, weitere Finanzmittel zu generieren. An der Börse ist das in den nächsten Jahren kaum möglich. Deshalb haben wir zwei<TH>Ankeraktionäre gefragt, ob sie uns eine Finanzierung zur Verfügung stellen, um die Aktionäre abzufinden und gleichzeitig unser Wachstum zu unterstützen. Das hat funktioniert.

Sie wollten nicht in Stiefeln sterben, haben Sie vor ein paar Jahren gesagt, und für Anfang der 2020er Jahre den Wechsel in den Aufsichtsrat avisiert. Jetzt bleiben Sie im Sattel?
Ja. Die Finanzinvestoren haben schon intensiv darauf bestanden, dass ich die Stiefel noch eine Weile anbehalte. Ich will auch noch nicht sterben und gerne irgendwann geimpft werden.

2019 hat die DEAG rund 200 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet, dann kam Corona. Wie geht es weiter in den kommenden Jahren?
2021 werden wir noch darben, weil große Festivals nicht stattfinden. Wenn wir Anfang des zweiten Quartals 2022 wieder Gas geben dürfen, könnten wir vielleicht das Ergebnis von 2019 erreichen. 2023 werden sich dann die Akquisitionen zusammen mit dem organischen Wachstum bemerkbar machen. Langfristig bin ich also gar nicht bange.

Und mittelfristig: Wird es eine Potsdamer Schlössernacht im August geben?
Davon bin ich fest überzeugt. Wir sind unter einem freien Himmel, und viele Menschen sind bis dahin geimpft. Das ist ein Event, bei dem nicht übermäßig getanzt, gebrüllt und geschwitzt wird. Die Schlössernacht halte ich zu 99,9 Prozent für durchführbar. Das gilt auch für unsere Christmas Gardens, die im November und Dezember stattfinden. Die Menschen haben eine unglaubliche Sehnsucht und eine unglaubliche Lust, wieder zu feiern. Und sie haben das Geld dafür.

Zur Startseite