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Norbert Walter-Borjans ist Finanzminister in Nordrhein-Westfalen.
© picture alliance / dpa

NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans: „Ich rechne mit einer Welle von Selbstanzeigen“

Uli Hoeneß ist nach der Hälfte seiner Haftzeit aus dem Gefängnis entlassen worden. Norbert Walter-Borjans, Finanzminister von NRW, findet das in Ordnung. Im Interview spricht er über Steuersünder, neue Daten-CDs und Cum-Ex-Geschäfte.

Herr Walter-Borjans, an diesem Montag kommt Uli Hoeneß aus der Haft frei – nach der Hälfte der Zeit. Ärgert Sie das?

Ich bin nicht als Racheengel unterwegs, ich baue auf den Rechtsstaat. Uli Hoeneß ist schuldig gesprochen und verurteilt worden, er hat sich aber auch eindeutig zu seinen Fehlern bekannt. Wenn der Rechtsstaat vorsieht, dass jemand dann mit Strafmilderung rechnen kann, ist das in Ordnung.

Uli Hoeneß war damals nicht der einzige prominente Steuerhinterzieher, auch gegen Alice Schwarzer wurde ermittelt. In der letzten Zeit hat es aber keine vergleichbaren Fälle mehr gegeben. Woran liegt das?
Ich lege Wert darauf, dass bei Steuersachen Namen nicht in der Öffentlichkeit gehandelt werden, auch nicht die von Prominenten. Aus der Steuerverwaltung darf kein Name nach außen dringen. Wenn das passieren würde, wäre das eine Straftat.

Komisch, dass trotzdem die Fernsehkameras immer zu rechten Zeit am rechten Ort waren.
Es ist nie ganz auszuschließen, dass eine Hausdurchsuchung oder der Vollzug eines Haftbefehls von Dritten beobachtet wird und damit an die Öffentlichkeit kommt.

Was Ihnen aber ganz recht sein dürfte. Aus Angst, im Knast zu landen, haben sich seit dem Frühjahr 2010 rund 120 000 Menschen selber angezeigt.

Natürlich sorgt es für enorme Aufmerksamkeit, wenn Prominente erwischt werden. Dann überlegen sich besonders viele, ob sie nicht besser reinen Tisch machen sollten. Aber ich sage Ihnen ganz deutlich: Wenn ich Hinweise hätte, dass aus der Finanzverwaltung in NordrheinWestfalen Informationen über Alice Schwarzer an die Öffentlichkeit gekommen sind, würde ich diese Verstöße mit aller Härte verfolgen. Es gibt aber keine derartigen Hinweise.

Ist der Boom bei den Selbstanzeigen inzwischen vorbei?
Die Zahl ist im vergangenen Jahr zurückgegangen, die Regeln sind ja Anfang 2015 verschärft worden, da haben viele noch von der alten Regelung profitieren wollen. Aber es gab auch 2015 immer noch mehr als 22 000 Fälle mit Mehreinnahmen von rund 150 Millionen Euro. Die Selbstanzeige ist trotz der Verschärfungen immer noch günstiger als erwischt zu werden.

Wie viel Geld wird heute noch vor dem deutschen Fiskus versteckt?
Man kann das nur grob schätzen. Wir haben in den letzten fünf Jahren durch Selbstanzeigen bundesweit insgesamt rund fünf Milliarden Euro eingenommen. Geld, das vorher der Allgemeinheit vorenthalten worden ist. Das ist aber nur ein Bruchteil dessen, was versteckt ist. Da kommt noch einiges nach.

Wo liegt das Schwarzgeld? Länder wie die Schweiz, Österreich oder Luxemburg sind ja keine sicheren Fluchtburgen mehr.
Ich rechne mit einer neuen Welle von Selbstanzeigen, wenn 2017, 2018 der automatische Informationsaustausch zwischen Banken und Steuerbehörden kommt. Für einige wird die Luft dünner.

Es sei denn, sie bringen ihr Geld aus Europa heraus.
Der durchschnittliche Steuerhinterzieher ist kein Drogenbaron oder Mafiaboss, sondern er verhält sich eher konservativ. Deshalb war die Schweiz ja auch so attraktiv. Man spricht dort Deutsch, man kommt mit dem Auto gut dahin, und das Land ist politisch stabil. Auf den Jungfern-Inseln ist es weniger heimelig.

"Ich will das Bargeld nicht abschaffen"

Norbert Walter-Borjans ist Finanzminister in Nordrhein-Westfalen.
Norbert Walter-Borjans ist Finanzminister in Nordrhein-Westfalen.
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Würde die Abschaffung des Bargelds oder zumindest des 500-Euro-Scheins helfen, das Schwarzgeld einzudämmen?
Weder Herr Schäuble noch ich wollen das Bargeld abschaffen. Der übliche Zahlungsverkehr soll auch weiterhin bar möglich sein. Aber bei hohen Beträgen von über 3000 oder 5000 Euro, die normalerweise schon jetzt per Überweisung abgewickelt werden, gibt es eine überdurchschnittlich hohe Zahl von Schwarzgeld, Geldwäsche, Erpressungsgeldern oder Terrorismusfinanzierung, die man lieber bar abwickelt. Wenn man für solche Beträge eine Überweisungspflicht einführen würde, käme man den Tätern besser auf die Schliche. Die überwiegende Mehrheit wäre von einer solchen Grenze doch gar nicht betroffen. Wer das behauptet, schürt Panik.

Viele Unternehmen haben es in der EU gar nicht nötig, mit Schwarzgeld zu hantieren, weil es in Ländern wie Luxemburg, Irland und den Niederlanden zahlreiche ganz legale Steuerschlupflöcher gibt. Seit einiger Zeit geht die EU-Kommission deshalb gegen Konzerne wie McDonald's, Amazon oder Starbucks vor. Freut Sie das?
Deutschland ist ein Verlierer der Steuersparmodelle. Das Land ist ein riesiger, kaufkräftiger Markt, in dem die Unternehmen ihre Gewinne machen, aber dann in Steueroasen verschieben. Wenn internationale Konzerne künftig ihre Gewinne stärker dort versteuern müssen, wo sie entstehen, würde Deutschland profitieren. Derzeit bieten sich Länder mit geringerer Marktgröße als Steueroasen an und ziehen Steuereinnahmen zu sich.

Würden deutsche Unternehmen das auch tun, wenn sie das könnten?
Der Drang, Gewinnchancen zu nutzen, sich aber beim Bezahlen zu drücken, kennt keine Nationalitäten. Wir haben in Deutschland zwar insgesamt eine hohe Steuermoral, aber wir haben auch schwarze Schafe. Nehmen Sie die Cum-Ex-Geschäfte ....

.... bei denen Aktien so oft hin- und hergeschoben werden, dass mehrere Anleger sich Steuern erstatten lassen, die nur einmal bezahlt wurden.
Ja, wie beim Umsatzsteuerbetrug. In beiden Fällen geht es um die Erstattung von Milliarden von Steuern, die gar nicht gezahlt worden sind. Da bedienen sich einige bei dem Geld, das die Ehrlichen bezahlt haben.

"Hinter den Cum-Ex-Geschäften steckte ein System"

Norbert Walter-Borjans ist Finanzminister in Nordrhein-Westfalen.
Norbert Walter-Borjans ist Finanzminister in Nordrhein-Westfalen.
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NRW hat im vergangenen Jahr eine CD mit Daten zu den Cum-Ex-Geschäften gekauft. Wie viele Anleger stehen da drauf?
Die von der Presse genannte Zahl von mehr als hundert Banken und Finanzberater aus dem In- und Ausland haben wir jedenfalls nicht dementiert. Die Steuerfahndung wertet diese Daten jetzt konsequent aus. Es wird deutlich, dass hinter den Geschäften ein System steckt und dass es nicht um zufällige Lücken geht. Finanzdienstleister haben das Geschäft entdeckt und mit einem schnellen Eigentümerwechsel erreicht, dass die einmal gezahlte Steuer auf die Dividende mehrfach erstattet worden ist.

Selber schuld, könnte man sagen.
Der Auftrag, die Lücken zu schließen, geht an die Politik. Aber alles auszunutzen, auch wenn es erkennbar anders gemeint ist und zu Lasten anderer geht, bleibt Betrug an der Allgemeinheit.

Die Betroffenen sagen: Die Geschäfte waren nicht verboten. Stimmt das?
Es muss jedem klar sein, dass man nicht etwas zurückfordern kann, das man nicht bezahlt hat. Und: Indem die Finanzberater das Geschäft bewusst betrieben haben, ist auch die Mär vom Tisch, dass der eine Anleger vom anderen nicht gewusst hat.
Um welche Summen geht es?
Wenn man bedenkt, dass allein über die Fälle auf dem von NRW erworbenen Datenträger mit Cum-Ex-Fällen ein Anlagevolumen von 70 Milliarden Euro berichtet worden ist, dann wird da ein richtig großes Rad gedreht.

Der Bundestag hat jetzt einen Untersuchungsausschuss zu Cum-Ex-Geschäften beschlossen. Was soll der bringen?
Wenn es hilft, ist es gut. Wir sind aber mehr an der praktischen Aufdeckung interessiert.

Auch wenn dabei die WestLB in einem schlechten Licht steht, an der das Land früher beteiligt war?
Bisher sind das nur Vorwürfe, es hat sich nicht erhärtet, dass die Bank aktiv mitgemischt hat. Sollten die Steuerfahndung und die Staatsanwaltschaft zu einem anderen Ergebnis kommen, gibt es keine Sonderbehandlung für das Institut.
Kein Land hat so viele Steuer-CDs gekauft wie Nordrhein-Westfalen. Gehen die Whistleblower sofort zu Ihnen, weil sie bei Ihnen auf offene Ohren stoßen?
Jedenfalls viele. Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass unsere Fahnder Hinweisen konsequent nachgehen. Die machen alle gute Arbeit, aber Wuppertal hat sich ganz besonders zu einer Marke entwickelt – auch jenseits der Grenzen.

NRW hat für die CDs knapp 18 Millionen Euro gezahlt und rund zwei Milliarden Euro eingenommen. Ein gutes Geschäft.
Es geht um das Geld, das vorher hinterzogen wurde. An den Kosten für den Ankauf der CDs beteiligen sich übrigens der Bund und die anderen Länder. Die haben ja auch was davon. Die Daten auf den CDs und die dadurch ausgelösten Selbstanzeigen betreffen nicht nur NRW, sondern ganz Deutschland – und manchmal sogar andere EU-Länder.

Wie Griechenland. Sie haben den griechischen Behörden 10 000 Namen von Griechen geliefert, die möglicherweise Geld ins Ausland verschoben haben.
Ja, aber die von uns entdeckten Daten betreffen nicht nur Griechenland. Wir sind bei unseren Ermittlungen auch auf zahlreiche andere EU-Länder gestoßen, in denen die Bürger Geld im Ausland untergebracht haben und das womöglich an den Finanzbehörden vorbei. Es geht um große Summen. Die Rede ist von Kontobeständen von insgesamt 40 bis 50 Milliarden Schweizer Franken. In Griechenland allein waren es dagegen „nur“ bis zu vier Milliarden Schweizer Franken.

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