Freihandelsabkommen mit Kanada: Hormonprobleme
Wachstumsfördernde Mittel für kanadische Rinder gehören zu den umstrittenen Punkten in den Verhandlungen zwischen der EU und Kanada.
Die Europäische Union und Kanada versuchen, bei Verhandlungen in Brüssel die letzten Hindernisse für ein Freihandelsabkommen aus dem Weg zu räumen. Mehrfach wurde der angestrebte Termin für den Abschluss der Gespräche verschoben. Nun ist Kanadas Premierminister Stephen Harper anlässlich des G8-Gipfels in Europa. Ceta, das Freihandelsabkommen mit Europa, steht ganz oben auf der Liste seiner Gesprächsthemen. Politische Beobachter hatten fest damit gerechnet, dass Harper am Rande des G8-Gipfels die Einigung auf ein Abkommen verkünden werde. Aber vor wenigen Tagen spielte die kanadische Seite die Erwartungen herunter.
Im Mai 2009 hatten die Verhandlungen über das Wirtschafts- und Handelsabkommen – Comprehensive Economic and Trade Agreement/Ceta – begonnen. Ende 2012 sollte es bereits unter Dach und Fach sein, dann im Frühjahr 2013. Zeitdruck bringt jetzt die Aufnahme der Freihandelsgespräche zwischen der EU und den USA, die Ceta in den Hintergrund drängen könnten. Die Europäer allerdings haben Interesse, Ceta als Vorlage für die Verhandlungen mit den USA zu nehmen, für Kanada könnte es ein Modell für die Gespräche über die transpazifische Freihandelszone sein.
Ceta würde weitergehen als das Freihandelsabkommen Kanadas mit den USA, da es Bereiche wie das Patentrecht und öffentliche Ausschreibungen umfasst. Kanadische Güter und Dienstleistungen würden Zugang zu einem Markt von 500 Millionen Konsumenten bekommen. Die Streitpunkte sind identifiziert. Umstritten ist in Kanada die EU-Forderung nach Verlängerung des Patentschutzes für Medikamente. Kritiker befürchten erhebliche Mehrkosten für Kanadas staatliches Gesundheitswesen und die Patienten. Der „Council of Canadians“, der vehement gegen Ceta kämpft, schätzt die Kosten auf drei Milliarden Dollar.
Der größte Stolperstein scheint indes die Vieh- und Milchwirtschaft zu sein. Die Kanadier wollen für ihr Rindfleisch Zugang zum EU-Markt. Dem steht der Einsatz von Wachstumshormonen in Kanada entgegen. Kanadas Rinderzüchter sind zur Umstellung ihrer Produktion bereit, fordern aber Abnahmegarantien von mindestens 40 000 Tonnen. Dazu scheint die EU bereit, aber sie muss Rücksicht auf die europäische Viehwirtschaft, vor allem in Irland und Frankreich nehmen. Umgekehrt wollen die Europäer höhere Einfuhrquoten für Milchprodukte, was die kanadischen Bauern ablehnen.
Von seinen wirtschaftlichen Folgen her bedeutender sind die Klauseln über den Ursprung von Produkten. Kanada, die USA und Mexiko bilden durch die Freihandelszone Nafta einen Markt. Die EU will sicherstellen, dass „Made in Canada“ aus Kanada kommt und nicht aus einem Drittland. Die EU will zudem weitere Konzessionen Ottawas bei der Übernahme kanadischer durch ausländische Unternehmen. Übernahmen müssen ab einer Größenordnung von 334 Millionen Dollar von der Regierung genehmigt werden. Ein jetzt verabschiedetes Gesetz hebt diesen Wert schrittweise in den nächsten vier Jahren auf eine Milliarde Dollar an. Europa hätte gerne 1,5 Milliarden Dollar.
Einige Provinzen und Städte blicken argwöhnisch auf die Öffnung bei der Ausschreibung öffentlicher Aufträge. Sie haben Sorge, lokale Unternehmen könnten die Verlierer sein. Kritiker beiderseits des Atlantik schießen sich auch auf die geplanten Regelungen zum Investorenschutz ein. Diese könnten dazu führen, dass ausländische Unternehmen gegen Umweltschutzregeln eines Nationalstaats klagen könnten, fürchten sie.
Ob Ceta mit dem Abbau von Zöllen und Hindernissen den beiden Volkswirtschaften den erhofften Schub von jährlich schätzungsweise 20 Milliarden Euro bringt, ist umstritten. Aber vor allem Harper will den Erfolg. Ceta soll Kanadas Abhängigkeit von den USA verringern. Erstmals seit seinem Regierungsantritt vor sieben Jahren gefährden ein Skandal im Senat und aufmüpfige konservative Hinterbänkler Harpers uneingeschränkte Macht. Eine Einigung mit der EU würde von diesen Querelen ablenken.
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