Wirtschaft: Hin und weg
Angenommen, die klassische Reiseliteratur beschreibt das „Hin“: die Bewegung hin auf etwas Neues, voller Begeisterung und weit geöffneter Sinne, die Gier nach Wissen, die Aneignung eines unbekannten Territoriums. Sie besitzt, vielleicht, eine koloniale Attitüde.
Angenommen, die klassische Reiseliteratur beschreibt das „Hin“: die Bewegung hin auf etwas Neues, voller Begeisterung und weit geöffneter Sinne, die Gier nach Wissen, die Aneignung eines unbekannten Territoriums. Sie besitzt, vielleicht, eine koloniale Attitüde. Dann beschreibt die postmoderne Reiseliteratur, seitdem Chatwin durch Feuerland gegangen ist, vor allem das „Weg“: Weg sein. Entfernt von dem, was man als normales Leben zu bezeichnen sich angewöhnt hat. Geoff Dyer jedenfalls ist weg, manchmal auch nur im Sinne von weggetreten. Dann hat er vielleicht vorher ein paar Pilze eingeworfen, sich unbedacht Chlamydien eingefangen oder etwas anderes getan, das Männer in seinem Alter zu ihren Jugendsünden zählen würden.
Zwischen Traum, Trance, Party und klassischer Bildung wuchtet Dyer uns in elf Erzählungen um die Welt. Er fährt auf einem Boot in Asien im Kreis, weint in der Wüste, isst nasse Eier, verirrt sich in Paris dank einiger Drogen, er verliert überhaupt gerne die Orientierung, auch seine Erinnerung und am Ende gar jeglichen Antriebswillen. Amsterdam, die Wüste von Nevada, New Orleans und Rom – er sucht nicht Dauer, sondern intensive Momente. Seine Hoffnung: Wenn er nur genug davon aneinander reiht, ergeben sich schon Geschichten. Wenn es gar nicht mehr weitergeht, leiht er sich Gedanken von Rilke, Nietzsche und Auden. Man könnte sagen, Dyer denkt zu viel und es passiert zu wenig. Aber sind nicht gerade auf Reisen jene Erlebnisse erhellend, die zum Denken anregen? Doch bevor Dyer, der sich in seinem Buch gerne einen Intellektuellen nennt, mit seiner Zitierwut zu nerven beginnt, schnoddert er ein paar leichte, knorzige Bemerkungen aufs Blatt. Manchmal hält er schon den mangelnden Tiefgang der Gedanken für Leichtigkeit und kalauert sich durch schlechtes Wetter und Essen. „Es war nicht übel, für den, der’s mag – doch warum es irgendwer mögen sollte, geht über meine Begriffe.“ Der Autor meint ein halbes Hähnchen.
Dyer sucht das Paradox des beiläufigen Abenteuers. Es ist bestimmt ein Lob, wenn man nach der Lektüre nicht mehr lesen, sondern endlich wegfahren will.
Geoff Dyer: Reisen, um nicht anzukommen. Erzählungen. Argon Verlag, Berlin. 285 Seiten, 19,90 €.
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