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Allein in Trümmern. Dieser Mann aus Dhaka verlor beim Einsturz der Textilfabrik seine Frau.
© REUTERS

Textilarbeiter in Bangladesch: Hilflos nach der Katastrophe

Mehr als drei Monate nach dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza ist die Not der Angehörigen und Verletzten noch immer groß. Die irische Kette Primark hat bereits erste Entschädigungen an Arbeiter ausgezahlt.

Dort, wo die achtstöckige Textilfabrik stand, klafft nun ein großes Loch. Der Großteil der Trümmer, die beim Einsturz von Rana Plaza vor mehr als drei Monaten tausende Menschen unter sich begruben, ist weggeräumt, in den umliegenden Fabriken in Savar unweit von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka wird wieder gearbeitet. Doch für die mehr als 2400 Verletzten und die Angehörigen der 1140 Toten ist Normalität weit entfernt. „Es herrscht große Not“, berichtet Gisela Burckhardt von der „Kampagne für Saubere Kleidung“ (CCC), die gerade vom Unglücksort zurückgekehrt ist. Die meisten Verletzten hätten zwar die Krankenhäuser verlassen. „Arbeiten können viele aber nicht, weil sie Gliedmaßen verloren haben oder traumatisiert sind.“

Burckhardt berichtet auch von wirtschaftlicher Not. „Die Menschen warten auf Entschädigungszahlungen, weil ihnen nun das Einkommen fehlt.“ Am schlimmsten sei die Lage für Familien der rund 300 Personen, die in den Trümmern gefunden, aber nicht identifiziert werden konnten. „Sie können nicht beweisen, dass Mutter oder Ehefrau in Rana Plaza gearbeitet haben und sind von finanzieller Unterstützung ausgeschlossen.“ Denn die Arbeiterlisten der Fabrikanten seien lückenhaft, um Überbelegung und Überstunden zu verschleiern.

Nach den Standards der Internationalen Arbeitsorganisation ILO hat die CCC die Entschädigungssumme für Rana Plaza auf 54 Millionen Euro beziffert. Geld als Kompensation für Schmerzen und den Einkommensausfall – medizinische Kosten nicht eingerechnet. Nach Angaben der Kampagne für Saubere Kleidung hat die Regierung bisher einigen Opfern zwischen 100 und 1000 Euro Entschädigung pro Person gezahlt. „Die Kriterien dafür, wer was bekommt, sind aber unklar“, sagt Burckhardt. Von den Unternehmern, deren Nähereien einstürzten, sei nichts zu erwarten. „Die Besitzer der Fabriken im illegal aufgestockten Gebäude sitzen in Haft und sind pleite.“

Hilfsorganisationen sehen die westlichen Konzerne in der Pflicht

Hilfsorganisationen sehen daher die westlichen Modekonzerne in der Pflicht, die direkt oder über Subunternehmer in Rana Plaza produzieren ließen oder Waren über Importeure bezogen. Doch ein Branchentreffen zur Lage, an dem auch die westlichen Ketten teilnehmen sollten, wurde gerade auf September verschoben. „Die Opfer brauchen jetzt Hilfe“, sagt Burckhardt. Bis die endgültigen Opferlisten von der Regierung veröffentlicht würden, könne es noch Wochen dauern. Bisher hat nur die irische Modekette Primark, die als eine der ersten einräumte, in Rana Plaza Kleider in Auftrag gegeben zu haben, Entschädigungen ausgezahlt.

Weil es noch keine offiziellen Listen gibt, hat Primark Angehörige der Toten und Verletzten gebeten, sich für Soforthilfe in Höhe von drei Monatslöhnen – im Schnitt rund 100 Euro – registrieren zu lassen. Mehr als 3300 Menschen seien in das Programm aufgenommen worden, erklärte Primark auf Anfrage. Rund 2500 Geschädigte oder deren Angehörige hätten bereits „entsprechende Zahlungen“ über eine lokale Bank erhalten. Das bestätigt auch die CCC. Bisher hat Primark nach eigenen Angaben für die Hilfen und ein Lebensmittel-Programm eine Million US–Dollar ausgegeben.

Andere Unternehmen halten sich dagegen bedeckt und äußern sich nur zögerlich über Geschäftsbeziehungen mit den Unglücksfabrikanten. So heißt es bei der deutschen Modekette Kik: „Richtig ist, dass Anfang dieses Jahres über einen unserer Importeure indirekt dort erstmalig ein Auftrag für Kik produziert wurde.“ Die Ware sei aber laut Frachtpapieren bereits am 19. März verschifft worden. Warum dennoch Kleider von Kik in den Trümmern gefunden wurden, werde geprüft. Zu Entschädigungszahlungen will Kik sich nicht äußern. Stattdessen verweist die Kette darauf, dass sie mit einer Hilfsorganisation für ärztliche Betreuung der Verletzten gesorgt habe. Zudem unterstütze Kik „eine langfristige Betreuung, die sich sowohl auf den therapeutischen Bereich als auch auf den Ausbildungsbereich bezieht“.

Die italienische Modekette Benetton verweist darauf, dass sie finanzielle Unterstützung für Prothesen und Operationen für die Verletzten bereitgestellt habe. Derzeit arbeite man an einem „langfristigen Programm“ für die Familien, die ihre Einkommensquelle verloren haben. Geplant seien „unter anderem psychologische Unterstützung und Weiterbildung für Überlebende und andere Arbeiter”, heißt es auf Anfrage. Mango teilt mit, dass es Planungen gegeben habe, eine Firma in Rana Plaza Muster produzieren zu lassen. Einen Auftrag der spanischen Modekette habe es zum Unglückszeitpunkt nicht gegeben. Die Hilfsorganisationen dagegen sind erbost über das Verhalten und die Argumentation der Konzerne. „Alle diese Firmen haben in den Fabriken von Rana Plaza Kleider nähen lassen, das konnten wir anhand von Labels beweisen, die wir in den Trümmern gefunden haben“, sagt Burckhardt von der Kampagne für Saubere Kleidung.

„Die Konzerne versuchen sich nun aus ihrer Verantwortung herauszuwinden“, kritisiert die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, die kürzlich die Unglücksstelle in Bangladesch besuchte. Die Opfer hätten ein Recht auf finanzielle Hilfe. „Wir fordern Kik und Co. auf, in Verhandlungen mit den Gewerkschaften vor Ort faire Entschädigungszahlungen zuzusagen, die sich nach den Vorgaben der Internationalen Arbeitsorganisation richten – und zwar schnellstmöglich“, sagte Künast dem Tagesspiegel. Punktuelle Hilfe reiche nicht aus. Vor Ort habe sie das immense Leid der Menschen gesehen, erzählt die Fraktionschefin. „Für die Opfer bringt jeder Tag ohne Entschädigungszahlung noch weitere Demütigung mit sich.“

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