Tarifkonflikte in entscheidender Phase: Heiße Tage für Lufthansa, Post und Bahn
Die Tarifkonflikte bei den drei ehemaligen Staatskonzernen steuern in der kommenden Woche auf neue Höhepunkte zu. Ein Überblick.
Es ist ein ungewohntes Bild, das sich am Sonntagmorgen am Karl-August-Platz bietet. Während die meisten Bewohner des Charlottenburger Kiezes um kurz vor 10 Uhr noch in den Federn liegen und die Straßen leer sind, biegt plötzlich ein Mann auf einem gelben Fahrrad um die Ecke. Normalerweise sieht man ihn hier nicht, jedenfalls nicht am Sonntag in der Früh. „Guten Morgen!“, ruft der Mann den Passanten zu. Ein gut gelaunter Briefträger im Sonntagseinsatz.
Überall in Deutschland waren Postmitarbeiter im Spezialeinsatz
Wie in Charlottenburg haben Post-Mitarbeiter und Aushilfen den ganzen Sonntag überall in der Republik liegen gebliebene Pakete und Briefe zugestellt: Sie hatten sich im Zuge des seit mehreren Wochen andauernden Streiks in den Postfilialen angesammelt. Das Unternehmen hatte am Sonnabend zu der Aktion aufgerufen – auf freiwilliger Basis, wie die Post betonte. Man wolle die „Auswirkungen des Streiks für die Kunden so gering wie möglich halten“, sagte Post-Sprecherin Christina Neuffer dem Tagesspiegel.
Verdi hält die Aktion für ungesetzlich
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kritisierte die Aktion als „ungesetzlich“. Verdi Nordrhein-Westfalen forderte das Landesarbeitsministerium und die fünf Bezirksregierungen auf, die nicht genehmigte, „ungesetzliche Sonntagsarbeit bei der Deutschen Post AG zu unterbinden“. Uwe Speckenwirth, Verdi-Fachbereichsleiter Postdienste, sagte, allein in Nordrhein-Westfalen seien 260 Paketzusteller am Sonntag mit „sanftem Druck und 100 Euro Zulage nach Düsseldorf beordert“ worden, um an der bundesweiten Aktion teilzunehmen. Eine Unternehmenssprecherin sagte dazu: „Wir halten uns an alle gesetzlichen Regelungen.“ Bisher haben laut Verdi im Zuge des Post-Streiks gut 25 000 Tarifbeschäftigte die Arbeit niedergelegt.
Die Flugbegleitergewerkschaft verkündet am Montag, ob es zum Streik kommt
Auch beim ehemaligen Staatskonzern Lufthansa könnten schon bald wieder Beschäftigte in Streik treten: Bei Deutschlands größter Fluggesellschaft drohen die bislang friedlichen Flugbegleiter mit dem Ausstand. Nachdem die Schlichtung bei der Suche nach einer einvernehmlichen Lösung für die teuren Betriebsrenten am Sonnabend gescheitert war, will die Kabinengewerkschaft Ufo am Montag verkünden, wie es weitergeht. Ufo ist nach eigenen Angaben streikbereit, weil eine Urabstimmung der Mitglieder zu einem möglichen Arbeitskampf bereits stattgefunden hat. Statt einen substanziellen Schlichterspruch abzugeben, hatten die beiden Schlichter Herta Däubler-Gmelin und Friedrich Merz lediglich an die Tarifparteien appelliert, ihre Verhandlungen zur Reform der Versorgungssysteme für rund 19000 Flugbegleiter der Lufthansa unverzüglich wieder aufzunehmen.
Die Lufthansa befindet sich in Tarifverhandlungen mit verschiedenen Beschäftigungsgruppen
Die Gewerkschaft der Flugbegleiter lehnt weitere Verhandlungen ab. „Der Versuch einer friedlichen Einigung zur Alters- und Übergangsversorgung der Kabinenmitarbeiter der Lufthansa ist damit gescheitert“, erklärte der Ufo-Vorsitzende Nicoley Baublies. Lufthansa halte frühere Vereinbarungen nicht ein und sprenge „mit Ansage den gesamten Prozess“. Lufthansa provoziere so einen weiteren Arbeitskampf. Die Lufthansa befindet sich derzeit mit mehreren Gewerkschaften für unterschiedliche Beschäftigungsgruppen in Tarifverhandlungen. Ein Knackpunkt ist in allen Verhandlungen die betriebliche Altersvorsorge.
Bahn und GDL verhandeln um einen Tarifvertrag, in dem sich alle Mitglieder wiederfinden
Im aktuellen Tarifkonflikt zwischen der Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL geht es dagegen um die Ausarbeitung eines Tarifvertrages, in dem sich alle ihre Mitglieder wiederfinden. Dazu zählen nicht nur Lokführer, sondern auch Zugbegleiter und Lokrangierführer, für die bisher Tarifregelungen der konkurrierenden Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG galten. Die EVG hat inzwischen einen neuen Tarifvertrag mit der Deutschen Bahn geschlossen. Der Konzern will vermeiden, dass sich diese Regelungen mit denen der GDL widersprechen.
Die Lokführergewerkschaft hat zuletzt im Mai gestreikt
Die GDL hatte in den vergangenen Monaten neun Mal gestreikt, zuletzt im Mai. Millionen Fahrgäste hatten aufgrund von zahlreichen Zugausfällen und Verspätungen umplanen müssen. Die deutsche Wirtschaft klagte über hohe Kosten durch die Arbeitsniederlegungen. Auch nach einem dreiwöchigen Schlichtungsversuch ist der Streit noch nicht ausgestanden: Das Verfahren wurde vergangene Woche bis zum kommenden Donnerstag verlängert. Als Schlichter eingesetzt sind der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) und der frühere brandenburgische Regierungschef Matthias Platzeck (SPD). mit AG/dpa/AFP