Autoproduktion und CO2-Reduzierung: Grüner Stahl ist teuer
Autos bestehen zur Hälfte aus Stahl, das wird sich kaum ändern. Doch das Kernmaterial in der Produktion muss künftig klimafreundlich produziert werden.
Wenn das Auto als vernetztes, digitales „Smartphone auf Rädern“ bezeichnet wird, beschreiben die Hersteller eine Welt, in der es Stahl und Aluminium nicht mehr zu geben scheint. Doch diese Welt existiert nicht. Auch das Mobile Device der Zukunft wird ein fahrendes Vehikel sein, das eine Karosserie hat, einen Antrieb, ein Fahrwerk und Räder.
Eine Limousine setzt sich heute nach Herstellerangaben im Durchschnitt zu 50 bis 60 Prozent aus Stahl zusammen. Der Aluminiumanteil hat sich in den letzten Jahren deutlich auf mehr als zehn Prozent erhöht. Ein Großteil der rund 10 000 Teile, aus denen ein Auto aktuell noch besteht, entfällt also auf diese Werkstoffe. Mit einem Anteil von 26 Prozent ist die Autoindustrie (nach der Bauwirtschaft) der größte Abnehmer der deutschen Stahlindustrie. Für die zuletzt 4,6 Millionen hierzulande produzierten Pkw werden etwa 3,7 Millionen Tonnen Stahl benötigt.
Die hohen Treibhausgasemissionen, die mit der Herstellung und Verarbeitung von Stahl verbunden sind, belasten die Autobauer und ihre Klimabilanz. Von einer „der größten Herausforderungen in der Automobilindustrie auf dem Weg zur CO2-Neutralität“ spricht Markus Schäfer, Forschungs- und Entwicklungsvorstand bei Daimler.
Etwa 30 Prozent der CO2-Emissionen in der Produktion einer Mercedes-Limousine entfallen laut Daimler auf Stahl. Branchenweit ist der Anteil der Treibhausgasemissionen in der Karosserie- und Motorherstellung noch höher. Nimmt man nur die Karosserie eines Diesel-Fahrzeugs, liegt der Anteil des Stahls an den Emissionen bei 46 Prozent, wie eine aktuelle Studie des Öko-Instituts zeigt. Bei der Herstellung des Fahrzeugantriebs sei die Aluminiumherstellung (für das Motorgehäuse) mit rund 46 Prozent dominierend.
Beim batterieelektrischen Auto verschieben sich die Relationen. Volkswagen gibt an, dass beim ID.3 40 Prozent der CO2-Emissionen auf die Batterieherstellung entfallen. Auf Platz zwei: Stahl, mit mehr als 18 Prozent, auf Platz drei: Aluminium (knapp sechs Prozent).
Bundeswirtschaftsminister droht mit Quoten
Die Herausforderung, vor der die gesamte Autoindustrie steht, liegt darin, das Auto nicht nur im Betrieb, sondern auch in der Herstellung bis spätestens 2050 klimaneutral zu stellen. Aber „grünen Stahl“, der ohne den Ausstoß von CO2 hergestellt wird, gibt es noch nicht – oder nur in homöopathischen Mengen.
Die politischen Rahmenbedingungen zwingen die Automobilbranche heute schon zum Handeln. Womöglich werden im Zuge der Verschärfung der nationalen Klimaziele die Vorgaben für die Autoproduktion deutlich restriktiver. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) schreckte die Hersteller Anfang des Jahres mit der Idee einer Quote für die Verwendung von grünem Stahl auf. Offen sei jedoch noch die entscheidende Frage: Wer trägt die zusätzlichen Kosten – Automobil- oder Stahlindustrie?
„Eine Grünstahl-Abnahmequote für die Automobilindustrie ist genauso abzulehnen wie eine Anrechnung von grünem Stahl im Rahmen der CO2-Flottengesetzgebung“, weist Daimler Altmaiers Überlegungen zurück. „Grüner Stahl ist auf dem Markt noch nicht verfügbar“, sagt eine Daimler-Sprecherin. „Wir arbeiten aber mit allen unseren Lieferanten daran, die CO2-Emissionen zu reduzieren und eine grüne Stahllieferkette aufzubauen.“ Schon im Jahr 2025 will Mercedes-Benz Fahrzeuge mit grünem Stahl auf den Markt bringen.
Beteiligungen an Start-ups
Ein erster Schritt: Ende Mai beteiligte sich der Stuttgarter Konzern mit einem einstelligen Millionenbetrag an dem schwedischen Start-up H2 Green Steel (H2GS). Das Unternehmen setzt bei dem neuen Verfahren zur Stahlproduktion Wasserstoff und Strom aus 100 Prozent erneuerbaren Energien anstelle von Kokskohle ein. Der Konzern ist darüber hinaus – ebenso wie BMW – Mitglied der Responsible Steel Initiative, die sich für die Entwicklung eines zertifizierbaren Nachhaltigkeitsstandards für die Stahlindustrie einsetzt. Bund und Länder schieben die von Grünstrom und Wasserstoff getriebene Transformation an. Mehrere Milliarden werden im Rahmen des gemeinsames Wasserstoff-Großprojekts der EU an die Stahlkocher vergeben. Alle in Deutschland tätigen Stahlerzeuger haben laut Bundeswirtschaftsministerium Investitionsvorhaben eingereicht.
Wirtschaftlich muss es auch für die Autobauer bleiben. CO2-Vermeidung in der Stahlproduktion ist noch sehr teuer. Eine Studie der Agora Energiewende rechnete 2020 mit Vermeidungskosten von 99 bis 165 Euro pro Tonne CO2 für einen Betrieb mit Wasserstoff und 60 Euro pro Tonne CO2 für den Betrieb mit Erdgas.