Berliner Computerhändler: Gravis kommt Apple nicht hinterher
Es begann mit einer Anzeige im Tagesspiegel. Heute wächst der deutsche Apple-Händler Gravis unaufhaltsam - fast schon zu schnell für das Berliner Unternehmen. Bald gibt es neue Berliner Gravis-Filialen.
Die Geschichte begann 1986 mit einer Anzeige im Tagesspiegel. Zwei ehemalige TU-Studenten lockten damit Kunden in einen 30 Quadratmeter kleinen Laden in Berlin-Moabit. Zur Eröffnung warben sie mit drei Paketen. Die enthielten je einen Apple-Macintosh- Computer mit Drucker und Software. Das kleine „Startpaket“ kostete 8998 Mark. Das „Desktop Publishing Paket“ für Profis gab es nicht unter 49 998 Mark. Wer einen Mac wollte, zahlte schon vor 24 Jahren gutes Geld.
Es war die Geburtsstunde der Firma HSD, Vorläuferin der Gravis AG, dem größten deutschen Händler für Produkte des US-Computerkonzerns Apple. Archibald Horlitz, einer der Gründer und heute Vorstandschef, erzählte die Geschichte vor einigen Tagen vor Mitgliedern des Vereins Berliner Kaufleute und Industrieller. Und er erklärte, wie das unheimliche Wachstum seines Lieferanten seinem mittelständischen Unternehmen auch Probleme bereitet.
Der US-Konzern hat im abgelaufenen vierten Quartal seines Geschäftsjahres seinen Umsatz wieder um rund zwei Drittel gegenüber dem Vorjahr auf einen Rekordwert von 20,3 Milliarden Dollar (14,6 Milliarden Euro) gesteigert. „Der Apple-Markt wächst schneller, als wir wachsen können“, sagte Horlitz und prognostizierte erstmals öffentlich, dass Gravis in diesem Geschäftsjahr 170 Millionen bis 180 Millionen Euro umsetzen werde, nach 125 Millionen im Jahr 2009.
Bei Apple fragen Beobachter schon länger, wann die Grenzen des Wachstums erreicht sind: Apple-Rechner waren vor 20 Jahren eher etwas für eigenwillige Technikfreunde, erst später wurden sie kultig, hip und trendy genannt. Heute aber, wo Apple in China immer mehr Rechner, Telefone und Musikspieler für den globalen Massenmarkt produzieren lässt, mehren sich die Stimmen, die vor dem Geschäftsgebaren des aufgeblähten Konzerns warnen. Apple ist mit einem Börsenwert von mehr als 290 Milliarden bereits das zweitteuerste Unternehmen der USA – nach dem Energiekonzern ExxonMobil.
Auch Gravis mit 750 Mitarbeitern in Läden, Werkstätten und Callcentern ist keine kleine Bude mehr. Die Kette betreibt 28 Filialen bundesweit. Ende 2012 sollen es 50 sein, gab Horlitz als Ziel vor. Berlin solle neben dem Haupthaus am Ernst-Reuter-Platz und der neuen Filiale in Steglitz eine weitere in Friedrichshain oder Prenzlauer Berg bekommen, weil hier 40 Prozent der Berliner Gravis-Kunden wohnten. Man suche derzeit eine passende Immobilie, sagte Horlitz. „Und wir suchen einen strategischen Investor, der unser Wachstum unterstützt.“
Die größeren Filialen von Gravis führen bis zu 800 Zubehör-Produkte: Taschen und Lautsprecher für MacBooks, Hüllen und Kopfhörer fürs iPhone, alle erdenklichen Kabel, Adapter und Zusatzprogramme. Zu jedem iPod oder iPhone verkauft Gravis im Schnitt 4,2 solcher Artikel, verriet Horlitz. Überdies verkauft Gravis drei von vier Computer-Kunden gleich einen Reparaturvertrag mit, der Apples knauserige Garantie auf bis zu drei Jahre verlängert.
Gravis profitiert und leidet zugleich unter Apples technischer Entwicklung: Je größer Apple wurde, desto mehr verklebte der Hersteller bei jedem neuen Modell mehr Bauteile miteinander. Der neue tastenfreie Computer iPad ist so konstruiert, dass man ihn sogar für einen banalen Akku-Austausch zu einem lizensierten Technikservice schicken muss. „Früher, da konnten unsere Techniker noch mehr an den Einzelteilen machen“, räumte Horlitz nach seinen Vortrag vor den Berliner Unternehmern ein.
Horlitz sucht noch nach der idealen Mischung aus Nähe und Distanz zu seinem Lieferanten Apple. Gewinnen Kritiker des Apple-Gurus Steve Jobs die Oberhand, muss Gravis sich etwas einfallen lassen. Horlitz übt sich schon mal in Kritik an Apples Versuchen, Nacktfotos und andere Inhalte aus allen Programmen zu verbannen: „Apple kann sich keine Zensur herausnehmen. Ich sehe nicht ein, dass irgendein Hiwi in einem Hinterzimmer der Zentrale in Cupertino entscheidet, was ich sehen soll.“