Agrarstrategie der Bundesregierung: Glückliche Tiere, gesunde Böden, zufriedene Bauern
Umweltministerin Steffi Lemke und Agrarminister Cem Özdemir wollen künftig an einem Strang ziehen und versprechen einen „neuen Aufbruch“ in der Landwirtschaft.
Cem Özdemir ist Fan des Fußball-Bundesligisten VfB Stuttgart. Und so ist es kein Zufall, dass der neue Grünen-Agrarminister die Welt des Fußballs bemüht, um neue Allianzen in der Politik zu beschreiben. Statt einer Fanfreundschaft, wie es sie unter befreundeten Fangruppen verschiedener Fußballclubs gibt, will Özdemir gemeinsam mit seiner Parteifreundin, der Umwelt- und Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke, eine „Hausfreundschaft“ von befreundeten Häusern begründen. Anders als in der vergangenen Legislaturperiode, in der sich die damalige Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) manche Fehde geliefert hatten, sollen sich die beiden Ministerien nicht mehr blockieren, kündigte Özdemir am Dienstag bei einem gemeinsamen Auftritt mit Lemke im Vorfeld eines virtuellen Agrarkongresses des Bundesumweltministeriums an.
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„Die Zeit ist reif, um Landwirtschaft, Klima- und Naturschutz unter einen Hut zu bekommen“, sagte Özdemir. Gemeinsam mit Lemke strebt er eine Neuausrichtung in der Landwirtschaft an. „Diese Regierung ist angetreten als Fortschrittsbündnis für Gerechtigkeit, für Freiheit, für Nachhaltigkeit und für eine klimaneutrale, nachhaltige Zukunft“, betonte Lemke und kündigte einen „neuen Aufbruch“ und eine „neue strategische Allianz“ zwischen Umwelt und Landwirtschaft an, die auch den Verbrauchern zugute komme.
Dafür sollen Landwirte bezahlt werden
So sollen Landwirte künftig mehr für den Umwelt- und Naturschutz tun und dafür entlohnt werden. Das soll soweit möglich, bereits im Rahmen des nationalen Strategieplans berücksichtigt werden, mit dem die europäische Agrarförderung (GAP) umgesetzt werden soll. Özdemir will diesen Plan möglichst im Februar vorlegen.
Mit den Grundzügen der GAP-Reform, die noch unter der Vorgängerregierung verhandelt worden ist, sind Lemke und Özdemir jedoch nicht zufrieden. Denn nach wie vor fließt ein Großteil der Subventionsmilliarden über Flächenprämien an die größten Betriebe. Das soll sich ändern. Die Direktzahlungen wollen Lemke und Özdemir bei der nächsten Reform der Agrarförderung abschaffen und sie durch Programme ablösen, die Landwirte für mehr Tier-, Umwelt- und Naturschutz entlohnen. Die im vergangenen Jahr auf EU-Ebene mühselig beschlossene GAP-Reform will der Agrarminister jedoch nicht mehr rückgängig machen - mit Blick auf die Einkommenssicherheit der Bäuerinnen und Bauern.
Doch die sollen in Zukunft anders wirtschaften als heute. Noch in diesem Jahr soll das neue Tierwohllabel auf den Markt kommen, das zeigt, wie Nutztiere gehalten und geschlachtet worden sind. Höhere Preise für mehr Tierwohl, versichert Özdemir, müssten aber bei den Bauern ankommen. „Weniger Tiere heißt weniger Ertrag“, das müsse kompensiert werden. Wie das genau gehen soll, lässt Özdemir jedoch offen. Daran werde derzeit gearbeitet.
Soziale Gerechtigkeit ist nicht nur eine Preisfrage
Schon kurz nach seinem Amtsantritt hatte der Agrarminister ein Ende der Ramschpreise für Lebensmittel gefordert und dafür viel Kritik von den Sozialverbänden kassiert. Am Dienstag konterte Özdemir. Soziale Gerechtigkeit bedeute auch, dass Menschen in der Fleischindustrie zu besseren Bedingungen arbeiten und dass Bäuerinnen und Bauern für ihre Produkte angemessen entlohnt werden. Die Landwirtschaft müsse den Landwirten ein sicheres Einkommen verschaffen und gesunde Lebensmittel für alle bieten. Mehr Tierwohl bedeute auch mehr Klimaschutz, sagte Özdemir.
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Das sieht auch Lemke so. Um den Klima- und Naturschutz zu verbessern, plant sie ein Aktionsprogramm, das bis Ostern stehen soll. Moore, humusreiche Böden, Auen und Wälder speichern viel Kohlenstoff und sollen daher gefördert werden. In vier Pilotprojekte, die sich mit dem Moorschutz beschäftigen, will Lemke in den nächsten zehn Jahren 48 Millionen Euro investieren.
Zur neuen Strategie gehört auch ein „umwelt- und naturverträglicherer“ Einsatz von Pestiziden. Bis Ende 2023 will Deutschland das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat vom Markt nehmen. Lemke und Özdemir hoffen, in der EU die nötige Mehrheit dafür zu bekommen, dass Glyphosat keine weitere Zulassung bekommt. Was passiert, falls das nicht gelingt, darüber denke sie derzeit noch nicht nach, so Lemke. Heike Jahberg