Welthandel - TTIP: Globalisierung braucht Regeln, keine Denkverbote
„Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten", sagt Willy Brandt. Das gilt auch für TTIP, meint der SPD-Abgeordnete Dirk Wiese.
Eins vorab: Ohne die TTIP-kritischen Organisationen, Verbände und Gewerkschaften hätten wir heute keine so fundierte Debatte über das Für und Wider von Freihandelsabkommen. Während sich früher nur eine Handvoll Spezialisten für Themen der internationalen Handelspolitik interessierte, findet heute eine breite Diskussion darüber statt, wie wir die Globalisierung gestalten wollen. Leider hat es dieses Interesse bei den über 100 bereits ratifizierten Freihandelsabkommen der Bundesrepublik Deutschland so nicht gegeben. Doch jetzt wird debattiert, Argumente werden ausgetauscht und das ist gut und richtig.
Eine einseitige Stigmatisierung des Westens, allen voran der USA, hilft nicht weiter
Die Debatte braucht aber weniger Feindbildpflege und mehr sachliche Argumente. Eine einseitige Stigmatisierung des Westens, allen voran der USA, hilft nicht weiter und ist schwer nachvollziehbar. Warum wird nicht auch über das Für und Wider der Abkommen der EU mit Vietnam, Singapur, Japan oder Indien diskutiert? Warum fragt keiner nach dem Investitionsschutzabkommen mit China? Wieso wird nicht öffentlich über das Pro und Contra einer Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok debattiert? Und was tut sich in anderen Regionen dieser Welt? Allein in der Asien-Pazifik Region sind über 100 Freihandelsabkommen in Kraft, über 75 derzeit in Verhandlung. Dazu kommt ein Wettlauf zwischen den Abkommen TPP (Trans-Pacific-Partnership) und RCEP (Regional Comprehensive Economic Partnership). Oder FTAAP, ein Konzept zu einer Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft, beschlossen bereits 2006 beim APEC-Gipfel. Jedes dieser Abkommen verdient eine öffentliche Debatte, aber nur TTIP bewegt die Gemüter.
Für die SPD-Bundestagsfraktion ist klar: Globalisierung braucht Regeln, keine Denkverbote
Für die SPD-Bundestagsfraktion ist klar: Globalisierung braucht Regeln, keine Denkverbote. Hier gilt Willy Brandts Diktum: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“ Wir wollen an der Gestaltung der Regeln aktiv mitwirken und unsere sozialdemokratischen Ideen und Konzepte einbringen. Auch die SPD Grundwertekommission meint, dass unter der Bedingung verantwortlicher politischer Gestaltung, Freihandel auch zum Abbau der globalen Ungleichheit beitragen kann.
Ich bin überzeugt: Nur aktive Gestaltung und engagierte Mitarbeit ermöglichen kluge Lösungen für unsere Bürgerinnen und Bürger: gute Arbeitsplätze vor Ort; eine tatsächliche Stärkung der ILO-Kernarbeitsnormen und einen internationalen Handelsgerichtshof bei Investitionsstreitigkeiten zwischen Rechtstaaten, wie ihn Sigmar Gabriel vorgeschlagen hat. Auch die umkämpfte Reform der Schiedsgerichtsbarkeit bei nicht vergleichbaren Rechtsstaaten ist dringend erforderlich, denn Ungerechtigkeiten dürfen sich auch hier nicht festsetzen. Die Ratifizierung der Mauritius-Konvention in diesem Jahr ist dabei ein wichtiger Schritt gewesen.
Die Parole "Stoppt TTIP" suggeriert, dass es einfache Antworten auf komplizierte Fragen gibt
„Stoppt TTIP“ – diese Parole ist verführerisch. Sie suggeriert, dass es einfache Antworten auf komplizierte Fragen gibt. Die gibt es aber meistens nicht. Der Welt hört nicht auf, sich zu drehen, weil Deutschland oder die EU anhalten will. Sie dreht sich einfach weiter, auch ohne uns. Würden wir die Verhandlungen stoppen, dann gestalten zukünftig andere die Globalisierung, setzen ihre Regeln und Standards und die EU und ihre Mitgliedsstaaten würden ihren Gestaltungsanspruch aufgeben. Diese Art demonstrativer Ablehnung zeigt keine Stärke, sie kommt einer Kapitulation gleich. Wir müssen deshalb mit starker Stimme präsent am Verhandlungstisch bleiben.
Wie geht es bei TTIP und CETA weiter? Der heraufziehende US-Präsidentschaftswahlkampf bestimmt den Zeitplan. 10 von 27 Verhandlungsrunden sind gelaufen. Bis zum Jahresende wird daher ein Memorandum of Understanding (MoU) angestrebt. Darin sollen der derzeitige Verhandlungsstand und etwaige Einigungen festgehalten werden. Aber es soll auch deutlich gemacht werden, was nicht Gegenstand der Verhandlungen ist. Das Memorandum ist sinnvoll, da man damit einen handfesten Zwischenstand für die Diskussionen hat. Daran können sich dann die Verhandlungspartner orientieren und Themen abarbeiten.
Die SPD sieht klar die Chancen, aber auch die Risiken, die mit TTIP verbunden sind
CETA befindet sich zurzeit noch im Verfahren des sogenannten „legal scrubbing“, das heißt es wird juristisch abgeklopft. Nach Abschluss erfolgt die Übersetzung in die Amtssprachen der EU. Die Resolution des Europäischen Parlaments und die Reformvorschläge von Prof. Krajewski im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums haben klare Kante gezeigt und lassen sich im CETA-Abkommen aus meiner Sicht noch einarbeiten. Hier muss die Kommission jetzt liefern. Die kommenden Wahlen in Kanada eröffnen möglicherweise neue Möglichkeiten. Die SPD ist die einzige Partei im Deutschen Bundestag, die sich intensiv mit dem Für und Wider auseinandersetzt. Wir sehen klar die Chancen, aber auch die Risiken, die mit TTIP verbunden sind. Wir streben nicht nach einem Abkommen um jeden Preis, sondern nach einem guten Abkommen für die Menschen. Auch wenn ich die grundsätzliche Haltung der TTIP-Gegner nicht teile: es ist gut, dass sie am 10. Oktober auf den Straßen Berlin Flagge zeigen und öffentlichen Druck erzeugen. Sie setzen damit ein klares Signal an die Verhandlungsführer, dass die Globalisierung klare Regeln im Sinne der Menschen brauchen. Wenn das die Leitlinie der Verhandlungen ist, kommen wir am Ende auch zu einem guten und fairen Abkommen.
Dirk Wiese ist Mitglied der Bundestagsfraktion der SPD.
Dirk Wiese