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Arbeiter im VW-Werk Chattanooga, Tennessee.
© picture alliance / dpa

Amazon, VW, BMW: Gewerkschaftsfreie Zonen in den USA

Warum so viele Beschäftigte in den Südstaaten der USA gegen eine organisierte Arbeitnehmervertretung in ihren Betrieben stimmen.

Da staunt der Laie, und der deutsche Gewerkschaftsfachmann wundert sich: Amerikanische Beschäftigte stimmen gegen die Bildung einer Gewerkschaft in ihrem Betrieb wie gerade bei Amazon in Alabama geschehen? Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen.

Schnell ist dann von unzulässigem Druck der Arbeitgeber die Rede. Jedenfalls in Berichten deutscher und europäischer Medien. Menschen, die in den USA leben, reagieren weniger überrascht. Dort sprechen sich Arbeitnehmer vor allen in den Südstaaten ziemlich regelmäßig gegen die Organisation in einer Gewerkschaft aus. Diese Art der Interessenvertretung ist dort nicht so gut beleumundet wie in Deutschland mit seiner jahrzehntelangen erfolgreichen Tarifpartnerschaft.

Das erfuhr auch Volkswagen in seinem neuen Werk in Chattanooga, Tennessee. Der Konzern hat in vielen Ländern gute Erfahrungen mit organisierten Arbeitnehmervertretern. Doch die Belegschaft in Chattanooga lehnte den Antrag der United Auto Workers (UAW), in dem Betrieb Fuß zu fassen, zwei Mal ab, 2014 und 2019, wenn auch mit knapper Mehrheit.

Fast drei Mal mehr Neins als Jas

Die Abstimmung der Amazon-Beschäftigten in Alabama am vergangenen Freitag endete mit einer weit klareren Schlappe der Handelsgewerkschaft RWDSU. In dem Betrieb arbeiten 5800 Menschen. 3200 nahmen an der Abstimmung teil. 1798 stimmten gegen eine Gewerkschaft und nur 738 dafür. 

Ihr Wahlrecht nutzten die Mitarbeiter dieses Amazon-Lagerhauses in den USA, um gegen Gewerkschaften zu stimmen.
Ihr Wahlrecht nutzten die Mitarbeiter dieses Amazon-Lagerhauses in den USA, um gegen Gewerkschaften zu stimmen.
© Jay Reeves/AP/dpa

Amazon und Volkswagen sind keine Einzelfälle. Der Widerwille gegen Gewerkschaft sitzt in den USA tief. Er speist sich teils aus prinzipiellen Einstellungen zur Rolle von Staat, Privatwirtschaft und Bürgern, teils aus negativen Erfahrungen mit Gewerkschaften über die Jahrzehnte.

Auch bei BMW und VW USA gibt es keine Gewerkschaften

Auch im BMW-Werk in Spartanburg, South Carolina, gibt es keine Gewerkschaft. Der von den Republikanern dominierte Südstaat wirbt damit, dass Gewerkschaften dort nicht erwünscht sind. Und nennt sich in Abgrenzung zu den klassischen Industriestaaten im Norden der USA, wo die Gewerkschaften stark sind und politisch zumeist die Demokraten unterstützen, einen „Right to work State“. Gewerkschaften, so die indirekte Botschaft, seien hinderlich bei der Schaffung von Arbeitsplätzen.

Jeder ist seines Glückes Schmied, lautet eine gängige Überzeugung in den USA. Privates Unternehmertum wird in den USA positiver betrachtet als in Deutschland, der Staat und seine Tendenz zur Regulierung hingegen negativer.

Die Gewerkschaften im öffentlichen Sektor gelten in den USA als Verhinderer notwendiger Veränderungen. In der Auseinandersetzung um überzogene Polizeigewalt, den Tod von George Floyd und „Black Lives Matter“ sperrte sich die Polizeigewerkschaft gegen Reformen. Sie verbündete sich mit dem damaligen Präsidenten Donald Trump gegen die Demokraten.

Polizei und Schulen: Die "Unions" gelten als Blockadekräfte

Große Bevölkerungsgruppen nehmen auch die Gewerkschaften Bildungssektor als Blockierer überfälliger Reformen wahr und als Verteidiger egoistischer Gruppeninteressen auf Kosten der Gesamtgesellschaft. Nicht das Wohl der Schüler und bestmögliche Bildungserfolge seien ihr Ziel, sondern die Abschirmung der Lehrerschaft von Kritik, Überprüfungen der Leistung und Reformwünschen.

Im Bereich der Privatunternehmen hat insbesondere die Autogewerkschaft zum negativen Narrativ beigetragen. Der Großraum Detroit in Michigan war einst das Herz der amerikanischen Autoindustrie. Und die war bis in die 1970er Jahre der globale Platzhirsch der Branche. Die Arbeiter waren zum Großteil Mitglieder der mächtigen United Auto Workers.

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Dann kam die Ölkrise. Und die Konkurrenz aus Asien, zunächst aus Japan, dann Korea, wurde stärker. Die USA wehrten sich unter dem Druck der UAW mit Protektionismus, voran Strafzöllen auf Stahl und Autos, um die eigenen Konzerne zu schützen. Das half für ein paar Jahre, schadete mit der Zeit aber umso mehr.

Neue Autofabriken entstehen in den Südstaaten statt um Detroit

Der Protektionismus habe den Druck von der US-Autoindustrie genommen, sich zu modernisieren, ist die Lehre im Rückblick. Das ganze Land erlitt Schaden, weil die Gewerkschaften einen falschen Kurs erzwangen.

Skandale um geplünderte Pensionskassen und um Altersversorgungen für Arbeiter, die Gewerkschaften wieder preisgaben, wenn Betriebe Pleite zu gehen drohten, trugen zum schlechten Image bei.

Neue Autofabriken siedelten die amerikanischen und ausländischen Hersteller in den folgenden Jahrzehnten bevorzugt in den Südstaaten an. Dort warben zumeist republikanische Gouverneure damit, dass sie „gewerkschaftsfrei“ seien. Die Erzählung von den „schädlichen“ Gewerkschaften ist USA-spezifisch. Aber sie wirkt bis heute.

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