Streit um Freihandelsabkommen Ceta: Gewerkschafter stellen sich gegen Gabriel
Der Streit um das Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada belastet die gerade erst wieder entspanntere Beziehung von SPD und DGB.
Frank Bsirske führt mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi einen ziemlich heterogenen Laden, den Bsirskes Kollegen aus der Industrie gerne als „Bewegungsgewerkschaft“ verspotten. Tatsächlich hat Bsirske keine Berührungsängste, wenn es mit Attac, Oxfam oder irgendwelchen Naturfreunden für weltweite Gerechtigkeit und sozial orientiertes Wirtschaften gegen Kapitalismus pur geht. An diesem Dienstag tritt Bsirske unter anderem mit Vertretern von Brot für die Welt, dem Deutschen Kulturrat und dem Paritätischen Wohlfahrtsverband in Berlin auf, um die spätsommerlichen Proteste gegen die Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) einzuläuten. Am 17. September gibt es dann in den sieben größten deutschen Städten Demonstrationen, weil die Abkommen „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu untergraben drohen“, wie der aus 30 Organisationen bestehende Trägerkreis der Proteste meint. Zu den Organisationen gehört auch der DGB.
Und zum DGB wiederum gehört auch die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE). Deren Vorsitzender Michael Vassiliadis hat sich vor vier Wochen im „Spiegel“ ganz anders positioniert, als das Bsirske tut. „Gerade Deutschland hat ein großes ureigenes Interesse an Handelsabkommen“, sagte Vassiliadis und plädierte für die Unterzeichnung von Ceta, da „Kanada alle Normen der Internationalen Arbeitsorganisationen akzeptiert“. Für seine Kollegen im DGB, Bsirske inklusive, hatte Vassiliadis einen guten Rat angesichts der aufwallenden Stimmung gegen die Handelsabkommen: „Generell müssen die Gewerkschaften aufpassen, dass sie nicht in einem emotionalen Kampagnenmodus gefangen bleiben.“
Vassiliadis’ Argumentation hat jedoch zumindest eine formale Schwäche: Als der DGB-Vorstand im Frühjahr einstimmig für die Demo am 17. September votierte, stimmte auch der Vertreter der IG BCE dafür, weil er offenbar nicht richtig im Film war. Auch die IG Metall schloss sich an. Was das Abkommen TTIP mit den US-Amerikanern betrifft, sind die Gewerkschaften in ihrer ablehnenden Haltung einig. Bei Ceta ist das anders, die Lage ist unübersichtlich.
Die IG Metall hält sich zu dem Thema auffällig zurück. Das ist erstaunlich, denn die größte Gewerkschaft Europas hat mit Abstand die meisten ihrer 2,3 Millionen Mitglieder im Fahrzeug- und Maschinenbau – und deren Produkte gehen zu rund drei Viertel in den Export. Sowohl die Verbände der Autoindustrie als auch des Maschinenbaus betonten immer wieder die Bedeutung der Freihandelsabkommen. Die Metallgewerkschaft jedoch und ihr Vorsitzender Jörg Hofmann bleiben beim Thema Ceta stumm und überlassen Bsirske die Bühne.
Der Verdi-Vorsitzende hat Angst um seine „Geschäftsfelder“, also den öffentlichen Dienst, etwa Krankenhäuser und Pflegeheime. Wenn künftig auf der Grundlage des Ceta-Abkommens ausländische Investoren mehr Möglichkeiten hierzulande haben und im Bereich der Daseinsvorsorge Geschäfte machen wollen, dann befürchtet Verdi die Privatisierung öffentlicher Leistungen. Und eine Mietpreisbremse sei künftig auch nicht mehr möglich, wenn dadurch die Investoreninteressen berührt wären, heißt es bei Verdi. Grundsätzlich stehen mit Ceta künftig alle öffentlichen Dienstleistung für private Wettbewerber offen – es sei denn, die Dienstleistungen sind auf einer Liste explizit aufgeführt und mithin für den Wettbewerb nicht geöffnet. „Eine Überprüfung, ob wichtige, schützenswerte Bereiche vergessen wurden, ist schwer möglich“, heißt es beim DGB über die hunderte Seiten umfassende Negativliste.
Bundwirtschaftsminister und SPD- Chef Sigmar Gabriel bemüht sich am 19. September auf einem kleinen Parteitag in Wolfsburg um die Zustimmung der Sozialdemokraten für Ceta. Indem er bereits vor Monaten auf Distanz zu TTIP ging, wollte er die Ceta-Chancen erhöhen. Wegen der Parteilinken und der Gewerkschaften könnte Gabriel dennoch scheitern. Ausgerechnet Gabriel, der in den letzten Jahren viel unternommen hat, um die von Gerhard Schröder beschädigte Beziehung zu den Gewerkschaften zu reparieren. Ein Beispiel aus jüngster Zeit ist die Ministererlaubnis für die Übernahme von Kaiser’s Tengelmann durch Edeka – wie sie von Bsirske befürwortet wird.
Der Streit um Ceta belastet nicht nur das Verhältnis DGB–SPD, sondern bedroht auch Gabriel. „Diejenigen, die man mobilisiert, die mobilisiert man am Ende auch gegen die SPD und gegen Gabriel“, sorgt sich ein Gewerkschafter und vermisst „strategischen Weitblick“ bei Bsirske und den anderen Protestlern.
Im vergangenen Oktober gingen in Berlin mehr als 150 000 Demonstranten vor allem gegen TTIP auf der Straße, darunter die meisten führenden Gewerkschafter. Es kamen viel mehr als erwartet. Und am 17. September, zwei Tage vor Gabriels Parteikonvent, rechnen die Veranstalter wiederum mit mehr als 100 000 beim Marsch gegen Ceta und Gabriel. Frank Bsirske wird dabei sein, Michael Vassiliadis nicht. Alfons Frese