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Die Wirtschaftsforscher sprachen sich auch für eine "Senkung der Abgabenlast" aus.
© doris spiekermann-klaas

Konjunkturprognose: Geht der Wirtschaft die Luft aus?

Das Wachstum ist schwächer als erwartet, sagen Deutschlands führende Institute. Das mag am Brexit und an Trump liegen. Doch einige Probleme sind hausgemacht

Berlin - Das größte Hindernis für die Konjunkturprognose war am Donnerstag Recep Tayyip Erdogan. Denn der Kurier, der den Bericht der fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute pünktlich um neun Uhr ins Haus der Bundespressekonferenz in Berlin bringen sollte, war irgendwo zwischen den Straßensperrungen zum Besuch des türkischen Präsidenten stecken geblieben. Um zehn Uhr gab man die Hoffnung auf, das Gutachten heute noch in die Hände zu bekommen, und so mussten sich die anwesenden Journalisten mit den Worten der fünf Wirtschaftswissenschaftler begnügen, die ihre Gemeinschaftsprognose vorstellten.

Doch auch so wurde die Botschaft deutlich: Der Aufschwung verliert an Fahrt, das wirtschaftliche Klima wird rauer. Die Forscher senkten ihre Wachstumsprognose für das Jahr 2018 auf 1,7 Prozent. Im Frühjahr waren sie noch von einem Wachstum von 2,2 Prozent ausgegangen. Steht das Ende des Aufschwungs bevor?

AUFSCHWUNG IN DER VERLÄNGERUNG

Einen Einbruch der Konjunktur erwarten die Forscher nicht. Für das kommende Jahr sagen sie ein Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent, für 2020 von 1,8 Prozent voraus. Doch es ist ein verhaltener Blick, mit dem sie in die Zukunft schauen. Die größten Probleme seien aktuell der Fachkräftemangel und negative Entwicklungen bei Deutschlands Handelspartnern. „Die Nachfrage aus dem Ausland ist schwächer geworden, gleichzeitig haben Unternehmen offenbar zunehmend Probleme, genügend Arbeitskräfte für ihre Produktion zu finden“, fasst Roland Döhrn, Konjunkturchef des Essener RWI-Instituts, zusammen.

Um diese Probleme zu lösen, nehmen die Forscher die Politik in die Pflicht. Die Bundesregierung kritisierten sie für kurzsichtige Maßnahmen. So sei etwa das auf drei Jahre angelegte Baukindergeld nicht geeignet, den Wohnungsbau anzukurbeln. Stattdessen sollte die Regierung Maßnahmen in die Wege leiten, die langfristig wirken, etwa im Bildungsbereich oder der Integration von Migranten in den Arbeitsmarkt. Mit kurzfristigen Aktionen habe die Bundesregierung den Aufschwung lediglich „in die Verlängerung geschickt“, sagt etwa Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Genug Geld sollte dafür eigentlich vorhanden sein. Trotz steigender Ausgaben rechnen die Institute in diesem Jahr mit einem Rekordüberschuss im Staatshaushalt von rund 54 Milliarden Euro. Die Gutachter rechnen zudem mit einem anhaltenden Jobboom. 2020 soll es rund 45,6 Millionen Beschäftigte geben, etwa 1,3 Millionen mehr als im vergangenen Jahr. Zugleich soll die Arbeitslosigkeit unter die Zwei-Millionen-Grenze fallen. Die Inflationsrate, die in diesem September bei unerwartet hohen 2,3 Prozent lag, wird den Forschern zufolge nicht markant ansteigen. Sie rechnen in den nächsten Jahren mit Werten zwischen 1,7 und 1,9 Prozent.

LUST AM KONSUM

Die Verbraucher konnte die Inflation in den vergangenen Monaten ohnehin nicht vom Shoppen abhalten. In Deutschland zeigen sich die Bundesbürger nach wie vor spendabel. Das zeigt der jüngste Konsumklimaindex des Nürnberger Marktforschungsinstituts GfK. Dort heißt es, für das gesamte Jahr 2018 werde der private Konsum real um 1,5 Prozent zulegen. Risiken wie der Handelsstreit oder auch ein möglicher Brexit lassen die Kunden in Deutschland bislang offenbar kalt. „Das liegt daran, dass die meisten Menschen keine Auswirkungen auf die eigene Lage spüren“, sagt Konsumforscher Rolf Bürkl. „Wenn ich keine Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes habe, steigt die Planungssicherheit für größere Anschaffungen.“

Die Umfrage zeigt zudem, dass die Deutschen tendenziell mit steigenden Gehältern rechnen. Und tatsächlich deckt sich diese Einschätzung mit der der Wirtschaftsforscher. So problematisch der Fachkräftemangel für die Industrie ist, so gut könnte er für die Arbeitnehmer sein. Denn wenn qualifizierte Arbeitskräfte fehlen, steigt der Wettbewerb zwischen den Arbeitgebern und damit der Lohndruck. In dem Gemeinschaftsgutachten wird deshalb davon ausgegangen, dass Tariflöhne bis 2020 um 2,7 Prozent steigen, außertarifliche Gehälter sogar noch stärker.

RISIKO „HANDELSKRIEG“

Eine Unwägbarkeit für die Forscher stellt jedoch der Handelsstreit dar, in dem sich die USA mit verschiedenen Ländern befinden. „Eine Eskalation des Handelskonflikts dürfte in Deutschland und in Europa eine schwere Rezession auslösen“, heißt es dazu in dem Gutachten.

Wie jetzt bekannt wurde, hat US-Präsident Donald Trump nun auch mit dem japanischen Ministerpräsidenten Shinzo Abe Gespräche über ein bilaterales Handelsabkommen vereinbart. Ähnlich wie im Streit mit der EU prangert der US-Präsident auch hier das „sehr große Defizit" seines Landes im Handel mit Japan an. Erst vor wenigen Tagen hatten sich die USA und China gegenseitig mit Strafzöllen überzogen. China machte am Donnerstag neue Gespräche zur Lösung des Handelsstreits vom Verhalten der US-Regierung abhängig. Es sei schwierig, die Gespräche fortzusetzen, wenn die Vereinigten Staaten China ein Messer an den Hals hielten, sagte Vize-Handelsminister Wang Shouwen.

Derweil ist der Konflikt zwischen den USA und Kanada um eine Episode reicher geworden. US-Präsident Donald Trump erklärte am Mittwoch, er habe ein Vier-Augen-Gespräch mit seinem kanadischen Amtskollegen Justin Trudeau am Rande der UN-Vollversammlung abgelehnt. Er möge nicht, wie die kanadische Seite die Verhandlungen über die Nachfolge des nordamerikanischen Freihandelsabkommens Nafta führe, betonte Trump in aller Öffentlichkeit.

Das Problem: Die kanadische Seite habe gar nicht um ein Treffen mit Trump gebeten, stellte eine Sprecherin Trudeaus wenig später klar. Trump beeindruckt das nicht. Er betonte erneut, dass er notfalls auf Kanadas Teilnahme verzichten werde. Das Handelsvolumen der USA mit Mexiko und Kanada hat sich seit 1994 auf 1,3 Billionen Dollar fast vervierfacht. Mit dem südlichen Nachbarn hat sich Trump bereits geeinigt.

Der Handelsstreit wirkt sich inzwischen auch merklich auf die Weltwirtschaft aus. Die Welthandelsorganisation (WTO) hat wegen der US-Strafzölle und Vergeltungsmaßnahmen der betroffenen Länder ihre Prognose für das Wachstum des Welthandels deutlich gesenkt. Für 2018 seien nicht mehr – wie im April geschätzt – 4,4 Prozent, sondern nur noch 3,9 Prozent zu erwarten. Für das kommende Jahr rechnet die Organisation in Genf mit 3,7 statt 4,0 Prozent Wachstum.

US-WIRTSCHAFT BRUMMT

Doch Donald Trump liegt ja nicht nur mit anderen Staatsführern im Streit. Auch die Politik der US-Notenbank Fed ist ihm ein Dorn im Auge. Wie erwartet, erhöhte die Fed am Mittwoch bereits zum dritten Mal in diesem Jahr den Leitzins. Dieser liegt nun im Bereich von 2,0 bis 2,25 Prozent und damit einen Viertelpunkt über dem bisherigen Satz, wie die Fed nach einer Sitzung ihres für die Geldpolitik zuständigen Ausschusses in Washington mitteilte. Sie stellte zudem „weitere schrittweise Erhöhungen“ in Aussicht. Trumps Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. „Ich bin nicht glücklich damit", teilte der US-Präsident mit. Er würde lieber mit niedrigen Zinsen die Konjunktur ankurbeln.

Doch die läuft auch so auf Hochtouren. Im Frühjahr ist die US-Wirtschaft so stark gewachsen wie seit fast vier Jahren nicht mehr. Zwischen April und Juni stieg das Bruttoinlandsprodukt mit einer auf das Jahr hochgerechneten Rate von 4,2 Prozent, wie das Handelsministerium am Donnerstag mitteilte. Für das dicke Plus sorgten steigende Investitionen der Firmen, höhere Exporte und der Konsum der Amerikaner.

DIE UNBEKANNTEN RISIKEN

Neben dem Handelskonflikt mit den USA haben die Forscher in Europa zwei Pulverfässer ausgemacht: Den Brexit und die italienischen Schulden. Ein ungeordneter Brexit würde Europa teuer zu stehen kommen, warnen die Forscher. Für die Europäische Union würde die Einbuße bis zum Jahr 2030 bei rund einem Prozent liegen, wobei Deutschland wegen seiner engen Handelsverflechtung mit Großbritannien überdurchschnittlich betroffen sein dürfte. Großbritannien selbst müsste mit einem vier Prozent kleineren Bruttoinlandsprodukt rechnen, so die Forscher. Als die Sprache auf die Verschuldung Italiens kommt, lässt sich Timo Wollmershäuser vom Ifo-Institut zu geradezu dramatischen Sätzen hinreißen. Wenn die Schulden nicht mehr gezahlt werden könnten, „dann ist das etwas ganz anderes als Griechenland“, so der Forscher. „Das wäre dann eine Euro-Krise 2.0.“

Thorsten Mumme

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