Interview mit Ökonom Dennis Snower: "Gefühl, dass man sehr entfernt von der Alltagswelt der Menschen ist"
Professor Dennis Snower vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel soll die Bundesregierung bei der G20-Ratspräsidentschaft für 2017 beraten. Ein Gespräch über Think-Tanks, Brexit, Banken und Globalisierung.
Herr Professor Snower, warum sind Ihr Institut für Weltwirtschaft und das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) ausgewählt worden, die Gruppe der Think-Tank 20 zu koordinieren?
Das DIE ist schon lange im T20-Prozess involviert, hat also viel Expertise – speziell auf dem Feld der Entwicklungspolitik. Auch unser Institut für Weltwirtschaft hat natürlich eine Reputation in wirtschaftspolitischer Beratung,wir sind aber noch nicht so lange beim T20-Prozess dabei. Das IfW interessiert sich aber traditionell für die Probleme, bei denen es globale wirtschaftliche Zusammenhänge gibt und für die kein Land allein die Verantwortung übernehmen kann. Finanzkrisen, Klimawandel und Armut sollte man zusammen betrachten. Vor diesem Hintergrund veranstalten wir jedes Jahr das Global Economic Symposium. Insgesamt fühlen sich unsere Institute optimal ergänzt. Zudem empfinde ich den Austausch mit Professor Messner persönlich und intellektuell als sehr anregend.
Ihre bereits für 2017 gesetzten G20-Themen reichen von Migration, Flucht, über Energiewende und Haushaltspolitik bis zum digitalen Wandel. Wie wollen sie sich dabei nicht verzetteln?
Wir werden einen Neubeginn wagen. Wir werden im Rahmen der T20 weniger andere Institute um Meinungen bitten zu all den vielen Themen, zu denen sie Meinungen haben. Wir werden stattdessen thematische Fäden knüpfen, die für die Bundesregierung von besonderem Interesse sind. Wir werden Institute in aller Welt finden, die diese Spezialthemen bearbeiten können. Dann soll es einen Dialog mit den zuständigen Ressorts geben über die Relevanz unserer Vorschläge. In einem dritten Schritt formulieren wir Antworten. So stellen wir uns den neuen Prozess zur Unterstützung der G20 vor. Das wird nicht einfach, wir müssen uns fokussieren.
Inwieweit nimmt die Bundesregierung Einfluss auf die Inhalte?
Natürlich gewährt sie den Think-Tanks völlige Autonomie, sich mit den Themen zu befassen, die sie wollen. Aber wir wollen auch, dass sich die Debatten auf die Themen konzentrieren, auf die die jeweilige Präsidentschaft setzt. Es geht um Kohärenz der politischen Vorschläge und eine Kontinuität von der einen zu anderen Präsidentschaft. Sonst kann man realpolitisch wenig erreichen. Wir befassen uns bewusst mit den längerfristigen Themen, mit einem über Jahre laufenden Diskurs, in der Erwartung, dass man ihn auch zu Ergebnissen führen kann.
Mit welchen konkreten Instrumenten wollen Sie nachhaltige Debatten pflegen?
Eben nicht, indem wir ein möglichst dichtes Netzwerk aus möglichst vielen Think-Tanks knüpfen, bezogen auf diverse Themen. Zusätzlich zur gewohnten T20-Website, wo alle Aktivitäten dargestellt werden, soll es eine T20-Insight-Plattform geben, wo man die thematischen Fäden, die verschiedene Politikvorschläge verbinden, bequem verfolgen kann.
Welchen Mehrwert soll eine derartige Plattform konkret bieten?
Wir werden Task-Forces bilden, für die Themen, die für die Bundesregierung von besonderem Interesse sind. Die Task-Forces werden Output erzeugen: So genannte Policy Briefs, also allgemeinverständliche Zusammenfassungen von Themen. Dazu erstellen wir weitere Artikel, forschungsbasierte Analysen, Monitoring-Berichte für längerfristige Entwicklungen in verschiedenen Ländern. Die Policy Briefs sollen möglichst kurz und knapp gehalten werden, in nicht mehr als 3000 Wörtern als praktische Unterstützung für die politischen Entscheidungsträger. Das wird hoffentlich ein praktischer Mehrwert sein.
Das klingt nach sehr viel Arbeit.
Wir sind ja aber nicht die ersten, die sich mit diesen Themen befassen. Alle bisherigen Beschlüsse und Abkommen sind bereits dokumentiert und verfügbar. Es geht uns darum, diese zusammenzufassen, das bereits Erreichte zu Themen zu bündeln, um für praktische Übersichtlichkeit zu sorgen.
Zusammenfassend: Welches Ziel haben sie sich gesteckt?
Wir wollen forschungsbasierte Lösungsvorschläge zu wichtigen Problemen, die zum Großteil von der Bundesregierung bestimmt werden, entwickeln und verständlicher Form präsentieren. Sind die Ideen nicht schnell zu verdauen, kann man Probleme nur schwer lösen.
Sie haben ab nun direkten Zugang zu den mächtigsten Menschen der Welt. Was bedeutet das für Sie persönlich?
Für mich wäre es die größte Genugtuung, wenn ich das Gefühl hätte, dass ich in meinem Beruf irgendwie dem Allgemeinwohl förderlich sein kann.
Wie behält man als Berater der Mächtigen das Allgemeinwohl im Blick?
Das ist nicht ganz leicht. Wenn man sich wie ich täglich die großen Probleme der Menschheit anschaut, analysiert, Lösungsvorschläge erarbeitet, hat man oft das Gefühl, dass man sehr entfernt von der Alltagswelt der Menschen ist. Man muss dann immer wieder die Implikationen von Entscheidungen für den Alltag herunterbrechen und versuchen, die Ohnmacht der Leute zu verstehen, die wenig Einfluss auf diese großen Weltgeschehnisse haben. Wenn man wie wir jetzt die Möglichkeit hat, persönlich mit den Entscheidungsträgern aus verschiedenen Ländern um diese Fragen zu ringen, ist das eine Chance und sicher auch eine tolle Erfahrung. Und wenn es uns gelingt, den G20-Prozess dauerhaft zu begleiten, dann glaube ich, hat sich das Institut für Weltwirtschaft gefunden und ist da, wo es schon immer sein sollte.
Also ist die Koordination der T20 vor allem gut für IfW und DIE?
Auch, ja. Aber wir machen uns überhaupt keine Illusionen: Am Ende wird niemand fragen, wer all die Ideen entwickelt hat, oder wer die T20 organisiert hat? Man wird fragen: Welche Ideen sind aus der G20 herausgekommen? Das Höchste der Gefühle für ein Institut ist, wenn konkrete Ideen aufgegriffen werden. Wenn man als Institutsleiter nur die Absicht verfolgen würde, dass diese Ideen der eigenen Institution zugewiesen werden, dann ist das meistens der Tod der Initiative.
Snower über Brexit, Banken, Reiche und Rentner
Lassen Sie uns noch über Aktuelleres sprechen. Am späten Freitag kommen die Ergebnisse der Bankenstresstests. Ihr Kollege Marcel Fratzscher vom DIW Berlin erklärte, die Schieflage der italienischen Banken sei bedrohlicher als die möglichen Folgen eines Brexits.
Ich glaube, man kann mit Sicherheit nur sagen, dass man diese Frage derzeit nicht beantworten kann (lacht). Ernsthaft. Wir wissen wirklich nicht, was die Folgen eines Brexits sind – wirtschaftlich nicht, geschweige denn politisch. Wie die Schwäche der italienischen Banken zu bewerten ist, hängt hingegen sehr stark davon ab, in welchen institutionellen Raum dieses Problem angegangen wird. Wir haben bisher über eine Bankenunion geredet, auch über die Regulierung des Schattenbankensystems. Aber so richtig weit ist man damit bisher nicht gekommen. Wir haben eine gemeinsame Aufsicht aber mit der Rekapitalisierung tun wir uns sehr schwer. Und bei der gemeinsame Einlagensicherung...
...die von der Bundesregierung strikt abgelehnt wird...
Ja, aber auch dort werden wir eine gemeinsame Lösung finden müssen. Das bedeutet nicht automatisch, dass man eine Lösung braucht, mit der in der EU umverteilt wird. Aber es muss eine Lösung geben, wo es interne Kohärenz gibt. Das haben wir ganz klar gesehen in der Fiskalpolitik: Wenn eine Region eine gemeinsame Geldpolitik hat, braucht man fiskalpolitische Koordination. Sonst geht das Schuldenproblem los in verschiedenen Ländern. Um das zu verhindern, braucht man Regeln, die langfristig gewährleisten, dass die Schuldenquote nicht über 60 Prozent steigt. Und Länder müssen sich automatisch daran halten. Auch bei der Bankenunion bräuchten wir automatisch greifende Regelungen.
Mit welchem Ziel genau?
Am Ende geht es darum, die externen Kosten, die durch extensives Risikoverhalten entstehen, hauptsächlich von denen getragen werden, die das Risiko eingehen. Das haben wir versucht, innerhalb unseres Landes zu tun. Und innerhalb der EU wird man es auch tun wollen. Ein System mit Regeln, an das sich nicht Alle halten müssen, und bei dem Verstöße keine Konsequenzen nach sich ziehen, ist garantiert nicht nachhaltig.
Trotzdem nochmal zum Brexit. Haben Sie heute, fünf Wochen nach dem Referendum, einen anderen Blick auf das Thema als an jenem Morgen danach?
Mein Anfangsgefühl damals war: Das ist ein Desaster für die EU und für Großbritannien. Aber es wird eine Weile dauern, bis uns das klar ist. Dieses Gefühl hat sich bei mir seither nicht geändert. Die Kosten eines Brexit werden uns immer mehr bewusst. Was das für die Gesellschaft bedeutet, ist uns noch nicht bewusst. Man hat gesehen, dass die Zahl der Angriffe auf Ausländer in England um 400 bis 500 Prozent gestiegen ist. Das Land will sich abschotten vom Rest der Welt. Und dem sollte man keinen Nährboden bieten.
Aus dem Wahlkampf ihres Heimatlandes, den USA, hört man kaum andere Dinge.
Das stimmt! Da spielt sich mehr oder weniger dasselbe ab. In der Parteitagsrede von Donald Trump ging es nur um Furcht vor Anderen und die Spaltung der Gesellschaft.
Sind die Ursachen für Probleme wie Terror, Gewalt, Fremdenhass, die Tendenz zur Abschottung weltweit identisch? Geht es überall nicht eigentlich um Angst vor Globalisierung?
Ich glaube diese Phänomene haben zumindest ähnliche Wurzeln. Wir sollten uns daher viel mehr Gedanken machen, wie wir ein Wirtschaftssystem gestalten, in dem zwei Bevölkerungsgruppen nicht automatisch immer stärker werden: Die Machtlosen und die Abgeschotteten.
Definieren Sie diese Gruppen genauer.
Die Machtlosen – das sind Jugendliche, die sich noch so bemühen können und doch keinen Job finden. Das sind Arbeiter, die ihren Lebensstandard nicht erhöhen können, obwohl sie fleißiger werden. Diese Menschen haben keinen anständigen Vorteil von der Globalisierung und vom Wachstum der Wirtschaft und verlieren so das Interesse an der Gesellschaft.
Und die Abgeschotteten?
Das sind diejenigen, dessen Lebensstandard nicht wirklich vom Geschick der Regierenden und der Politik des Landes abhängt. Das sind die Reichen, das sind Pensionäre, dessen Einkünfte kaum von externen Schocks abhängen. Das sind Landwirte, deren Subventionen kaum schwanken. Je stärker diese beiden Gruppen – die Machtlosen und die Abgeschotteten – desto weniger Chancen hat eine Gesellschaft die Chance, das Gemeinwohl zu steigern. Angefangen mit der Bildung und Ausbildung, über die Beschäftigungs- und Wohlfahrtspolitik sollten wir uns viel stärker Gedanken machen, wie wir dies beiden Gruppen schrumpfen lassen.
Das Interview führte Kevin P. Hoffmann.