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Deutschland soll mit ausreichend Gas versorgt sein.
© Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa
Update

Wirtschaftsexperten raten Bund zur Vorbereitung: „Gas-Lieferstopp auch für Deutschland wahrscheinlicher geworden“

Russland hat die Gas-Lieferungen nach Polen und Bulgarien gestoppt. Die beiden Länder sprechen von „Erpressung“, die Bundesregierung reagiert mit Sorge.

Das Bundeswirtschaftsministerium sieht den Stopp russischer Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien mit Sorge. Eine Sprecherin von Minister Robert Habeck (Grüne) sagte am Mittwoch in Berlin, die Versorgungssicherheit in Deutschland sei aktuell gewährleistet. „Die Gasflüsse sind zum jetzigen Zeitpunkt alles in allem auf einem stabilen Niveau.“ Die Lage werde aber sehr genau beobachtet. Es seien bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Engpässe festgestellt worden.

„Wir sehen aber mit Sorge, dass es in europäischen Partnerländern zum Stopp der Lieferungen gekommen ist. Wir sind in enger Abstimmung innerhalb der Europäischen Union, um das Lagebild zu konsolidieren.“ Die entsprechenden Gremien tagten am Mittwoch.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte am Mittwoch, der Lieferstopp zeige einmal mehr, dass man sich auf Russland als Lieferant nicht verlassen könne auf Dauer. Die Bemühungen der Bundesregierung, sich unabhängiger von russischen Lieferungen zu machen, seien das Gebot der Stunde. „Je schneller es geht, umso besser.“

Hebestreit sagte, deutsche Unternehmen würden russische Lieferungen in Euro an die Gazprombank zahlen. Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums ergänzte, die Gazprombank sei dann dafür verantwortlich, das Geld in Rubel umzutauschen. Deutsche Firmen würden ihre vertraglichen Verpflichtungen erfüllen.

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Beim Gaslieferstopp ist nach Worten von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) „Energie als Waffe“ eingesetzt worden. Man dürfe nicht wehrlos sein, wenn dies geschehe. Entsprechend seien eine Diversifizierung und eine Erneuerung der Energie-Infrastruktur auf der Basis von erneuerbaren Energien sowie große Einsparungen nötig, sagte Habeck am Mittwoch.

„Ein Abriss der Gaslieferungen zum jetzigen Zeitpunkt würde die deutsche Wirtschaft in eine Rezession treiben.“ Prognosen sagten für diesen Fall ein Schrumpfen um 0,5 bis 6,5 Prozent voraus. Habeck zufolge ist der Anteil russischer Lieferungen auf mittlerweile 35 Prozent gesunken. Im März lag dieser Wert noch bei 40 Prozent. Habeck sprach am Mittwoch von „erfolgreichen Schritten“. Nach früheren Angaben soll der Anteil bis zum Jahresende auf etwa 30 Prozent gesenkt werden, vor allem durch den Ankauf von verflüssigtem Erdgas (LNG).

Nach Einschätzung des Berliner DIW-Instituts könnte Russland nach Polen und Bulgarien auch für Deutschland den Gashahn zudrehen. "Ein Gas-Lieferstopp seitens Russlands ist auch für Deutschland wahrscheinlicher geworden", erklärte die DIW-Energieexpertin Claudia Kemfert am Mittwoch.

Europa und die Bundesrepublik sollten sich nicht erpressen lassen, sondern auf Vertragseinhaltung bestehen und die Gaslieferungen wie vereinbart bezahlen. Die Bundesregierung müsse sich aber vorbereiten und alles dafür tun, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. "Deutschland muss verstärkt aus anderen Ländern Gas beziehen, im Sommer die Gasspeicher füllen und sich auch durch verstärkte Energieeinsparungen auf den nächsten Winter vorbereiten."

Der russische Gazprom-Konzern hat nach eigenen Angaben im Streit um die geforderte Rubel-Bezahlung Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien eingestellt. Der Energiekonzern Uniper erwartet durch den Gas-Streit zwischen Polen und Russland allerdings keine Einschränkungen für die Lieferungen nach Deutschland. Die Bundesregierung sieht den Lieferstopp für Polen und Bulgarien mit Sorge, nennt den Gas-Fluss nach Deutschland aber derzeit stabil.

DIW-Fachfrau Kemfert sieht einen Gas-Lieferstopp seitens Russlands nach Polen und Bulgarien als nächste Eskalationsstufe des russischen Präsidenten Wladimir Putin, "um Europa in Angst und Panik zu versetzen und die europäischen Staaten dazu zu zwingen, ihre Gasrechnung in Rubel zu begleichen".

Russland ist stark auf Rubel-Zahlungen angewiesen

Dies zeige zudem, wie sehr Russland auf Rubel-Zahlungen angewiesen sei. "Für Deutschland hat dies zunächst einmal keine unmittelbaren Auswirkungen, da die Gaslieferungen nach Deutschland in erster Linie über andere Pipelinerouten getätigt werden", sagte Kemfert. Sie ist Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin).

Mit Engpässen sei derzeit nicht zu rechnen, da Deutschland und Europa ausreichend mit Gas versorgt seien, betonte Kemfert. Polen habe sich auf diese Situation seit langer Zeit vorbereitet und werde in erster Linie durch Flüssiggaslieferungen versorgt. Künftig kämen norwegische Gaslieferungen hinzu. "Bulgarien ist sehr abhängig von russischen Gaslieferungen und wird über den europäischen Verbund Hilfe benötigen."

Auch dort sei kurzfristig mit keinen Versorgungsengpässen zu rechnen, da die bulgarische Regierung vorgesorgt habe und die Gasspeicher gefüllt seien.

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Der russische Energiekonzern Gazprom hat bestätigt, kein Gas mehr nach Polen und Bulgarien zu liefern und mit weiteren Lieferkürzungen gedroht, sollten sich beide Länder am Transitgas bedienen. Gazprom habe die Lieferungen eingestellt, weil die Gasunternehmen nicht rechtzeitig in Rubel gezahlt hätten, teilte das Unternehmen am Mittwoch mit.

Darüber hinaus warnte Gazprom Polen und Bulgarien, russisches Gas anzuzapfen, das über ihr Territorium an andere Länder geliefert wird. „Bulgarien und Polen sind Transitländer. Wenn sie unerlaubt russisches Gas aus den Transitmengen für Drittländer entnehmen, werden die Transitlieferungen in dieser Höhe gesenkt.“

Polen bekommt aus Russland kein Gas mehr.
Polen bekommt aus Russland kein Gas mehr.
© REUTERS/Wojciech Kardas/Agencja Gazeta

Sofia und Warschau betonten, ihre Zahlungsverpflichtungen erfüllt zu haben. Alle Zahlungen, die der laufende Vertrag erforderlich mache, seien rechtzeitig getätigt worden, teilte die bulgarische Regierung mit.

Nach dem russischen Gas-Lieferstopp nach Polen und Bulgarien verteuerte sich der europäische Erdgas-Future um bis zu 20,2 Prozent auf 118 Euro je Megawattstunde, das ist der höchste Stand seit knapp vier Wochen.

Die Regierungschefs beider Länder warfen Moskau "Erpressung" vor. Der Schritt Gazproms "ist eine grobe Verletzung des Vertrags und Erpressung", sagte Bulgariens Ministerpräsident Kiril Petkow am Mittwoch. Sein polnischer Kollege Mateusz Morawiecki äußerte, dass sein Land dank seiner ausreichenden Gasreserven "dieser Erpressung" nicht nachgeben werde.

Polen "wird ab Herbst überhaupt kein russisches Gas mehr benötigen", sagte er weiter. Ein Lieferstopp sei nicht nur "ein direkter Angriff" auf Polen, sondern auch ein Angriff auf "die Energiesicherheit von ganz Europa".

Der bulgarische Regierungschef Petkow bezeichnete den Vorgang als "inakzeptabel". Bulgarien werde seinerseits alle Verträge mit Gazprom überprüfen. Er versicherte den Bürgern auch, dass die Regierung die Gaslieferungen an die Verbraucher "in keiner Weise" senken werde. Die Regierung sei auf das Szenario vorbereitet, es gebe einen Plan für alternative Energieressourcen, sagte er vor einer Regierungssitzung vor Journalisten.

Vier europäische Länder sollen bereits in Rubel zahlen

Ende März hatte Kremlchef Wladimir Putin gefordert, dass westliche Staaten mit Wirkung zum 1. April Konten bei der Gazprombank eröffnen müssen, um russische Gaslieferungen zu bezahlen. Andernfalls würden die Lieferungen an die „unfreundlichen“ Länder eingestellt.

Nach einem von Putin unterzeichneten Dekret können die Zahlungen weiter in Euro oder Dollar auf das russische Konto eingezahlt werden. Die Gazprombank konvertiert das Geld in Rubel und überweist den Betrag in der russischen Währung an Gazprom. Bei einem Ausbleiben der Zahlungen würden die Lieferungen eingestellt, hatte Putin gedroht.

Dem US-Medium "Bloomberg" zufolge haben trotzdem vier europäische Länder ihre Zahlungen auf Rubel umgestellt. Allerdings basiert der Bericht auf Aussagen einer Gazprom-nahen Quelle. Insofern könnte die Information auch gezielt gestreut worden sein, um die Europäer zu spalten. Unabhängig überprüfen lässt sich die Behauptung nicht. Weitere Gas-Lieferstopps sollen bis zur zweiten Mai-Hälfte nicht zu erwarten sein, weil dann erst die nächsten Zahlungen anstehen, heißt es in dem Bericht.

Bulgarien ist bei einem Jahresverbrauch von rund drei Milliarden Kubikmetern Gas fast vollständig von Russland abhängig. Das Balkanland erhält nur geringe Mengen aus Aserbaidschan. Es hofft darauf, diese Lieferungen nach der Fertigstellung einer wichtigen Pipelineverbindung zum benachbarten Griechenland noch in diesem Jahr zu erhöhen. Ein langfristiger Liefervertrag mit Gazprom läuft Ende dieses Jahres aus.

Polens Regierung betonte ebenfalls, für polnische Haushalte werde sich nichts ändern. Man sei auf die Situation vorbereitet. "In polnischen Wohnungen wird es keine Gas-Engpässe geben", bekräftigte Polens Klimaministerin Anna Moskwa.

"Vom ersten Tag des Krieges (in der Ukraine) an haben wir erklärt, dass wir auf die vollständige Unabhängigkeit von russischen Rohstoffen vorbereitet sind", erklärte Moskwa. Polen verfüge über die "notwendigen Gasreserven und Versorgungsquellen, um unsere Sicherheit zu schützen". Regierungschef Morawiecki betonte, die Gasspeicher in Polen seien zu 76 Prozent gefüllt. Polen sei bereit, "Gas aus allen möglichen anderen Richtungen zu beziehen". (dpa, AFP/Reuters)

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