Sieben Jobs, ein Leben: Für viele Deutsche reicht ein Job nicht, um über die Runden zu kommen
Prekäre Beschäftigung: Die Künstlerin Luise Metz arbeitet rund um die Uhr. Trotzdem reicht das Geld hinten und vorne nicht. Wie sie müssen immer mehr Deutsche dazuverdienen.
Wenn die Klappe des Lieferwagens zufällt, schlägt die Stunde der Kunst. Dann kann Luise Metz (Name von der Redaktion geändert) Spaten gegen Pinsel tauschen. Doch noch trennen sie etwa achtzig Kilometer von ihrem Atelier in Berlin. Der Sprinter rollt vom Parkplatz einer Kita in Brandenburg, wo sie an diesem Morgen ein Hochbeet angelegt hat. Fünfzehn Zentnersäcke Blumenerde später drückt sie aufs Gas, denn die Zeit läuft. Sie will heute noch in ihr Atelier, und das gehört ihr nur bis 15.00 Uhr. Danach nutzt eine andere Malerin den Raum.
Metz hat das Atelier in einer Fabriketage im Wedding untervermietet, um einen Teil der Miete zu sparen. Das ist gut für das Portemonnaie, aber schlecht für die Kunst. Genauso wie die Arbeit als Gärtnerin und all die anderen Jobs, die sie auch noch nebenher macht. Metz hat keine Wahl. Zusammen mit ihrem Mann hat sie zwei Kinder im Alter von vier und sechs Jahren, und die werden nur von seinem Verdienst und ihrer Kunst im Moment nicht satt.
Zehn Jahre lang konnte die Absolventin der Kunsthochschule von ihren Bildern leben. Sie gewann Stipendien, stellte ihre Arbeiten in Galerien aus und verkaufte so viel, dass es zum Leben reichte. Dann kam die Finanzkrise, und zwei der drei Galerien, mit denen sie hauptsächlich zusammengearbeitet hat, mussten schließen. Ihre Umsätze brachen ein. Dabei stellt sie weiterhin aus, ihre Bilder hängen in Messen wie der Art Karlsruhe und in verschiedenen Kunstvereinen. Aber die Sammler sind bedächtig geworden, reservieren mal ein Bild, kaufen am Ende aber dann doch nicht.
Nach Feierabend testet sie Bügeleisen und Wärmepflaster
Anfangs hatte die 38-Jährige noch Rücklagen, doch als die aufgebraucht waren, befiel sie Panik. „Ich sah mich schon für 6,50 Euro in der Stunde am Fließband stehen“, sagt sie. Dazu kam es zwar nicht. Wie am Fließband arbeitet Metz aber trotzdem: Sie hat heute sieben Jobs. Sie malt, betreut Kinder in einer Kita, baut die Hochbeete in Brandenburg, testet und evaluiert für eine Firma Produkte wie Bügeleisen oder Wärmepflaster, führt Touristen durch die Stadt, erledigt die Buchhaltung für eine weitere Kita und füttert Daten in ein Computerprogramm. All diese Jobs macht sie auf Abruf und auf Honorarbasis. Metz sagt: „Ich lebe im Moment als Tagelöhnerin.“ Sie hat alle Arbeitsverhältnisse angemeldet, führt Steuern ab. Insgesamt bleiben ihr rund 1000 Euro im Monat. Dafür hetzt sie von einem Ort zum anderen und muss jeden Tag aufs Neue mit ihrem Mann austüfteln, wer die Kinder aus Kita und Schule abholen kann. Ihr Mann arbeitet als Führer in verschiedenen Berliner Museen, auch seine Arbeitszeiten variieren.
Anfangs habe sie mit diesem Lebenswandel gehadert, sagt Metz: „Man fühlt sich schon wirklich arm, wenn man so arbeitet.“ Vor allem dann, wenn die Aufgaben nicht den eigenen Fähigkeiten entsprechen. „Wenn ich abends am Computer sitze und endlos Quittungsnummern in Excel-Tabellen eingebe, dann fange ich nach spätestens zwei Stunden an zu fluchen“, sagt sie. Einen Vorteil haben diese Jobs aber doch: Sie rauben ihr keine Energie für die Malerei. Metz erledigt die Aufgaben und hat sie in der nächsten Sekunde vergessen. Das trifft aber nicht auf alle Tätigkeiten zu. Auf die Stadtführungen muss sie sich gut vorbereiten. Für den Job hat sie gerade eine zweijährige Ausbildung abgeschlossen. Ihr Kopf steckt voller Jahreszahlen, und die lassen sich nicht einfach abschütteln, wenn sie im Atelier steht. „Das macht es schwierig, die Intensität zu erreichen, die ich für meine Malerei brauche. Kunst entsteht ja nicht aus dem Nichts“, sagt sie. Früher hat sie oft einen ganzen Tag und die halbe Nacht ununterbrochen an einem Bild gearbeitet.
Stets ist da die Sorge: Wovon lebe ich im Alter?
Solche Zeitspannen hat sie im Moment nicht zur Verfügung. „Wenn ich vor der Leinwand stehe, gehen mir so viele Fragen durch den Kopf, dass ich mich nicht voll und ganz auf die Kunst konzentrieren kann“, sagt sie. Wann soll sie eigentlich die Bilder für ihre nächste Ausstellung fertigstellen? Was passiert, wenn sie einmal krank ist und nicht wie üblich von Job zu Job sprinten kann? Wovon sollen sie im Alter leben?
Hartz IV möchte sie trotzdem nicht in Anspruch nehmen. „Der momentane Zustand kann auf Dauer keine Lösung sein“, sagt sie. Sie macht sich Sorgen um die Kinder. Sie möchte, dass sie die Möglichkeit haben, sich zu entfalten, später vielleicht zu studieren. Allerdings würde sie ihren Kindern verbieten, nur freie Kunst zu studieren, sagt sie. Sie bereut, dass sie selbst nicht zusätzlich zur freien Kunst noch auf Lehramt studiert hat. Vielleicht gibt es dafür jetzt allerdings noch eine Chance. Metz hat sich nämlich als Quereinsteigerin um eine Stelle als Lehrerin beworben. Bewerbungen von freien Künstlern für das Fach Kunst gebe es allerdings mehr als genug, hat man ihr in der Senatsverwaltung mitgeteilt. Ob sie darauf hoffen soll, dass es klappt, weiß sie selbst nicht. Denn: „Wenn ich als Lehrerin einsteige, bedeutet das das definitive Aus für die Malerei“, meint sie. Noch hat sie die Hoffnung, dass sich die Zeiten wieder ändern und sie Bilder verkaufen wird. Vielleicht aus ihrer momentanen Ausstellung. Immerhin gab es schon einige Reservierungen.
Bis es so weit ist, wird sie allerdings noch viele Tonnen Blumenerde nach Brandenburg fahren, ungezählte Excel-Tabellen ausfüllen und Dutzende Bügeleisen und Wärmepflaster testen.
Hintergrund: Immer mehr Menschen haben Zweitjobs
Knapp 2,6 Millionen Menschen in Deutschland haben neben ihrem Haupt- noch einen Nebenjob. Die Tendenz ist steigend: 2004 waren es nur 1,66 Millionen Beschäftigte, die einen Zweitjob brauchten. Frauen sind am stärksten betroffen, weil sie oft Teilzeit arbeiten und davon nicht leben können. Dabei müssen sich fast vier von fünf geringfügig Beschäftigten mit einem Stundenlohn unter 9,30 Euro begnügen. Seit 1995 hat sich die Zahl der Niedriglohnbeschäftigten von 5,9 auf 8,4 Millionen erhöht.
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