VDA in der Krise: Für eine Frau im Präsidentenamt ist der Autoverband wohl noch nicht bereit
Händeringend sucht der Verband der Automobilindustrie nach Bernhard Mattes’ Rücktritt einen neuen Präsidenten. Die Zeit drängt.
Arnd Kirchhoff ist ein Allrounder in der deutschen Industrie. Der 64-jährige Ingenieur führt ein Familienunternehmen mit rund 13.000 Mitarbeitern weltweit. Kirchhoff ist Arbeitgeberpräsident in NRW und Vizepräsident der deutschen Arbeitgeberverbände; er gehört dem Präsidium des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) an. Als Vizepräsident des Verbandes der Automobilindustrie vertritt er die Interessen der Zulieferer an der Spitze des VDA
Kirchhoff kennt sich aus in Industrie und Politik – und hat nun eine Personalie zu lösen: Der Mann aus Iserlohn soll einen neuen Autopräsidenten finden. Besser noch: eine Präsidentin.
Beim letzten Mal ging das schief mit der Besetzung des wichtigsten Lobbyistenpostens der deutschen Industrie. Der damalige Daimler-Chef und VDA-Vizepräsident Dieter Zetsche suchte sich Bernhard Mattes aus, den vormaligen Chef der Ford Werke in Köln. Mattes sollte das Sprachrohr der Konzerne sein und in den Talkshows den Menschen erklären, warum deutsche Autos klasse sind und warum die Regulierungsschraube wegen des Klimawandels nicht zu scharf angezogen werden darf.
Intrigen hinter dem Rücken des Präsidenten
Das funktionierte nicht. „Mattes hat schnell eingesehen, dass er scheitern würde“, heißt es in der Branche. „Er hat dem Verband am Ende einen Gefallen getan.“ Der glücklose VDA-Präsident wurde von den Bossen gemobbt, hinter seinem Rücken suchte ein Headhunter einen Nachfolger. Empört über so viel Misstrauen warf Mattes nach nur anderthalb Jahren im Amt hin. Ausgerechnet am für die Branche wichtigsten Tag des Jahres verkündete er seinen Rücktritt: Angela Merkel eröffnete am Morgen des 12. September die Automesse IAA – am Nachmittag gab Mattes seinen Abschied zum Jahresende bekannt. Die Messe, ohnehin von sinkenden Aussteller- und Besucherzahlen gezeichnet, stand unter keinem guten Stern. Ihre Zukunft ist ungewiss.
Die Reaktionen auf Mattes’ Rücktritt reichen von Häme bis Bestürzung. „Uns hat der Rücktritt überrascht“, sagt ein großer Zulieferer. „Mattes hat in einer schwierigen Zeit Gehör in der Öffentlichkeit gefunden.“ Ganz anders der Ton bei einem Autokonzern: „Die Art und Weise seines Rücktritts zeigt, dass Mattes dieses Amtes nicht würdig war.“
Nun drängt die Zeit beim VDA, der die Interessen von rund 600 Herstellern und Zulieferern mit rund 800.000 Beschäftigten vertritt. „Man braucht jetzt jemanden, der sagt ,Wir haben Mist gebaut‘, und der für Ehrlichkeit und Gradlinigkeit steht“, sagt ein VDA-Vorstandsmitglied. Der Typus hat entweder gute Branchenkenntnis – wie Mattes. Oder er ist gut vernetzt in der Politik – wie der langjährige VDA-Präsident und ehemalige CDU-Minister Matthias Wissmann. Im Idealfall schafft die VDA-Führung beides: das Vertrauen der Politik zu gewinnen, ohne die Interessen der Verbandsmitglieder aus dem Blick zu verlieren.
Gesucht wird ein "Politiker"
Nach den Erfahrungen mit Wissmann und wegen des schlechten Rufs der Branche wird ein „Politiker“ präferiert. Große Namen sind im Spiel: Cem Özdemir, der grüne Vorsitzende des Bundestags-Verkehrsausschusses. Sigmar Gabriel, der frühere Wirtschafts- und Außenminister. Günter Oettinger, einst Ministerpräsident in Baden-Württemberg und als EU-Kommissar hochgeschätzt.
Doch Oettinger „muss noch ins Abklingbecken“, wie ein Branchenvertreter sagt. Nach dem Ausscheiden aus der Kommission stünde er frühestens in 18 Monaten zur Verfügung. Mit Gabriel, der kürzlich sein Bundestagsmandat niedergelegt hat, „könnte sich der ein oder andere sicher anfreunden“, sagt ein Konzernvertreter. Er würde auf Augenhöhe mit den Bossen reden, vielleicht auch manchmal von oben herab. Ein bequemer Auto-Lobbyist wäre der SPD-Politiker, dem bislang wenig Interesse am VDA-Posten nachgesagt wird, sicher nicht. Gabriel hüllt sich in Schweigen. Zu hören ist, dass man den 60-Jährigen noch nicht angesprochen hat.
„Eine Lichtgestalt muss her“, heißt es bei einem professionellen Headhunter. „Es kommt jetzt auch nicht darauf an, wen man gerne hätte, sondern wer verfügbar ist“, übt sich ein Zulieferer in Pragmatismus. Helfen sollen die Dienste der Personalberatung Egon Zehnder, die im Auftrag des VDA ihre Headhunter ausschwärmen lässt und Kirchhoff eine Shortlist mit Kandidaten vorlegen soll. Bis zur Vorstandssitzung des VDA am 7. November soll mindestens die Liste stehen. Mit Leuten, die exzellent verdrahtet sind – in Berlin und Brüssel und idealerweise auch noch in der Branche.
Ein neues Führungsmodell mit Hauptgeschäftsführung
Steht auf die Schnelle kein Schwergewicht zur Verfügung, käme noch eine andere Lösung in Betracht. Bislang war der VDA-Präsident im – mit 700.000 Euro Jahresgehalt gut dotierten – Hauptamt beschäftigt und gewissermaßen der Vorgesetzte der drei VDA-Geschäftsführer. Nun überlegen die Automanager, einen politisch vernetzten Hauptgeschäftsführer für das Operative sowie einen ehrenamtlichen Präsidenten einzusetzen, wie das in anderen Fachverbänden (Maschinenbau) und Spitzenverbänden (BDA und BDI) üblich ist.
Im Zwei-Jahres-Rhythmus wären die CEOs als Präsidenten gefragt: Einmal der VW-Chef, dann der Boss von Bosch, dann der BMW-Vorstandsvorsitzende und der Chef von Conti, um einige zu nennen. „Jeder kommt mal dran, keiner steht an der Außenlinie“, beschreibt ein Automobilist den Charme dieser Lösung. Auch im europäischen Autoverband ACEA funktioniere das Modell. Den Ambitionen der Chefs der drei Hersteller Volkswagen, BMW und Daimler käme die Lösung ebenfalls entgegen. „Herbert Diess will sicher den Ton im VDA angeben, aber auch die neuen Chefs von BMW und Daimler wollen Akzente setzen“, heißt es bei einem Branchenverband. Der Nachteil: Es bliebe bei der Männerwirtschaft.
Für eine Frau im Präsidentenamt sind die Herren womöglich noch nicht bereit, in der Geschäftsführung ist das anders. Zu den drei aktuellen Geschäftsführern käme dann eine Hauptgeschäftsführerin, die wiederum auf der politischen Bühne zu spielen weiß. Eine Frau wie Katharina Reiche, die über die Brandenburger CDU zum Bundesumwelt- und zum Verkehrsministerium kam, zu den kommunalen Unternehmen wechselte und nun einen Spitzenjob bei Eon bekommt. Oder Kerstin Andreae: Die Grünen-Politikerin wurde in diesem Sommer zur Hauptgeschäftsführerin des Energiewirtschaftsverbandes BDEW berufen.
Und Hildegard Müller? Die langjährige Merkel-Vertraute hatte von 2008 bis 2016 die Geschäfte des BDEW geführt und war dann zur RWE-Tochter Innogy ins Ruhrgebiet gewechselt. Nach der Zerschlagung und Aufteilung von Innogy ist offen, was Müller künftig macht. „Sie hätte das Format, die Beziehungen und wüsste mit den Insignien der Macht umzugehen“, kommentiert ein Konzernvertreter. Auch andere in der Branche halten Müller nach Tagesspiegel-Recherchen für das Amt geeignet. Einem Anruf bei Hildegard Müller wird nüchtern beschieden: „Vielen Dank für Ihre freundliche Anfrage, aber leider können wir das von Ihnen angeregte Telefonat nicht ermöglichen.“