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Die Deutsche Bahn muss sich neuaufstellen.
© AFP

Neue Konzernstrategie „Starke Schiene“: Für den Umbau der Deutschen Bahn fehlt das Geld

Der Konzern soll klimafreundlich werden. Doch das kostet Geld, das die Bahn nicht hat. Schon jetzt hat der Konzern 25 Milliarden Euro Schulden.

Es ist eine gute Nachricht. Bis 2038 will die Deutsche Bahn zu 100 Prozent mit Ökostrom fahren. Das wäre ein großer Beitrag zum Umweltschutz und zum Erreichen der Klimaziele. Und es könnte sich für alle in Euro und Cent auszahlen. Denn wenn Deutschland die verbindlichen Vorgaben des Pariser Abkommens zur Senkung der Luftschadstoffe verpasst, werden Milliarden an Strafzahlungen fällig. Der wachsende Auto- und Lkw-Verkehr ist dabei das größte Problem – und Bahnfahren die beste Lösung.

Jede Förderung des Schienenverkehrs ist aktiver Umweltschutz. Schon jetzt sind ICE-Züge dank Stromversorgung aus Windparks klimaschonend unterwegs. Klar ist aber auch: Der Schienenverkehr muss viel leistungsfähiger werden, um das Wachstum bei Fahrgästen und Gütern bewältigen zu können. Und die Bahn muss attraktiver werden, damit mehr Menschen den Zug nutzen und das Auto stehen lassen.

Bahnchef Lutz bräuchte weitere fünf Milliarden Euro

Besserer Schienenverkehr kostet Geld. Geld, das die Deutsche Bahn AG nicht hat. Der größte deutsche Staatskonzern weist bereits 25 Milliarden Euro Schulden aus, weil nun auch Leasingverträge eingerechnet werden müssen. Und DB-Chef Richard Lutz braucht weitere fünf Milliarden zur Umsetzung seiner Agenda für eine bessere Bahn, die mehr Kapazität, Qualität und Pünktlichkeit bringen sollen. Bereits seit Jahren kann der Konzern seine Investitionen nicht mehr aus eigener Kraft finanzieren – und droht handlungsunfähig zu werden.

Guter Rat ist teuer. In dieser Woche haben die 20 Vertreter der Bundesregierung und der Arbeitnehmer im DB-Aufsichtsrat die neue Konzernstrategie „Starke Schiene“ beraten. Die Richtung gibt der Koalitionsvertrag vor. Erstmals haben Union und SPD dort festgeschrieben, dass künftig „nicht die Maximierung des Gewinns, sondern eine sinnvolle Maximierung des Verkehrs auf der Schiene“ im Vordergrund stehen soll.

Noch gibt es für die Bahn eine Schuldengrenze

Es naht die Stunde der Wahrheit. Wenn dieses Ziel und das „Klimakabinett“ der Koalition ernst gemeint sind, müssen die schönen Ziele von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) finanziell abgesichert werden. Bisher hat der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags noch eine Schuldengrenze bei der DB von rund 20 Milliarden Euro vorgegeben. Und auch Olaf Scholz (SPD) tritt bisher auf die Bremse. Der Finanzminister will im Haushalt bei Weitem nicht so viel Geld lockermachen, wie angesichts des gewaltigen Investitionsstaus und Modernisierungsbedarfs im Schienenverkehr zwingend nötig wäre.

Die Regierung Merkel muss als Dienstherr des Staatskonzerns und Eigentümer des Schienennetzes endlich entscheiden, was passieren soll. Mehr Geld, mehr Schulden – oder Stillstand mit allen lähmenden Konsequenzen? Es droht weiteres Aufschieben. Nun rächt sich, dass Union und SPD so lange die großen Chancen einer Verkehrswende verpasst haben. In den letzten zehn Jahren sprudelten die Steuereinnahmen, es wäre Geld da gewesen für besseren Schienenverkehr in der Fläche, für intelligente Anbindung neuer Siedlungsgebiete und Gewerbezentren, für die Förderung der Frachtbahnen, für die Beseitigung so vieler Engpässe im Netz sowie eine große Investitionsoffensive bei der dramatisch überalterten Infrastruktur. Das alles wurde zu spät initiiert oder ganz verpasst – eines der großen Versäumnisse der Regierung Merkel.

Der Sanierungsbedarf ist hoch

Die Folgen: Allein beim Schienennetz hat sich wegen der chronischen Unterfinanzierung ein Sanierungsbedarf von weit mehr als 50 Milliarden Euro bei Brücken, Tunneln, Gleisen, Weichen, Signaltechnik, Stellwerken und Bahnhöfen aufgestaut. Der immer teurere Unterhalt der immer älteren und reparaturanfälligen Anlagen, Modernisierung, Digitalisierung und dringend nötige Erweiterungen sind darin noch gar nicht enthalten.

Allein die wichtigsten Neu- und Ausbaustrecken, die teils seit Jahrzehnten unerledigt im Bundesverkehrswegeplan stehen, kosten mindestens weitere 70 Milliarden Euro. Deutschland bricht mit der Bummelei sogar internationale Vereinbarungen. Beispiel Rheintalstrecke: Der vierspurige Ausbau der wichtigsten Magistrale für den Frachtverkehr zwischen den Nordseehäfen und dem Mittelmeer wurde der Schweiz 1996 mit dem Vertrag von Lugano versprochen. Die Alpenrepublik hat zur nötigen Erweiterung der Kapazitäten unter dem Gotthard den größten Bahntunnel der Welt gebohrt und 2016 eröffnet, ein Jahrhundertbauwerk. Doch auf deutscher Seite wird der Frachtverkehr noch bis mindestens 2035 massiv behindert, weil ein großer Teil der Strecke immer noch zweispurig ist. Eine Blamage – und ein Bärendienst für den Klimaschutz. Die deutsche Regierung könnte sich in ihrer Verkehrspolitik ehrlich machen. Jetzt wäre vor den Beratungen des Bundesetats und des Finanzplans bis 2023 der richtige Zeitpunkt für den Kassensturz. Ressortchef Scheuer könnte nicht nur schöne Zukunftspläne mit seinem Schienenbündnis verkünden, sondern auch die Rechnung dafür auf den Tisch legen.

Bis 2040 soll Deutschland eine der besten Bahnen der Welt haben

Wenn Deutschland bis 2030 einen bundesweiten Taktverkehr und bis 2040 eine der besten Bahnen der Welt haben will, wird das pro Jahr mindestens 20 Milliarden Euro kosten – also wenigstens fünf Milliarden Euro mehr, als bisher für den Regionalverkehr sowie den Erhalt und Ausbau des Netzes fließen.

Ehrlich machen sollte sich die Regierung auch beim problematischsten Bahn-Projekt Stuttgart 21, dessen Kosten schon auf mehr als acht Milliarden Euro explodiert sind und wohl noch weiter steigen werden. Mehr als fünf Milliarden Euro soll die klamme DB AG als Bauherr tragen, für die das politisch erzwungene und teure Tunnelprojekt komplett unwirtschaftlich ist – und zudem für den künftigen Taktverkehr kontraproduktiv und hinderlich. Kanzlerin Merkel hat die Entscheidung zur hoch umstrittenen Fortführung von S 21 damals quasi zur Chefsache gemacht. Doch die Bahn soll dafür zahlen und muss dafür bei anderen wichtigen Vorhaben sparen. Auch DB-Chef Lutz kann jeden Euro nur ein Mal ausgeben. Sollen neue ICE-Züge abbestellt werden, damit die Baurechnungen für 59 Kilometer Tunnel in Stuttgart bezahlt werden können? Schuldenbremsen helfen nicht weiter. Das ist viel zu kurzfristig gedacht, vor allem, weil sich Investitionen in die Infrastruktur vielfach auszahlen.

Es geht um die Standortqualität

Wenn Bahn-Chef Lutz seine Agenda für eine bessere Bahn mangels Finanzierung nicht umsetzen kann, werden Verspätungen und Qualitätsmängel im Schienenverkehr eher noch größer werden, weil neue Züge und ausreichend Personal für die steigende Nachfrage fehlen. Und am Ende zahlt der Konzern deshalb noch höhere Vertragsstrafen und Entschädigungen als ohnehin schon.

Mit einer schwachen Bahn leidet die Standortqualität, verstärken sich die Mobilitätsprobleme weiter, weil noch mehr Verkehr über die bereits überlasteten Straßen rollt. Was bedeutet: Noch mehr Zeit und Geld wird in Auto- und Lkw-Staus verschwendet.

Mittelfristig könnte die bundeseigene, hoch bezuschusste Infrastruktur vom gewinnorientierten DB-Aktienkonzern getrennt und unabhängig mit transparenter Finanzierung in einer gemeinnützigen Netzgesellschaft geführt werden. Das hat bisher vor allem die SPD verhindert, die bei der Zerschlagung des integrierten Konzerns wie ein Teil der Arbeitnehmervertreter Stellenabbau und Nachteile für den Schienenverkehr befürchtet.

Viele Experten sehen das anders, darunter die Monopolkommission und der Rechnungshof. Auch Grüne und FDP befürworten die Abtrennung, die bei einem Regierungswechsel daher sehr schnell zur Debatte stehen könnte.

Genutzt werden könnte auch die Einnahmen aus der Lkw-Maut

Am wichtigsten aber ist: Die Strategie für eine starke Schiene und mehr Klimaschutz muss sehr langfristig angelegt sein. Und ebenso langfristig muss deren Finanzierung gesichert werden, so wie es das erfolgreichste Bahnland, die Schweiz, seit Jahrzehnten vormacht. Auch Fondsmodelle sind denkbar. Das Geld dafür ist da und zu beschaffen, wenn die Politik es will. Allein die Lkw-Maut bringt jedes Jahr mehr als fünf Milliarden Euro. Warum fließt das Geld bisher nur in den Straßenbau anstatt in bessere Schienenstrecken?

Mit der geringeren Dieselbesteuerung verzichtet der Staat jährlich zudem auf mehr als acht Milliarden Euro, mit der Steuerbefreiung für Flugbenzin seit 2009 allein bei Inlandsflügen auf weitere fast sechs Milliarden. Die üppigen Steuervorteile für meist große Geschäftswagen kosten den Fiskus ebenfalls jedes Jahr hohe Milliardenbeträge.

Das alles zeigt: Deutschland ist eine sehr reiche Nation, die sich eine viel bessere Bahn leisten kann, leisten sollte und leisten muss. Die meisten Bürger wünschen sich das, wie Umfragen zeigen. So könnte die Bundesrepublik zum Vorbild für nachhaltige Mobilität werden, in Europa und weltweit. Das sollte kein leeres Versprechen mehr bleiben. Es ist höchste Zeit für diese Verkehrswende.

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