Vor der Aufsichtsratswahl: Freie Bahn für Richard Lutz
Der Bund will keinen Stress wie beim Rücktritt von Rüdiger Grube: Richard Lutz ist offiziell als Konzern-Chef gesetzt. Am Mittwoch wählt der Aufsichtsrat, am Donnerstag präsentiert die Bahn ihre Bilanz 2016.
Der Weg für Richard Lutz ist frei. Der 52-jährige Finanzchef der Deutschen Bahn soll am kommenden Mittwoch vom Aufsichtsrat zum neuen Vorstandsvorsitzenden des Schienenkonzerns gewählt werden. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) informierte den Aufsichtsrat am Samstag offiziell über den Personalvorschlag des Bundes, der Eigentümer der Bahn ist.
„Der Vorschlag ist einstimmig für gut befunden worden“, sagte ein Teilnehmer nach dem Treffen dem Tagesspiegel. Am Vormittag waren zunächst die Vertreter der Anteilseigner im Berliner Bundesverkehrsministerium informiert worden, am Nachmittag bei einer Telefonkonferenz dann die Arbeitnehmerseite. "Die Arbeitnehmerseite wird am Mittwoch mit Ja stimmen", sagte ein mit der Personalie Vertrauter der Nachrichtenagentur Reuters. Allerdings halte man die Doppelfunktion weiter für falsch und wolle im Zuge des ohnehin anstehenden Vorstandsumbaus wieder einen eigenen Finanzvorstand. Dobrindt habe erläutert, dass Richard Lutz als langjähriges Vorstandsmitglied Kompetenz und Erfahrung mitbringe, sagte ein Aufsichtsrat. Kritik an seiner künftigen Doppelrolle als Vorstands- und Finanzchef habe der Minister zurückgewiesen. „Es liegt gerade der Charme dieser Lösung darin, dass Lutz die Zahlen gut kennt“, hieß es. „Die Bundesregierung ist nicht amüsiert über die finanzielle Lage der Bahn.“ Zum Vorstand gehören bisher Ulrich Weber (Personal), Berthold Huber (Personenverkehr) und Ronald Pofalla (Infrastruktur). Der frühere Kanzleramtsminister Pofalla wäre selbst gern Bahnchef geworden, kam aber nicht zum Zug, weil Union und SPD sich im Bundestagswahljahr keine Mauschelei-Vorwürfe einhandeln wollten. Lutz soll für fünf Jahre an die Bahn-Spitze kommen - die Verträge Pofallas und Hubers sollen um dieselbe Zeit verlängert werden, wie Dobrindt ebenfalls vorschlug.
Schon am Donnerstag hätte Lutz – vorausgesetzt, er wird gewählt – seinen ersten Auftritt als Bahn-Chef: Der Bundeskonzern legt seine Bilanz für 2016 vor, mit der er nach einem Verlustjahr wieder in die schwarzen Zahlen zurückkehrt.
Kritik an der Informationspolitik des Verkehrsministers
Verstimmt zeigten sich einige Aufsichtsräte über Dobrindts Informationspolitik und den in den vergangenen Tagen bereits öffentlich diskutierten Umbau des Bahn-Vorstands. Via „Bild“-Zeitung hatte der Minister am Dienstag bestätigt, dass er Lutz als Bahn-Chef vorschlagen werde. Die Regierungskoalition hatte sich am Montag darauf verständigt. Dass die Aufsichtsräte erst am Samstag offiziell informiert wurden, stößt Bahn- Aufsehern auf: „Sehr unglücklich, das ist kein guter Stil“, sagte ein Vertreter.
Dobrindts Vorschlagsrecht für die Besetzung des Chef-Postens ist zwar unstrittig. Auch begrüßt man, dass der Bund die Personalie „in Ruhe mit dem Aufsichtsrat besprechen will, bevor wir den Finger heben“. Turbulenzen wie bei der letzten Aufsichtsratssitzung, an deren Ende Rüdiger Grube im Streit zurücktrat, wollte man unter allen Umständen vermeiden.
Dass der Minister ein eigenes Vorstandsressort für Digitales und den deutschen Güterverkehr DB Cargo vorschlägt und in den vergangenen Tagen schon Kandidaten dafür öffentlich gehandelt wurden, wird im Aufsichtsrat aber irritiert zur Kenntnis genommen. „Über alle anderen Vorstandsmitglieder entscheidet der Aufsichtsrat, nicht Herr Dobrindt“, hieß es vor dem Treffen am Samstag.
Dobrindt griff die Kritik auf. Teilnehmern zufolge beauftragte er Aufsichtsratschef Utz-Hellmuth Felcht, zusammen mit dem Personalausschuss über die neue Struktur und Besetzung der vakanten Vorstandsposten zu entscheiden. Das soll möglichst schnell geschehen, am besten noch im ersten Halbjahr.
Bahn-Experten halten Lutz für eine gute Wahl
Felcht war nach dem Rücktritt Grubes massiv in die Kritik geraten. Teilnehmer warfen dem 70-Jährigen schlechtes Krisenmanagement und mangelnde Vorbereitung vor. Bei einer anschließenden Unterredung mit Dobrindt hatte Felcht nach Tagesspiegel-Informationen dem Bund seinen Rücktritt angeboten. Sein Vertrag läuft bis 2021. Dobrindt lehnte dies mit der Maßgabe ab, Felcht, der einst auf Vorschlag des früheren CSU-Verkehrsministers Peter Ramsauer Chefaufseher wurde, müsse nun für eine stressfreie Neubesetzung sorgen. In die Entscheidung der Regierung für Lutz war Felcht allerdings nicht direkt eingebunden.
Bahnexperten halten Richard Lutz für eine gute Wahl. „Er ist ein offener Typ, Mitarbeiter schätzen ihn und er versteht als alter Bahner etwas vom Geschäft“, sagt einer, der ihn näher kennt. „Weil er schon lange im Unternehmen ist, wird er nicht mit seinen Vorgängern abrechnen. Das sorgt für Kontinuität.“ Lutz gilt als sehr fleißig: „Der schläft noch weniger als Grube und beantwortet Mails auch nachts.“ Allerdings werde ihn die Doppelrolle als Finanz- und Konzernchef fordern. Lutz soll sich deshalb auf die Kernfelder Finanzen, Controlling und Bilanzierung konzentrieren. Das früher beim Vorstandschef angesiedelte Thema Digitalisierung gibt er ab. „Das ist ein mörderischer Job“, sagt Christian Böttger, Bahnexperte an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft. Lutz trage Verantwortung wie der Chef eines Dax-Konzerns, werde aber schlechter bezahlt und müsse zusätzlich öffentliche und politische Erwartungen an den Staatskonzern managen. „Ob er das als Integrationsfigur schafft, muss sich zeigen.“ Lutz wird keiner Partei direkt zugerechnet.
Wer die beiden offenen Vorstandsposten für Technik und Digitales sowie den Güterverkehr besetzt, ist noch offen.
Siemens-Vorstand Siegfried Russwurm gilt weiter als Kandidat für die Position des erweiterten Technikvorstands. Er war auch als Grube-Nachfolger im Gespräch, stieß aber auf den Widerstand der Arbeitnehmer. „Russwurm hat die Kragenweite – auch als Vorstandsvorsitzender“, meint Böttger. „Ein Technikvorstand kommt idealerweise aus dem Unternehmen und ist ein Ingenieur“, sagte ein anderer Branchenbeobachter. „Soll die Digitalisierung im Vordergrund stehen, sollte man jemanden von außen, aus der Tech-Branche, holen.“ Dobrindt, der auch für die Digitalisierungsstrategie der Regierung zuständig ist, wünscht sich mehr Aufmerksamkeit für das Thema. Allerdings gibt es von April an bei der Bahn bereits einen Chief Digital Officer – Rüdiger Grube hatte Anfang des Jahres den ehemaligen PwC-Berater Stefan Stroh vorgestellt.
Unklar sind auch weiter die Karriereaussichten für Sigrid Nikutta, die Berliner BVG-Chefin, die zur Bahn wechseln könnte. Wenn es so käme, würde sie, so heißt es, lieber Technikchefin werden, ist aber als Vorstand des Güterverkehrs im Gespräch. „Hier brennt es lichterloh“, sagt Bahnexperte Böttger. DB Cargo ist ein Sanierungsfall, der Marktanteil fällt dramatisch. Eigentlich hat gerade erst Cargo-Chef Jürgen Wilder mit der Umsetzung des Sanierungsprogramms begonnen. Nun soll der Geschäftsbereich einen eigenen Konzernvorstand bekommen.
Böttger spricht von „hektischen Lenkbewegungen“, die der Sparte nicht guttäten. Ob Sigrid Nikutta geeignet ist? Die BVG sei ein Unternehmen ohne Auftrag, Gewinne zu erzielen. Alle Kennzahlen zeigten, dass die BVG einer der bundesweit schlechtesten Verkehrsbetriebe sei. „Nikutta ist noch nie gescheitert, aber sie wurde auch noch nie richtig gefordert“, gibt der Experte zu bedenken.