Spitzentreffen beim BDI: Frankreichs Premier Valls sticht Merkel aus
Der französische Regierungschef Manuel Valls will nicht weiter sparen und kommt damit beim "Tag der deutschen Industrie" in Berlin erstaunlich gut an.
Am Ende entscheidet der Applaus. Das war schon früher so, als es bei „Wetten, dass...“ die beste Saalwette auszuwählen galt. Da gewann derjenige, für den das Publikum am lautesten klatschte. Das Prinzip hält sich bis heute. Selbst bei Treffen des Industrieverbands BDI, wo der Spaßfaktor erheblich geringer ist als weiland beim ZDF. Manuel Valls war am Dienstag nach dieser Logik der Sieger. Als der französische Premierminister mit seiner Rede auf dem „Tag der deutschen Industrie“ geendet hatte, erntete er donnernden Beifall der geschätzt 1000 Manager. Was nicht unbedingt zu erwarten war, weil Valls (52) erstens Sozialist ist und zweitens ein Land vertritt, das Europa zurück in die Krise stürzen könnte – was für viele im Publikum teuer werden würde. Vielleicht lag es an seinem Charme („Ja, isch mag die Unternämmen!“). Vielleicht auch an der Verve, mit der sich der seit nicht einmal einem halben Jahr amtierende Politiker für sein Land stark machte. „Frankreich kommt voran, Frankreich ist in Bewegung“, rief Valls.
Nicht etwa nachlassender Reformwille sei Schuld an den Problemen, sondern das niedrige Wachstum und die sehr geringe Inflation in der EU. Sein Land spare bereits hart und sei auf dem Weg aus der Krise, brauche aber Zeit für Reformen. Sie seien eine „Kraftanstrengung“, klagte Valls, „aber wir werden es schaffen“.
Das ist der Sinn hinter Valls’ Werbetour – in der Bundesrepublik um Verständnis zu bitten für den Plan, erst 2017 den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder einhalten zu wollen. Im Herbst muss die EU-Kommission entscheiden, ob sie gegen Frankreich ein Defizitverfahren eröffnet oder nicht.
Merkel ist genervt
Die Deutschen, vor allem Angela Merkels Union, sind genervt von der Aufschieberei der Franzosen. Auf eine erneute Debatte über den Pakt, der eine maximale Neuverschuldung von drei Prozent der Wirtschaftsleistung vorsieht, hat sie keine Lust. „Die Glaubwürdigkeit Europas hängt davon ab, ob wir das, was wir vereinbart haben, auch einhalten“, mahnt sie ein paar Minuten bevor Valls spricht, ohne dessen Namen zu nennen. „Daher wird Deutschland Verlässlichkeit einfordern.“ Der Pakt habe ohnehin „viele Flexibilitäten“. Selbst bei einer Verschuldung von drei Prozent „ist man weit davon entfernt, nicht auf Kosten der Zukunft zu leben“. Bei Spanien, Portugal oder Irland klappe es ja auch mit den Reformen. Ohnehin müsse sich Deutschland „am Weltstandard messen, nicht am Mittelmaß dessen, was Europa mit seinen 28 Mitgliedstaaten zu bieten hat“.
Die Kanzlerin ist in einer heiklen Lage – sie darf nicht zu wenig aufs Sparen drängen, das wäre Wasser auf die Mühlen der AfD, die den Euro auf dem Weg zur Weichwährung sehen. Doch die Reden von Merkel und Valls zeigen ein viel tiefer gehendes Problem: Die Wirtschaftspolitik der beiden Euro-Schwergewichte ist auch sechs Jahre nach Ausbruch der Krise noch immer ohne gemeinsame Richtung. Deutschland pocht stur auf das Sparen, weil es so in den Verträgen steht. Aber Frankreich verbittet sich jede Einmischung von außen und will nach eigenem Gusto sanieren. Dabei wäre etwas Neues längst angezeigt. Etwa mit einem europäischen Finanzminister, der den Staaten der Währungsunion strengere Spar-Vorgaben machen darf, wenn sie über ihre Verhältnisse leben. Wie sie die erfüllen, bliebe ihnen überlassen.
Frankreich und Deutschland entwickeln sich auseinander
Schon seit Jahren entwickeln sich die Nachbarländer auseinander. Seit 2010 wächst die deutsche Wirtschaft stärker als die französische. Hierzulande nimmt die Beschäftigung zu, in Frankreich stagniert sie. Von 13 auf zehn Prozent ist der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung jenseits des Rheins gesunken. Auch in der Energiepolitik ist der Graben tief. Deutschland sieht sich als Energiewende-Vorreiter, die Franzosen setzen weiter auf Atomkraft. „Wir glauben, dass die Atombranche eine Zukunftsbranche ist“, bekannte Valls. In der Bundesrepublik wird 2022 der letzte Meiler abgeschaltet. Zwar sind Deutschland und Frankreich über den Handel eng miteinander verflochten – die Regierungschefin redet in einer typisch blassen Merkel- Rede aber lieber über ausgesuchte Details für mehr Wettbewerbsfähigkeit zuhause, über Klimaschutz, die Hightech-Strategie, die Datenschutz-Verordnung oder die Bund-Länder-Finanzen. Hinter jeden Punkt macht sie gefühlt ein Häkchen – vielleicht, um Valls zu signalisieren, dass man vieles im Kleinen regeln muss, will man im Großen erfolgreich sein.
Doch auch die Gastgeber vom Industrieverband BDI sind offenkundig genervt von den unsteten Franzosen. „Deutschland ist nicht schuld an den strukturellen Problemen der französischen Volkswirtschaft“, befindet Präsident Ulrich Grillo. „Deutschland ist auch nicht in der Verantwortung, diese Probleme zu lösen."
Der Gast aus Paris hat an diesem Tag zumindest einen Verbündeten: Wirtschaftsminister und SPD-Chef Sigmar Gabriel. Zwar beschied auch er Valls, sich vor Reformen nicht drücken zu können. Zugleich verwies er auf 2003, als Deutschland gegen den Stabilitätspakt verstoßen habe. „Das Beispiel zeigt doch: Harte Reformen ohne Investitionen funktionieren nicht.“ Deutschland habe damals gleichzeitig mit der Agenda 2010 begonnen. Hätte die Bundesrepublik die Defizitregeln strikt eingehalten, hätten 20 Milliarden Euro mehr eingespart werden müssen – die Agenda 2010 wäre unter diesen Bedingungen nicht zustande gekommen. Wenigstens einer also, der die Franzosen versteht.