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Auticon: Fokussiert auf Firmensoftware

Das Unternehmen macht Autisten zu Fachkräften. Auticon ist der „GründerChampion“ des Landes Berlins 2012.

Wenn Dirk Müller-Remus Bewerbungsgespräche führt, passieren Dinge, die die Kandidaten unter anderen Umständen ins Aus schießen würden. Einmal zeigte der Stift auf Müller-Remus’ Schreibtisch direkt auf den Bewerber. Der wurde nervös. Ein anderes Mal kippte Müller-Remus die Lehne seines Schreibtischstuhls ein wenig nach hinten. Der Bewerber fühlte sich irritiert. Doch bei Dirk Müller-Remus haben sie eine Chance. Dafür erhält seine Firma Auticon jetzt den Gründerpreis des Landes Berlin 2012.

Müller-Remus leitet das Unternehmen mit Sitz in Kreuzberg. Hier testen seine Mitarbeiter Software. Der 55-Jährige stellt ausschließlich Menschen mit Asperger-Syndrom ein. Durch diese Form des Autismus fällt ihnen der soziale Umgang äußerst schwer. Sie haben schlechte Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt. Seit einigen Monaten werden die ersten autistischen Angestellten von Auticon, eine Frau und fünf Männer, auf ihren Einsatz vorbereitet. Im November sollen sie mit der Bearbeitung von Aufträgen für verschiedene Unternehmen beginnen.

Asperger-Autisten gelten als schwerbehindert. Viele sind Hartz-IV-Empfänger oder verrentet. Dabei ist ein überdurchschnittlicher Anteil hochbegabt. Mit der Fähigkeit, sich in Themen einzufuchsen, könnten sie eine wichtige Kraft auf dem Arbeitsmarkt sein. „Alle klagen über Fachkräftemangel und sehen nicht diese erhebliche Gruppe mit großem intellektuellem Potential und Fachwissen“, sagt Müller-Remus. Mit diesen Kräften baut er ein soziales Unternehmen auf, das sich ohne Almosen behaupten soll. „Ich möchte nicht ständig nach Fördergeldern schielen, das lenkt nur ab“, sagt er. Der Konkurrenz könne man sich stellen.

Es bringt Dirk Müller-Remus zum Lächeln, wenn er von den Ticks und außergewöhnlichen Fähigkeiten der ihm bekannten Autisten erzählt. Er mag Asperger-Autisten, das sagt er und das merkt man. Als Arbeitskraft schätzt er aber vor allem ihre fachliche Qualifikation.

Das soziale Verhalten von Asperger-Autisten wirkt oft hölzern, weil es nicht intuitiv funktioniert, sondern angelernt ist. Zudem denken sie nicht vom übergeordneten Zusammenhang in die Einzelheiten. Also nicht „Britisches Königshaus, Queen, die hat drei Söhne, eine Tochter und so weiter“, sagt Müller-Remus. Sie denken anders herum, vom Detail her. Gefährliches Halbwissen gibt es nicht. Meist haben sie zwei, drei Spezialgebiete. So wie Müller-Remus’ 20-jähriger Sohn Ricardo. Auch er ist Asperger-Autist. Seine Spezialinteressen sind Musik, Kunst und BMX-Fahren. Nach der Diagnose vor sechs Jahren entwickelten Müller-Remus und seine Frau die Idee, die außergewöhnlichen Fähigkeiten, die das Asperger-Syndrom hervorbringt, professionell einzusetzen. Weil Müller-Remus als Manager Erfahrungen im IT-Bereich hat, gründete er ein IT-Consulting-Unternehmen. Zum Start erhielt er vom Social Venture Fund in München ein Darlehen in Höhe von von 500.000 Euro.

Von den anfangs 30 Bewerbern in diesem Frühjahr stellte Müller-Remus sechs Mitarbeiter ein. „Sie liefern hundert Prozent Qualität. Dafür dauert es ein bisschen länger“, sagt er. Auch bei Routinetätigkeiten nimmt bei Asperger-Autisten die Konzentration nicht ab.

Zwei feste Jobcoaches bereiten sie bei Auticon auf den sozialen Umgang vor und werden auch während der Projektarbeit als Ansprechpartner für sie da sein. Außerdem helfen sie ihnen, die Arbeit zu strukturieren. Der Aufwand für die Auftraggeber sei minimal, sagt Müller- Remus. Wichtig ist vor allem, dass sie ihre Aufträge klar formulieren. „Viele reden ja so verschnörkelt: Es wäre wirklich schön, wenn du dieses oder jenes tun könntest“, sagt Müller-Remus. Asperger-Autisten brauchen eine klare Ansage, dann entfalten sie ihre Stärken.

Inzwischen sind bei Auticon insgesamt 80 Bewerbungen eingegangen. Bis Ende des Jahres kommen die nächsten sechs Mitarbeiter. Für 2013 sind Standorte in Düsseldorf und München geplant. Langfristig arbeitet Müller-Remus daran, die Aufgaben im Qualitätsmanagement über den IT-Bereich hinaus zu erweitern.

Die ersten sechs Angestellten seien in den Monaten des gemeinsamen Trainings bei Auticon aufgeblüht, sagt Müller-Remus. Vor einiger Zeit ist das Unvorstellbare eingetreten: Sie haben von sich aus einen Betriebsausflug vorgeschlagen. Als Müller-Remus erzählt, wohin es geht, lächelt er wieder. Vorgesehen ist ein Ausflug ins Technische Museum.

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