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Suppe für Obdachlosen in Berlin auf dem Alexanderplatz im November 2015 - organisiert von dem Syrer Alex Assali, einem ehemaligen Flüchtling.
© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Verteilungskampf in Berlin: Flüchtlingskrise macht Obdachlose und Arme nervös

Die hohe Zahl der Flüchtlinge sorgt für Stress bei den Betreibern von Suppenküchen und anderen Hilfeeinrichtungen für Arme. Der Ton wird rauer. Die "Tafeln" fordern Hilfe vom Bund.

Beginnt ein Satz mit „Ich habe nichts gegen Ausländer...“, geht er in der Regel nicht versöhnlich zu Ende. Die Frau, die an der Ausgabestelle der Berliner Tafel im Kreuzberger Bergmannkiez für eine Tüte mit Lebensmitteln ansteht, geht der Satz nicht leicht über die Lippen. Sie sei seit ein paar Monaten arbeitslos, beziehe Hart IV, schickt sie voran. Sie habe nichts gegen Ausländer, „aber eigentlich“, sagt sie dann, „eigentlich nehmen die uns etwas weg.“

Die Tafeln versorgen in Deutschland mehr als eine Million arme Menschen: Arbeitslose. Geringverdiener. Verschuldete Rentner. Obdachlose. Sie bekommen bei den Ausgabestellen das, was Supermärkte und Bäcker spenden. Brötchen, Obst und Gemüse, Nudeln. Ab und zu Hygieneartikel, Zahnpasta und Waschmittel. Und nun, versuchen die Organisatoren der Tafeln möglichst wertfrei zu erklären, kämen immer mehr Flüchtlinge dazu. In manchen Städten würden nun doppelt so viele Menschen anstehen wie in den Jahren zuvor.

Nehmen und geben: Der Syrer Alex Assali befüllt in Berlin regelmäßig auf dem Alexanderplatz eine Schale mit Kartoffeleintopf und verteilt diese an Obdachlose.
Nehmen und geben: Der Syrer Alex Assali befüllt in Berlin regelmäßig auf dem Alexanderplatz eine Schale mit Kartoffeleintopf und verteilt diese an Obdachlose.
© dpa

Der Bundesverband Deutsche Tafeln zählt mittlerweile mehr als 200.000 Menschen aus Notunterkünften und Asylheimen. Nun fordert er die Bundesregierung auf, zu helfen. Appelle an die Politik gibt es seit dem Bestehen der Tafeln. Sie finanzieren sich über Spenden. Eine staatliche Förderung gibt es nicht. Weniger Lebensmittel verschwenden, Armut lindern, dazu drängen die Tafeln seit 1993. „Die aktuelle Situation mit den Flüchtlingen fordert uns aber enorm“, sagt eine Sprecherin. Es geht deswegen das erste Mal um finanzielle Hilfe.

Der CSU-Bundestagsabgeordnete Alexander Hoffmann schlug vergangene Woche vor, Asylbewerber von der Tafel-Versorgung einfach auszuschließen. Sie erhielten nicht ohne Grund Geldleistungen. Davon könnten sie sich auch Lebensmittel kaufen. Die Forderung wies der Chef der Tafeln umgehend zurück.

Doch in Berlin kommt es vor allem an den Ausgabestellen, die sich in Nähe einer Flüchtlingsunterkunft befinden, zu Engpässen: In der Badstraße im Wedding, in der Friesickestraße in Weißensee, in der Weißenburger Straße in Spandau-Wilhelmstadt. Zu den 48.000 Menschen, die in den letzten Jahren im Schnitt kamen, seien rund 4000 Flüchtlinge hinzugekommen. An manchen Ausgabestellen streiken Mitarbeiter. Andere haben einen Aufnahmestopp verhängt, generell, nicht nur für Flüchtlinge, betont die Sprecherin und Ehrenvorsitzende Sabine Werth. „Es ist noch einigermaßen entspannt“, sagt sie. „Aber die Stimmung kippt so langsam.“

"Warum bekommen die eine Gesundheitskarte?"

Es ist kalt geworden. Es gibt Familien, die lange zu den Tafeln gekommen sind und in diesem Winter fernbleiben. Würde sich nicht mehr lohnen. Andere beschweren sich: Seit die da sind, kriegen wir zu wenig. Der Ton wird rauer. Die Stimmung gereizt. Fragen lauter.

„Warum bekommen die eine Gesundheitskarte, wenn ich mir keine Versicherung leisten kann?“, fragt die Frau bei der Ausgabestelle in Kreuzberg? „Wieso schlafen Obdachlose draußen, in Hausfluren, und Flüchtlinge in beheizten Hallen?“ Sie habe nichts gegen Ausländer, sagt sie wieder. Sie sei in Kroatien geboren. Um Herkunft ginge es nicht. Auch andere, die erst seit ein paar Jahren in Deutschland leben, würden so denken. Es kämen zu viele, die von dem wenigen etwas haben wollen, das da ist.

Der Frau an der Ausgabestelle fallen die finsteren Blicke auf, wenn die Schlange länger wird, die Pöbeleien, wenn sich jemand vordrängeln will. Oder es allein den Anschein erweckt. Es macht sie wütend, dass die alten Frauen da vorne auf der Bank lange gearbeitet haben und von ihrer Rente nicht leben können. Dass sie frieren und um Essen bitten müssen. Ihren Namen möchte die Frau nicht nennen. Sie sucht einen Job. Will keine Probleme.

„Die Gefahr besteht, dass es zu einer zunehmenden Konkurrenz zwischen den sozial Schwächsten kommt“, sagt Christoph Butterwegge, Armutsforscher an der Uni Köln. Die Geflüchteten würden keine neuen Probleme schaffen. Sie würden aber Probleme verstärken, die da sind. Schon jetzt würde Armut immer mehr in der Mitte der deutschen Gesellschaft ankommen. Das Statistische Bundesamt meldete zuletzt, dass 16,5 Millionen Menschen in Deutschland davon bedroht sind. Das ist jeder Fünfte.

Ursachen sind laut Butterwegge prekäre Beschäftigungsverhältnisse und der wachsende Niedriglohnsektor. Der angespannte Wohnungsmarkt und die wenigen Sozialwohnungen. „Positiv kann man sagen, dass da wegen der Flüchtlingskrise zumindest mal etwas passiert.“

In den letzten Jahren wurde kaum in geförderten Wohnungsbau investiert, kritisiert er. Obwohl die Zahl der Wohnungslosen zeitgleich gestiegen ist. Laut der BAG Wohnungslosenhilfe waren im letzten Jahr 335.000 Menschen betroffen. Das sei der höchste Stand seit zehn Jahren und im Vergleich zu 2012 eine Steigerung um 18 Prozent. Rund 40.000 lebten „völlig ohne Dach über dem Kopf“.

Rechte entdecken den "deutschen Obdachlosen"

Bis 2018 erwartet die Organisation einen Anstieg bis zu einer halben Million Wohnungsloser. „Die Zuwanderung hat die Krise auf den Wohnungsmärkten nicht ausgelöst, sondern wirkt als Katalysator“, so der Vorsitzende Winfried Uhrig. Wegen des angespannten Wohnungsmarktes entstünde nun eine Rivalität, die „offensichtlich und vorhersehbar“ war. Und die gefährlich ist. „Rechte Strömungen entdecken den deutschen Obdachlosen, dem anstelle der Flüchtlinge geholfen werden muss“, meint Uhrig. Sie hetzen mit Wohnungsnot gegen Flüchtlinge.

Mitarbeiter der Tafel in Mechernich (NRW) Ende Oktober 2015 geben Lebensmittel an Flüchtlinge aus. Die Helfer dort sprechen von "Futterneid unter den Bedürftigen".
Mitarbeiter der Tafel in Mechernich (NRW) Ende Oktober 2015 geben Lebensmittel an Flüchtlinge aus. Die Helfer dort sprechen von "Futterneid unter den Bedürftigen".
© Oliver Berg/dpa

Spannungen auf dem Immobilienmarkt, Spannungen bei der Versorgung, bei Sozialleistungen und der Jobsuche. Im nächsten Jahr wird die Zahl der Arbeitslosen sehr wahrscheinlich steigen. Die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt wird nicht einfach sein. Daran ändern auch Bildung, Abschlüsse und der Ehrgeiz vieler Flüchtlinge nichts.

Auf dem Arbeitgebertag Anfang der Woche sagte Frank-Jürgen Weise in seiner Doppelfunktion als Chef der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge: Von rund 500.000 Bleibeberechtigten seien etwa 350.000 erwerbsfähig. Zehn bis 15 Prozent davon könnten wegen guter Sprachkenntnisse „relativ schnell“ vermittelt werden. Bei den meisten werde es aber Jahre dauern.

Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer fordert verpflichtende Sprachkurse für die Flüchtlinge und Ausnahmen beim Mindestlohn, so wie es sie für Langzeitarbeitslose gibt. Sie können bei einer Neueinstellung im ersten halben Jahr für weniger als 8,50 Euro beschäftigt werden. Kramer halte den Mindestlohn zwar für falsch – doch mit einer kompletten Aushebelung für Flüchtlinge käme es zu einem Verdrängungswettbewerb zwischen ausländischen und deutschen Beschäftigten, „den wir auf keinen Fall wollen“.

Keine Ängste schüren. Keine Gründe für Sozialneid schaffen. Der Tenor klingt von Sozialverbänden bis Politikern wie Sigmar Gabriel immer gleich. In den Berliner Suppenküchen sehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bislang kaum Flüchtlinge. „Hat sich wohl noch nicht rumgesprochen“, meint eine ehrenamtliche Helferin. Sie hat aber schon öfters beobachtet, wie aggressiv Obdachlose wurden, wenn eine Gruppe von Bulgaren kam. Vermutlich Wanderarbeiter. Bei der Kleidervergabe hieß es: Warum der? Bei der Essensvergabe: Die kriegen mehr! Einer fragte mal: „Sind die Flüchtlinge denn mehr wert als wir?“ Sie fürchten, zu kurz zu kommen. Leer auszugehen. So geht Verteilungskampf ganz unten in der Gesellschaft heute, Ende 2015. Die Berliner Tafel legt seit kurzem Infoblätter in den Flüchtlingsheimen aus. Auf Deutsch, Englisch und Arabisch wird erklärt, für wen die Tafeln gedacht sind. Wie sie funktionieren. Dass sie keine warmen Mahlzeiten verteilen, sondern Lebensmittel, die dann später verkocht werden können. Zu Hause. Ein Ort, den es für die Flüchtlinge nicht gibt.

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