Schmiergeldskandal: Fleischbarone stürzen Brasilien ins Chaos
Die Batista-Brüder machten ein Geschäft mit der Staatsanwaltschaft, das den Präsidenten das Amt kosten kann. Wer sind die mächtigen Fleischbarone?
Am Mittag des 19. Februar ging bei der Bundesanwaltschaft in Brasília ein Anruf ein. In der Leitung war der juristische Berater der Firma JBS, dem größten Fleischproduzenten der Welt. Er kündigte an, dass die Unternehmenschefs Joesley und Wesley Batista in allen gegen sie laufenden Untersuchungen gestehen und mit der Justiz zusammenarbeiten würden. Sie wollten eine Kronzeugenregelung, die sie vor dem Gefängnis bewahrt. Dafür würden sie den Ermittlern einen großen Fisch liefern, lautete das Angebot. Damit begann, was zu diesem Zeitpunkt niemand wissen konnte, die jüngste brasilianische Staatskrise. Sie kann den brasilianischen Präsidenten Michel Temer das Amt kosten.
Zwei Wochen nach dem Telefonanruf fuhr Joesley Batista zur Residenz Temers. Dieser empfing ihn, nicht ahnend, dass der 44-jährige Batista in seinem Jackett ein kleines Aufnahmegerät versteckt hatte. Der Besucher erzählte dem Präsidenten während dieses Treffens von allerlei Schweinereien – etwa, dass man Richter schmiere. Worauf Temer erwiderte: „Sehr gut, sehr gut.“ Er erzählte auch, dass man dem Ex-Vorsitzenden des Parlaments, der wegen Korruption im Gefängnis sitzt, Schweigegeld zahle, was Temer ebenfalls wohlwollend kommentierte.
Wirtschaftliche Erholung binnen weniger Stunden zunichte gemacht
Mit dieser und weiteren Aufnahmen marschierten die Batista-Brüder zur Staatsanwaltschaft. Als ihre Aussagen vergangene Woche bekannt wurden, erschütterte das die gesamte brasilianische Politik. Der Handel an der Börse in São Paulo, der größten Südamerikas, wurde wegen dramatischer Kurseinbrüche ausgesetzt, die brasilianische Währung Real gab enorm nach. Die Erholung, die die neuntgrößte Volkswirtschaft der Welt in den letzten Monaten erlebt hatte, war binnen weniger Stunden zunichte gemacht.
Die Brasilianer wissen nicht, ob sie den Batista-Brüdern dankbar dafür sein sollen, dass sie den unbeliebten Präsidenten ans Messer geliefert haben, oder ob sie die Firmenbosse für ihre Unverfrorenheit besser hassen sollen. Joesley und der ältere Bruder Wesley Batista jedenfalls setzten sich noch vor der Veröffentlichung ihrer Aussagen im Privatjet nach New York ab. Dort residieren sie seither in einem Luxusapartment in Manhattan und beobachten aus sicherer Entfernung das Drama, das sich in ihrer Heimat abspielt.
Wer sind die Brüder, die Brasilien ins politische Chaos gestürzt haben? Joesley und Wesley Batista tauchten 2007 auf der internationalen Bühne auf. Damals kaufte ihr Unternehmen JBS den US-Fleischproduzenten Swift und avancierte zum weltweit größten Konzern der Branche. JBS war 1953 vom Vater der Batistas gegründet worden. Der hatte die Arbeiter, die damals die neue Hauptstadt Brasília bauten, mit Fleisch versorgt.
Heute hat JBS rund 240 000 Angestellte und verzeichnete 2014 einen Umsatz von umgerechnet rund 34 Milliarden Euro. Damit ist JBS das drittgrößte Privatunternehmen Brasiliens und einer der größten Lebensmittelkonzerne der Welt. Wer in Brasilien Fleisch isst, kauft Produkte von JBS. In Europa kam der Konzern vor wenigen Wochen im Zusammenhang mit einem Gammelfleischskandal in die Schlagzeilen. Schlachthäuser des Unternehmens hatten Fleisch, dessen Haltbarkeit abgelaufen war, weltweit zu verkaufen versucht.
Der Aufstieg ist ohne Korruption nicht zu erklären
Zwar werden die Batista-Brüder häufig als Fleischbarone bezeichnet, aber das ist eigentlich zu wenig. Sie mischen heute in den verschiedensten Branchen mit. JBS ist Teil der von ihnen kontrollierten Holding J&F. Zu der zählen Laktosefirmen, Hersteller von Hygieneprodukten, ein Zelluloseproduzent, eine Bank, ein Fernsehkanal, der sich mit Landwirtschaft beschäftigt, ein Unternehmen für regenerative Energien sowie verschiedene Textilhersteller, darunter die bekannte Schlappenfirma Havaianas und der Sportschuhproduzent Mizuno.
Zum öffentlichen Gesicht des Batista-Imperiums wurde Joesley Batista. Er kultivierte das Image eines bodenständigen Unternehmers, der an Familienwerten orientiert ist und hart arbeitet. Doch der Aufstieg von JBS ist gar nicht ohne die – illegale – Mithilfe der Politik zu erklären. Gesetze wurden zum Vorteil des Konzerns erlassen oder so umgeschrieben, dass sie ihn begünstigen. Staatliche Banken gewährten sträflich großzügige Kredite. Nur so konnte JBS in der vergangenen Dekade zu dieser exorbitanten Größe wachsen. Das alles sind Firmen, die in Brasilien eine Quasi-Monopolstellung besitzen und die international konkurrenzfähig sind.
Auf einer Liste von JBS tauchen 1829 Politiker als Empfänger von Schmiergeldern auf. Sie gehören insgesamt 28 Parteien an. Manche sind Lokalpolitiker, andere Minister. Man habe sich eine Reserve von Entscheidungsträgern halten wollen, erklärte ein JBS-Manager die enormen Geldaufwendungen. Im Wahlkampf 2014 ließ JBS umgerechnet 100 Millionen Euro illegal in die Taschen von Politikern fließen. Etwa ein Drittel des aktuellen brasilianischen Kongresses wurde von der Fleischfirma geschmiert. Als Strafe für ihre Vergehen müssen die Batistas nun umgerechnet 65 Millionen Euro pro Kopf zahlen. Vom Unternehmen selbst will die Staatsanwaltschaft drei Milliarden Euro, die Batistas haben 300 000 Euro angeboten. Fest steht, dass Joesley und Wesley Batista nicht ins Gefängnis müssen. Der Coup der Milliardäre, so scheint es, ist aufgegangen.