Nach Katastrophe in Bangladesch: "Firmen müssen geradestehen"
Ein Jahr nach der Katastrophe in Bangladesch diskutiert Bundesentwicklungsminister Müller beim Tagesspiegel über Konsequenzen für das globale Textilgeschäft. Er sieht die Unternehmen in der Pflicht - prüft aber auch gesetzliche Maßnahmen.
Innerhalb von 19 Sekunden stürzte vor über einem Jahr die Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch ein, so marode war die Fabrik in der billige Kleidungsstücke auch für den europäischen Markt genäht wurden. 1130 Menschen starben bei dem Unglück. Doch was hat sich seitdem verändert? Die Arbeits- und Brandschutzbestimmungen wurden an internationale Standards angepasst, die Mindestlöhne verdoppelt, berichtet Gerd Müller, Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) auf einer Veranstaltung des Tagesspiegels am Dienstagabend. Unter dem Titel „Günstig erstanden, teuer erkauft: Was kosten faire Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern?“ diskutierte er mit Achim Lohrie, der bei Tchibo den Bereich Unternehmensverantwortung leitet, und der Vorstandssprecherin der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), Tanja Gönner.
Alle sind sich einig: Seit Rana Plaza ist etwas in Bewegung gekommen, doch das reicht nicht. BMZ und GIZ leisteten Direkthilfe nach dem Unglück, gaben Gelder für Medikamente frei, bezahlen heute Prothesen für verstümmelte Überlebende und schulen diese um. In den Hilfsfonds für die Überlebenden und deren Angehörige haben die Unternehmen von den versprochenen 40 Millionen Euro bisher aber nur 15 Millionen eingezahlt. Viele der Abgeordneten in Bangladesch seinen Textilfabrikanten, und hätten keinerlei Interesse, Verbesserungen für die Arbeiterinnen durchzusetzen, gewerkschaftliche Aktivitäten werden unterdrückt. Die Näherinnen selbst bitten darum, nicht ihre Fabriken zu boykottieren, berichtet Tanja Gönner. Ohne Arbeit könnten sie ihre Familien nicht ernähren. Auch sei nicht gesichert, dass das Mehr an Gehalt, das manche Firmen zu zahlen bereit wären, bei den Arbeiterinnen landet. In einer Kooperation mit C&A hat die GIZ Gehälter deshalb direkt an die Näherinnen auszahlen. „Jede bekam einen Umschlag mit ihrem Gehalt“, erzählt sie.
Bundesminister Müller sieht die Unternehmen in der Verantwortung
Müller sieht zwei Möglichkeiten, um das System in der Textilbranche grundsätzlich zu verbessern. „Erstens: Firmen müssen für ihre Lieferketten geradestehen und garantieren, dass dort Arbeits- und Sozialstandards eingehalten werden. Oder zweitens: Man führt ein gemeinsames Siegel ein.“ Darüber werde auch bei dem von ihm initiierten „Runden Tisch Textil“ diskutiert. Doch zu viele Unternehmen redeten sich raus, dass sie die Zulieferketten nicht kontrollieren könnten, berichtet Müller. Das Problem komplexer Handelsketten kennt auch Tchibo, doch es sei nicht unlösbar, meint Lohrie. Die Firma habe ihre knapp 3000 Lieferanten auf 822 „strategische Partner“ reduziert. Denen gebe Tchibo Abnahmegarantien und ermögliche so Investitionen in den Produktionsstätten. Die Einkäufer des Unternehmen hätten erst einmal lernen müssen, dass es nicht mehr nur auf die Gewinnmarge ankomme, sondern auch darauf, unter welchen Umständen produziert werde.
Dass freiwillige Selbstverpflichtungen das Problem lösen werden, zweifeln mehrere Zuhörer in der anschließenden Diskussion an. Müller prüft nach eigener Aussage daher auch gesetzliche Maßnahmen. „Vor dem Ende der laufenden Legislaturperiode muss etwas passieren“, sagt er. Wünschenswert sei außerdem, internationale Standards auf Ebene der Welthandelsorganisation (WTO) festzulegen.
Lohrie und Müller sehen ein wachsendes Bewusstsein und zunehmenden Willen bei den Unternehmen. „Der Handel übernimmt erstmals Verantwortung“, meint Lohrie. Mehr als 160 internationale Handelsunternehmen seien mittlerweile dem Arbeitsschutz-Abkommen Akkord beigetreten. Darunter sind neben Tchibo auch H&M, C&A oder Aldi.
700 der 3000 Fabriken in Bangladesch seien in Rahmen des Abkommens mittlerweile auf Brandschutzstandards und Statik geprüft worden - „mit durchaus heterogenen Ergebnissen“, berichtet Lohrie. Einige seien in guten Zustand, andere müssten, wie in den Vereinbarungen beschlossen, auf Kosten der beteiligten Handelsunternehmen saniert werden, wieder andere wurden geschlossen. „Ich investiere die Million lieber vorher in die Verbesserung der Fabriken, als jeden Morgen aus Angst vor einer Katastrophe schweißgebadet aufzuwachen und Nothilfe zu leisten“, sagt Lohrie. Das bringe auch einen Imagegewinn für die Firmen - und langfristig so auch finanzielle Erfolge.
Auch die Konsumenten sind Teil des Problems
Tchibo und H&M, berichtet GIZ-Chefin Tanja Gönner, hätten mit Hilfe der GIZ zudem Dialogforen in ihren Zulieferbetrieben etabliert. „Sie haben damit einen Rahmen geschaffen, um Missstände zu thematisieren und Verbesserungen auf den Weg zu bringen.“ So seien vor Ort viele praktische Probleme zu lösen: Fluchtwege müssten frei geräumt, die Belegschaft in Sachen Brandschutz trainiert und Kontrolleure ausgebildet werden.
Ohne einen Bewusstseinswandel der Konsumenten, so Entwicklungsminister Müller, werde es allerdings keine durchgreifenden Veränderungen geben. Und daran hapert es ganz offensichtlich noch, wie Lohrie an einem aktuellen Beispiel erläutert: In der vergangenen Woche verkaufte das Unternehmen Bettwäsche aus Bio-Baumwolle, im Verkaufsregal wurde sie direkt neben konventioneller Baumwolle platziert. Und obwohl der Preisunterschied lediglich zwei Euro betrug, verkaufte sich die Biobaumwolle deutlich schlechter. Neben der Lust auf Schnäppchen, liege dies aber auch daran, dass sich Konsumenten nur schwer orientieren könnten, sagen auch Gönner und Müller. Um das zu ändern, will das BMZ im Januar 2015 ein Onlineportal - ähnlich dem Portal Lebensmittelklarheit.de – frei schalten, auf dem sich Verbraucher über Herkunft und Produktionsbedingungen informieren können. Ob die Bio-Bettwäsche dann mehr Absatz findet, wird sich zeigen.
"Günstig erstanden, teuer erkauft - was kosten faire Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländen?" war die Auftaktveranstaltung der neuen Reihe "Welt im Wandel" der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und des Tagesspiegels. Nächster Termin: 10. Juni 2014. Ab 18.30 Uhr geht es dann um die Frage, wie Fußballprojekte zur Schule fürs Leben für Kinder in Armenvierteln werden können.
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