zum Hauptinhalt
Ein Glasbläser aus Hebron bei der Arbeit.
© AFP

Wirtschaft in Palästina: Firmen kämpfen ums Überleben

Die Wirtschaft in den Palästinensergebieten liegt brach – wer kann, gründet ein Unternehmen.

Yacob greift das Metallrohr, saugt mit dem Mund eine kleine Masse flüssiges, orangeschimmerndes Glas. Er bläst es auf zu einer kleinen Kugel, schiebt sie kurz in den auf 1400 Grad erhitzten Ofen vor ihm, zieht sie wieder heraus. Mit einer Zange formt er geschickt eine bauchige kleine Vase. Nach nicht einmal drei Minuten kann Yacob die Vase zum Ausglühen und Erkalten zur Seite legen. Der 41-Jährige ist einer der besten Mitarbeiter von Fawzi Al-Natsheeh.

Der steht ein paar Meter weiter zwischen Regalen voller bunter Keramik und blauer, grüner und roter Vasen. Fawzi ist Besitzer der Al Salam Factory in Hebron im Westjordanland knapp 40 Kilometer südlich von Jerusalem. Seinem Unternehmen geht es vor dem Hintergrund der allgemein sehr schwierigen Lage in den palästinesischen Gebieten noch vergleichsweise gut. Auf einen Umsatz von bis zu 1,5 Millionen Dollar hat es Fawzi in manchen Jahren mit seinen Vasen und der traditionellen Keramik schon gebracht. 80 Prozent seiner Handwerkskunst geht nach Europa und Amerika. Das hat bis zu 40 Mitarbeitern den Job in der Fabrik gesichert. Derzeit arbeiten dort aber nur 20. „In diesem Jahr läuft es nicht gut“, sagt Fawzi. Ihm hat das Geld für Messebesuche gefehlt, und in Palästina selbst haben die Menschen wegen der politischen und wirtschaftlichen Krise kein Geld für Fawzis Glas und Keramik.

Ohnehin ist der Export nicht einfach, sagt der Al-Salam-Chef. Alles muss über Israel ausgeführt werden. Auch seine Rohstoffe wie Lehm aus Spanien kommen auf diesem Weg. Die Israelis verlangen eine aufwendige und teure Dokumentation. Lkws mit der Ware von Al Salam können nicht einfach zu einem israelischen Hafen fahren, am Kontrollpunkt muss alles auf israelische Fahrzeuge umgeladen werden. Nicht zuletzt müssen Unternehmer wie Fawzi alles selbst finanzieren. „In Palästina gibt es keine Bank, die dir einen Kredit gewährt.“ Andere Firmen müssen ganz dichtmachen, wie jene Textilfabrik und ein Hersteller von Bürobedarf im Flüchtlingslager Aida in Bethlehem direkt an der israelischen Mauer. Sie und die israelische Blockade verhindern jedes Geschäft. 400 Arbeitsplätze sind weggefallen.

Karin Hoerhan kennt die Probleme der zu 99 Prozent kleineren Unternehmen. Sie arbeitet für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), die im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) in Palästina aktiv ist. Rund 4,4 Millionen Menschen, davon 1,5 Millionen Flüchtlinge, leben im Westjordanland und dem nur acht Kilometer breiten und 45 Kilometer langen Gaza-Streifen am Mittelmeer. Allein dort drängen sich 1,7 Millionen Menschen. Dazu kommen 300 000 israelische Siedler im Westjordanland und 200 000 in Ostjerusalem. Die Hälfte der Palästinenser ist jünger als 18. Die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp 25, bei den Jugendlichen bei mehr als 40 Prozent. Im Gaza-Streifen dürfte es noch schlimmer sein. Er ist nahezu komplett abgeriegelt und wird nur durch etwa 1500 Tunnels zwischen Ägypten und Gaza mit allen Waren von Lebensmitteln bis hin zum Geländewagen versorgt. Allerdings seien derzeit allenfalls etwa fünf Prozent offen, sagt Volker Bode, stellvertretender Landesdirektor der GIZ für die Palästinensischen Gebiete.

Gut fünf Millionen Euro aus deutschen Steuergeldern wurden über einen Zeitraum von fünf Jahren bis Ende 2013 in die Stärkung der Privatwirtschaft im Westjordanland investiert. Erste Erfolge werden sichtbar. „Dauerten Firmenregistrierungen bei den palästinesischen Handelskammern früher 17 Tage, sind es heute nur noch drei bis fünf“, sagt Hoerhan. Rund 150 in der „Bethlehem Fair Trade Artisans“ (BFTA) organisierte Kunsthandwerker unterstützt die GIZ bei Messeauftritten – im vergangenen Februar etwa auf der Konsumgütermesse Ambiente in Frankfurt. Das hat Aufträge im Wert von 70 000 Dollar gebracht.

Wenige Kilometer weiter in Hebron stehen Suhad Albattat, Haneen Altal und Mais Khallaf in der Küche der Berufsschule Saeb El-Nasser. Stolz präsentieren die drei 19-Jährigen aus Dhahiriyah, einem Dorf östlich von Hebron, die gebackenen Süßigkeiten, Torten und Kuchen. Nach dem zehnmonatigen Kurs wollen sie zurück ins Dorf, einen eigenen Laden eröffnen. „Unschlagbar macht uns, dass wir auch europäische Süßigkeiten anbieten werden“, sagt Suhad unter ihrem bunten Kopftuch. Das Startkapital von 1000 Dollar werden ihre Familien bereitstellen. So wie die drei jungen Frauen träumen rund 75 Schüler von einer Stelle als Koch oder Kellner oder einem eigenen Laden oder Restaurant. Die GIZ hilft bei der Ausstattung der Schule und der Ausbildung der Lehrer. „Im vergangenen Jahr hat die Mehrzahl der Absolventen eine Stelle gefunden", betont Albrecht König von der GIZ.

Gut 80 Kilometer südwestlich von Hebron können die Menschen im Gaza-Streifen von solchen Zuständen nur träumen. Das Gebiet ist praktisch komplett abgeschottet. Auch das Meer kontrollieren die Israelis. Die Wirtschaft liegt am Boden, eine nennenswerte Industrieproduktion gibt es nicht, Rohbauten können nicht fertiggestellt werden, weil Material fehlt. Viele Händler verbuchen Umsätze, die kaum zum Leben reichen. Auch Landwirtschaft lässt sich schwerlich betreiben, weil Platz und Wasser fehlen. Esel- und Pferdekarren prägen an vielen Stellen das Straßenbild in Gaza, an den Tankstellen bilden sich oft lange Schlangen, Benzin ist knapp. Und nur sechs Stunden am Tag gibt es Strom.

Beit Hanoun ist ein Dorf in Sichtweite der gigantischen israelischen Sperranlage. Nördlich herrscht Wohlstand, südlich in Gaza bittere Armut. Trotzdem schöpfen die Menschen Hoffnung. Wie im Familienzentrum in Beit Hanoun. Im Erdgeschoss lassen sich Frauen in einem mehrwöchigen Kurs die Herstellung von Ketten, Armreifen und anderem Schmuck zeigen, im ersten Stock werden andere Frauen zu Frisörinnen und Kosmetikerinnen ausgebildet. Mit 120 000 Euro unterstützte die GIZ 2013 das Familienzentrum. Die Organisation sei den Frauen auch eine wichtige psychische Stütze und gebe ihnen Rückhalt in der Familie, sagt Wael Safi von der GIZ in Gaza.

Die Wirtschaftskrise belastet auch das Familienleben. Viele Männer sind arbeitslos. So wie der Ehemann von Wafaa Ibrahim Al Kahlout. Acht Kinder hat die Familie, erzählt die Vierzigjährige, die ihre Haare unter einem blauen Tuch verborgen hat, und zieht bunte Perlen auf einen Kunststofffaden. „Ich will einen kleinen Schmuck- und Handarbeitsladen aufmachen“, sagt sie. Umgerechnet rund 50 Euro erhält die Familie monatlich an Sozialhilfe, davon muss auch Strom und Wasser bezahlt werden. Andere wollen einen kleinen Schönheits- oder Friseursalon eröffnen. Unter bestimmten Vorgaben gibt die GIZ einen Gründungszuschuss von gut 100 Euro.

Die Zuversicht der Frauen ist erstaunlich. Angeblich schauen in Gaza und im Westjordanland mehr und mehr Männer auch darauf, wie gut Frauen ausgebildet sind und ob sie möglicherweise einen Job haben, sagt GIZ-Direktor Bode. Überhaupt konzentrierten sich die Menschen mehr und mehr darauf, wie sie wirtschaftlich über die Runden kommen. Politik interessiere sie immer weniger, ist auch unter Studenten an der Universität in Gaza-Stadt zu hören. Sie verdammen zwar die israelische Blockade und israelische Siedlungen im Westjordanland. Trotzdem sind sie des Konflikts mit Israel überdrüssig ebenso wie den Streitereien innerhalb Palästinas zwischen Hamas und Fatah. Fatalismus macht sich breit, eine Lösung sehen die meisten nicht. Trotzdem verbreiten gerade viele Frauen in Palästina fast so etwas wie Aufbruchstimmung. Die angehenden Konditorinnen in der Saeb-El-Nasser-Berufsschule in Hebron genauso wie die 40-jährige Wafaa und viele Frauen im Familienzentrum in Beit Hanoun.

Zur Startseite