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Buntes Angebot. Unter Fernbus-Firmen tobt ein heftiger Preiskampf.
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Exklusiv

Wirtschaft: Fernbus-Anbieter erwarten doppelt so viel Umsatz im kommenden Jahr

Der Fernbus-Markt wächst pausenlos. Die meisten Kunden sind enttäuschte Bahn-Fahrer. 2015 wird sich der Umsatz vermutlich verdoppeln. Einem der Anbieter passt das gar nicht.

Ein beliebiger Morgen in Westend am Zentralen Omnibusbahnhof (ZOB): Sobald der Morgen graut, strömen die Menschen an die Haltestellen. Zuerst sind es nur ein paar, gegen sieben Uhr beginnt die Stoßzeit: Hamburg, München und Stuttgart sind die Ziele, Hof, Bad Sachsa und Suhl, im Ausland Prag, Sarajevo und Bukarest. Mehr als 270 Busse fahren pro Tag von Berlins zentralem Haltepunkt in alle Himmelsrichtungen ab, manchmal im Viertelstundentakt.

Der Fernbus-Markt wächst und wächst, allein im vergangenen Jahr haben rund neun Millionen Menschen das Angebot genutzt. Sie schätzen die neuen Möglichkeiten durch die Liberalisierung Anfang 2013: Die meisten Fahrten sind straff organisiert, Umsteigen ist oft nicht nötig, ein Sitzplatz anders als im ICE garantiert. Zudem liegen die Preise oft deutlich unter denen der Bahn: Eine Fahrt nach Hamburg am kommenden Montag mit dem Bus ist für elf Euro zu haben, mit dem Zug läuft unter 45 Euro plus Platzreservierung gar nichts. Die etwas längere Fahrzeit nehmen viele offenbar gerne in Kauf.

Der Zug ist viermal so teuer

Demnächst könnte es am ZOB noch voller werden. Nach Einschätzung der größten Anbieter wird der Markt 2014 noch einmal spürbar wachsen und sich 2015 sogar noch einmal verdoppeln. In diesem Jahr könnte der Umsatz aller Fernbus-Unternehmen auf 150 bis 160 Millionen Euro zulegen, prognostiziert die Deutsche Bahn nach Tagesspiegel-Informationen in einer Berechnung für den Konzernvorstand. Im kommenden Jahr könnte das Volumen sogar auf rund 350 Millionen Euro steigen. Der Marktführer MeinFernbus aus Berlin geht sogar noch weiter – er sagt der Branche ein Umsatzplus auf 200 und 400 Millionen Euro in diesem und im nächsten Jahr voraus. „Das Potenzial ist noch immer nicht ausgeschöpft“, findet Geschäftsführer Torben Greve.

Eigentlich hatten die Anbieter damit gerechnet, dass die Goldgräberstimmung in diesem Jahr allmählich zu Ende gehen würde. Auch wegen des intensiven Wettbewerbs: Neue Unternehmen wie MeinFernbus oder Flixbus versuchen, mit einer aggressiven Preispolitik Kunden anzuziehen. Bei Tickets im Sonderangebot verlangen sie mitunter nicht einmal drei Cent pro Kilometer, hat der Verkehrswissenschaftler Christoph Gipp vom Iges-Institut ermittelt. Im Schnitt ist nur jeder vierte Sitzplatz belegt. „Selbst wenn Wettbewerber ausscheiden, werden andere das Angebot übernehmen“, findet MeinFernbus-Mann Greve. „Das war bei den Billigfliegern ja nicht anders.“ Er will aber nicht zu denen gehören, die auf der Strecke bleiben. „Wir schreiben in diesem Jahr schwarze Zahlen“, versichert er.

Deutsche Bahn: „Das haben wir unterschätzt“

Beim ADAC und der Deutschen Post, die mit dem Postbus viertgrößter Anbieter sind, gibt man sich da zugeknöpfter. Aber aus einem speziellen Grund: Der ADAC prüft einen Ausstieg aus dem erst im November gestarteten gemeinsamen Projekt. Im Zuge des Skandals um manipulierte Auto-Auszeichnungen zeigte sich, dass der Autoclub mittlerweile eher ein Milliardenkonzern als ein Hilfsdienst ist. Nun wollen sich die Münchener offenbar auf die Dienstleistungen rund um den Pannendienst konzentrieren. Innerhalb der nächsten zwei Wochen soll es zu den Bussen eine Entscheidung geben.

Einem anderen Anbieter passt der Bus-Boom gar nicht. Die Deutsche Bahn ist zwar auch mit zwei Marken dabei – Berlin Linienbus und IC Bus. Sie verzeichnet aber empfindliche Einbußen bei ICEs und ICs. Im vergangenen Jahr verloren die Fernzüge 20 Millionen Euro Umsatz an die Busse, in diesem Jahr dürften es nach Schätzungen des Staatskonzerns schon 40 Millionen sein. „Das haben wir unterschätzt“, räumte ein Manager ein. Eine Sprecherin lehnte einen Kommentar ab.

Der Verlust ist besonders schmerzlich, weil die Einbußen wegen der hohen Fixkosten bei der Bahn direkt auf den Gewinn durchschlagen. Umfragen belegen, dass die meisten Bus-Fahrer enttäuschte Bahn-Kunden sind. Fast jeder zweite Passagier (44 Prozent) ist nach einer Erhebung des Iges-Instituts bislang vorwiegend Zug gefahren. 38 Prozent haben bislang das Auto genutzt. Zu den größten Kundengruppen zählen nach Branchenangaben Rentner und Studenten.

Die Arbeitnehmer fordern den Vorstand nun zum Handeln auf. „Die Bahn muss sich jetzt etwas einfallen lassen“, sagte Jens Schwarz, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats, dem Tagesspiegel. „Es muss etwas geschehen, um die Kunden wieder in die Züge zu bekommen.“ Eine Idee ist den Eisenbahnern schon gekommen: Sie wollen in Zukunft Busbahnhöfe betreiben und Haltegebühren von der Konkurrenz verlangen – um wenigstens so von dem neuen Markt zu profitieren.

Carsten Brönstrup

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