Abgasskandal bei Volkswagen: Falsche Abgaswerte auch bei Benzinern von VW
Neue Dimension in der VW-Affäre: Der Konzern räumt falsche CO2-Werte bei weiteren 800.000 Autos ein, darunter solche mit Benzinmotoren. In den USA geraten Audi und Porsche in den Blick - und damit Konzernchef Müller.
Die VW-Aktie ist am Mittwoch zum Handelsstart um mehr als acht Prozent eingebrochen. Volkswagen hatte am Dienstagabend mitgeteilt, es seien weitere Unregelmäßigkeiten bei Abgaswerten festgestellt worden. Davon könnten nach derzeitigen Erkenntnisstand rund 800.000 Fahrzeuge betroffen sein. Die wirtschaftlichen Risiken könnten bei rund zwei Milliarden Euro liegen, hieß es. Dabei geht es um den Ausstoß des klimaschädlichen Kohlendioxids (CO2) und damit um den Spritverbrauch, während bisher nur von Stickoxid die Rede war.
Eine gute Nachricht erreichte den Konzern aus den USA: Der Abgasskandal zieht bislang keinen Absatzeinbruch auf dem wichtigen Automarkt nach sich. Die Wolfsburger verkauften im Oktober - dem ersten vollen Monat seit Bekanntwerden der Manipulationen - mit rund 30.000 Fahrzeugen ungefähr ebenso viele Autos wie vor Jahresfrist. Insidern zufolge gewährt VW Kunden allerdings massive Kaufanreize. Andere große Autobauer wie die Opel-Mutter General Motors, Ford, Toyota und Fiat Chrysler legten indes zwischen 13 und 16 Prozent zu.
Motoren stammen aus dem Stammwerk in Wolfsburg
Nach der VW-Mitteilung vom Vorabend sind nun erstmals auch Benzinmotoren von möglichen Manipulationen betroffen. Bei einem Benzinmotor mit Zylinderabschaltung habe es Auffälligkeiten gegeben, sagte ein Sprecher. Es handele sich dabei aber um eine geringe Stückzahl. Bei den Dieselmotoren seien 1,4-, 1,6- und 2,0-Liter-Varianten betroffen. Alle Aggregate stammen einem Sprecher zufolge aus dem Wolfsburger Stammhaus von VW. Das Eingeständnis des Konzerns folgt auf neue Vorwürfe der US-Umweltbehörde EPA vom Montag, wonach auch bei den VW-Marken Audi und Porsche Abgaswerte der Drei-Liter-Diesel-Motoren manipuliert worden seien. Nach seinem knappen Dementi vom Montagabend schwieg Volkswagen am Dienstag zunächst. Porsche zeigte sich „überrascht“, Audi wies die Vorwürfe zurück. „Unsere Software ist gesetzeskonform“, sagte ein Sprecher.
Träfe es zu, dass auch Porsche getrickst hat, geriete der frühere Porsche- und heutige VW-Chef Matthias Müller in ernste Schwierigkeiten. Auch das Bundesverkehrsministerium steht immer mehr in der Kritik. Die Grünen beantragten eine Aktuelle Stunde im Bundestag. Die Grünen sehen Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Zug. "Wir fordern Verkehrsminister Dobrindt auf, endlich einen konkreten Plan auf den Tisch zu legen, wie er sich vorstellt, dass die Branche in den kommenden Jahren nicht gegen die Wand fährt", teilte Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer am Dienstagabend in Berlin. "Angesichts der Dimension des Skandals und dem damit verbundenen Schaden für die gesamte deutsche Automobilbranche reicht es nicht mehr aus, Aufklärung als Show zu simulieren."
Die EPA hatte am Montagabend mitgeteilt, dass in bestimmten Diesel-Modellen der Marken VW, Audi und Porsche Motoren verbaut wurden, die bei Stickoxid-Emissionen die in den USA erlaubten Grenzwerte um das bis zu Neunfache überträfen. Dabei gehe es um die Geländelimousinen VW Touareg, Porsche Cayenne und Audi Q5 sowie die Limousinen Audi A6 Quattro, Audi A7 Quattro und den Audi A8 sowie dessen Langversion. Betroffen seien die Modelljahre von 2014 bis heute.
Als Reaktion auf die jüngsten Vorwürfe setzt Porsche den Verkauf von Dieselmodellen des Geländewagens Cayenne in Nordamerika aus. Dabei handele es sich um eine freiwillige Maßnahme, betonte die Luxustochter des VW-Konzerns am Dienstag (Ortszeit) in einer Erklärung. Betroffen seien Fahrzeuge der Modelljahre 2014 bis 2016. Besitzer der Modelle könnten ihre Wagen weiter wie bisher fahren.
Die Manipulationen bei VW hätten ganz offensichtlich System gehabt, erklärte Krischer. Dobrindt müsse daher "endlich klare politische Regeln und Kontrollen durchsetzen, um die Branche vor sich selbst zu schützen".
Audi und Porsche liefern die höchstens Gewinne im VW-Konzern
Sportliche Geländewagen sind sehr gefragt. Audi und Porsche liefern die höchsten Gewinne im VW-Konzern. Wie viele Fahrzeuge in den USA und weltweit betroffen sind, ist bislang nicht bekannt. Laut EPA geht es um rund 10.000 Diesel, die seit dem Modelljahr 2014 in den USA verkauft wurden, und eine noch unbekannte Zahl aktueller Fahrzeuge.
Porsche gab an, es seien etwa 3000 Fahrzeuge betroffen, die von Januar bis September in den USA ausgeliefert wurden. Das ist knapp ein Viertel aller 2015 in den Vereinigten Staaten an die Kunden übergebenen Cayennes. Die beanstandeten Motoren sind nicht von Porsche selbst, vielmehr greift die Firma auf Vorarbeiten anderer VW-Konzernbereiche zurück. Nur Benzinmotoren kommen aus der Porsche-Eigenproduktion. Rechtlich gesehen ist dies aber nachrangig, weil der Hersteller haftet – also Porsche.
„Sollte der Drei-Liter-Dieselmotor tatsächlich von Manipulationen betroffen sein, dürfte sich das Problem auf weltweit wesentlich mehr Fahrzeuge erstrecken“, sagte NordLB-Analyst Frank Schwope.
Volkswagen-US-Chef Michael Horn hatte bei seiner Anhörung vor dem US- Kongress Anfang Oktober bereits ein „Hilfsgerät zur Emissionskontrolle“ erwähnt. Die Umweltbehörde EPA hatte dieses „Auxiliary Emissions Control Device“ (AECD) auf mögliche Manipulationen untersucht. Ohne Angabe von Gründen oder gar ein Schuldeingeständnis hatte Volkswagen nach Angaben Horns den Antrag auf Umweltgenehmigungen für Fahrzeuge des Jahrgangs 2016 zurückgezogen.
AECD dürfen von Autobauern in den USA genutzt werden, vorausgesetzt die Hersteller informieren die Behörden einmal pro Jahr für jedes Modell genau darüber. Die Technik darf nicht eingesetzt werden, um Abgaswerte auf dem Prüfstand zu manipulieren. Das Kraftfahrtbundesamt konnte am Dienstag auf Nachfrage zunächst nicht sagen, ob AECD in Deutschland zulässig und in Fahrzeugen verbaut sind.
US-Behörde prüft auch Diesel anderer Hersteller
Die EPA testet seit einiger Zeit auch Diesel-Modelle anderer Hersteller. Ergebnisse liegen noch nicht vor. Auch BMW-Chef Harald Krüger sagte am Dienstag, es gebe „noch keinerlei Hinweise – weder in die eine, noch in die andere Richtung“. Er betonte, bei BMW werde nicht manipuliert, man halte sich an die Vorschriften.
Die Folgen des am 20. September bekannt gewordenen Diesel-Skandals sind auf dem deutschen Automarkt bislang nicht zu spüren. Die Nachfrage nach Diesel-Modellen stieg im Oktober laut Kraftfahrtbundesamt sogar um 1,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diesel-Motoren machten einen Anteil von 47,7 Prozent aller Neuzulassungen aus. Die Marke VW (Marktanteil: 22 Prozent) verbuchte nur einen moderaten Rückgang bei den Neuzulassungen von 0,7 Prozent. Insgesamt wurden im Oktober nach Angaben des Autoverbandes VDA 278.400 Pkw neu zugelassen. Aufgrund des starken Vorjahresmonats ergebe sich lediglich ein Plus von einem Prozent. Seit Jahresbeginn stiegen die Neuzulassungen um fünf Prozent auf knapp 2,7 Millionen Fahrzeuge. (mit AFP, dpa)