Researchgate: Facebook für Forscher
Die junge Berliner Firma Researchgate hat weltweit mehr als 700 000 Wissenschaftler vernetzt
Berlin - Der Mediziner Ijad Madisch stand in seinem Labor an der Harvard Medical School in Boston und wusste nicht weiter. Egal was er probierte, das Experiment misslang. Madisch fragte seinen Professor, er wälzte Fachzeitschriften – nichts. Da kam ihm die Idee: Ein soziales Netzwerk für Wissenschaftler, in dem Biologen, Informatiker und Physiker Experten anderer Disziplinen um Rat fragen können. Madisch rief zwei Freunde aus Deutschland an. Gemeinsam entwickelten sie eine Art Facebook für Forscher. Im Mai 2008 ging die Seite online, mittlerweile hat sie über 700 000 Mitglieder und ist damit nach eigenen Angaben die weltweit größte Online-Community für Wissenschaftler.
Madisch sitzt in einem Café in Berlin- Mitte, zwei Straßen weiter haben er und 30 Mitarbeiter vor kurzem das neue Büro eingerichtet. Der 30-Jährige hat einen Doktor in Virologie, hat in Harvard studiert. Er redet viel und lacht dabei; ein sympathischer junger Mann, souverän und abgeklärt. Es ist seinen Sätzen anzuhören, dass er sie schon oft gesagt hat: vor Investoren zum Beispiel. Sie interessieren sich nun für ihn und sein Projekt. Vor einigen Monaten haben Benchmark Capital und Accel Partners eine Summe im unteren siebenstelligen Bereich, also mehr als eine Million Euro, in das Projekt investiert – zwei Firmen, die schon Facebook und Twitter unter die Arme gegriffen haben. Die Investoren ließen dem Team die Wahl: Entweder ziehen sie nach Silicon Valley oder Berlin. Madisch wählte Berlin.
In der deutschen Start-up-Szene gilt der Schritt als bemerkenswert: Researchgate ist womöglich die erste Neugründung, die nach Deutschland kommt, bei der das Startgeld aber komplett aus den USA stammt. „Hier gibt es keine Apples, Googles und Facebooks, die uns die Leute abwerben“, sagt Madisch. Doch eigentlich wäre er lieber schon vor zwei Jahren in Deutschland geblieben. „Ich fühle mich hier wohl, das ist meine Heimat“, sagt der Sohn syrischer Eltern. Doch während amerikanische Universitäten neue Ideen förderten, verhielten sich die deutschen Hochschulen eher skeptisch.
2008 war er gerade aus Harvard zurückgekehrt, erzählt Madisch. Als er seine Idee seinem neuen Arbeitgeber an der Universität in Hannover vorstellte, lehnte dieser jedoch ab. Madisch solle sich auf seine wissenschaftliche Karriere konzentrieren, keine Luftschlösser bauen. Am Ende ging dieser wieder zurück in die USA.
Er blieb noch einmal drei Jahre in Boston, arbeitete in Harvard als Wissenschaftler; die Uni gab ihm den Freiraum, an seinem Projekt zu arbeiten. Es war die Zeit, als Facebook groß wurde, Dienste wie Twitter eroberten das Internet, Silicon Valley machte eine neue Generation der Gut-Zwanzig-Jährigen zu Millionären. Und Madisch saß in Boston und glaubte an seine Idee. Doch die Anfänge waren schleppend: Pro Tag meldeten sich 20 bis 30 Leute an, die drei Freunde baten andere Freunde, auf ihr Projekt aufmerksam zu machen. Bei Vorträgen zeigten diese eine Folie: „Ich bin mit Mitglied bei Researchgate“. Es klappte. Das eigene Netzwerk fütterte das digitale. Heute registrieren sich pro Tag 2000 Menschen: Biologen, Mediziner, Physiker, und Philosophen. Sie diskutieren, legen Profile an, auf denen sie ihre Fähigkeiten angeben: „Spezialgebiet drahtlose Kommunikation“, steht bei einem Mitglied. Das Foto zeigt einen 38-jährigen Inder.
Doch Researchgate ist kein zweites Facebook. Es geht weniger um Freundschaften, weniger darum zu schauen, was der alte Bekannte aus der Schulzeit heute macht. Nicht der Spaß steht im Vordergrund, Researchgate soll den Fortschritt schneller machen, das Arbeiten effizienter und die Wege zwischen den Disziplinen kürzer. „Viele Köpfe sind in ihrem Fachgebiet spitze. Doch wer als Mediziner Moleküle untersucht, will auch wissen, wie sie sich verhalten, wenn er ihre Struktur verändert“, sagt Madisch. Dazu sind Computer und Spezialwissen nötig. Der Mediziner braucht den Bioinformatiker und anders herum. Bei Researchgate können die Forscher Fragen stellen. Und manchmal feststellen, dass es Ähnliches schon gibt. Denn noch immer läuft in der Forschung vieles parallel, ohne dass der eine vom anderen weiß – und dabei eigentlich profitieren könnte.
Auch Researchgate stellt sich nun die Frage nach der eigenen Wirtschaftlichkeit. „Ich glaube, es gibt Wege Geld zu verdienen, ohne den Wissenschaftler zu nerven“, sagt Madisch. Werbung werde es daher nie geben, auch die Daten der Mitglieder will die Firma nicht verwenden. Dafür zahlen Unternehmen wie Siemens oder Pfizer dafür, bei Researchgate Stellenangebote aufzugeben. Den größeren Umsatz könnte aber schon in diesem Jahr der Verkauf von Lizenzen bringen, sagt Madisch. Die Universität in Georgia oder Institute wie die Gesellschaft für Virologie nutzen Researchgate schon jetzt als Intranet, die Lindauer Nobelpreisträgertagung vernetzt damit ihre Teilnehmer. Und auch mit der Max-Planck-Gesellschaft gibt es Verhandlungen.
Laura Höflinger