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Heißer Kandidat. Der Stecker der Firma Mennekes könnte zum EU-Standard werden. Energiekommissar Günther Oettinger will eine schnelle Entscheidung.
© Frank Ossenbrink

Elektroautos: Europa sucht den Superstecker

Wer künftig mit einem Elektroauto ins Ausland fährt, will nicht wie früher an der Grenze Halt machen müssen. Ein europäischer Einheitsstecker muss her. Die EU muss sich einigen, doch es gibt Streit.

Brüssel - Geräuschlos rollt der Wagen auf den Parkplatz. Pascal Bick drückt auf den Aus-Knopf und steigt aus. Hier, am Place de la Republique mit Blick auf den Turm des Straßburger Münsters, steht die Zapfsäule der Zukunft: eine elektrische Ladestation. Bick, Mitarbeiter bei den Stadtwerken, die der Electricité de France gehören, zückt seine Karte und weist sich aus. Das schwarze Verdeck öffnet sich, es kann getankt werden.

Die neue Mobilität ist in Straßburg – wie in vielen anderen Städten auch – schon Wirklichkeit geworden. 90 Elektroautos sind auf den Straßen der elsässischen Metropole unterwegs, leise und ohne Kohlendioxidausstoß. Irgendwann soll der Strom auch nicht mehr aus Kohlekraftwerken oder Atommeilern kommen, sondern aus Windparks und Solaranlagen. Der Weg dahin jedoch ist noch weit.

Das weiß auch Pascal Bick, ein nüchterner Beamtentyp, der 1985 beim örtlichen Energieversorger anfing, als der noch gar nichts mit Autos zu tun hatte. Zum Beispiel kann er mit seinem silbernen Toyota nicht über den Rhein hinüber nach Kehl fahren. Drüben in Deutschland gibt es zwar auch erste E-Mobility-Versuche und Ladestationen. Blöd nur, dass dort der Stecker nicht passt. „Die Handhabung des Steckers“, sagt der französische Strommanager entschuldigend, „ist noch verbesserungsfähig.“

Das sieht auch die Politik so. Wer künftig mit einem Elektroauto ins Ausland fährt, will nicht wie früher an der Grenze Halt machen müssen. Ein europäischer Einheitsstecker muss her. Er sei „ein entscheidender Faktor“, damit es vorangehen könne, heißt es bei Daimler in Stuttgart lapidar. Im Juni vergangenen Jahres erteilte die Brüsseler EU-Kommission den europäischen Normungsbehörden das Mandat, den Superstecker zu bestimmen. Anfang Februar machten die Staats- und Regierungschefs auf dem EU-Gipfel Dampf: „Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, im Benehmen mit den europäischen Normungsgremien und der Industrie die Arbeit zu beschleunigen, damit bis Mitte 2011 technische Standards für Ladesysteme für Elektrofahrzeuge (. . .) angenommen werden können.“

Von Beschleunigung aber kann keine Rede sein. Es gibt Streit. Und zwei Stecker, die jeweils von mächtigen Interessengruppen mit mächtigen Politikern im Rücken protegiert werden. Hinter dem „deutschen“ Stecker stehen die europäischen Autokonzerne, mehrere Energieunternehmen und nicht zuletzt die Bundesregierung. Hinter dem „französischen“ Stecker, der eigentlich in Italien entwickelt wurde, sammelt sich eine „Plug Alliance“ mit dem Pariser Elektrotechnikkonzern Schneider Electric an der Spitze. Die Verbindungen in den Elysée-Palast scheinen nicht die schlechtesten zu sein.

Im Sauerland warten sie gespannt darauf, wie das Kräftemessen ausgeht. Im Dorf Kirchhundem, unweit von Winterberg, hat die Firma Mennekes ihren Sitz. „Was mir schon Bauchschmerzen macht, ist dieser Schwebezustand“, gesteht Stefan Gattwinkel, der Leiter der Entwicklungsabteilung. Der Ingenieur hat in einer Hauruckaktion ein älteres Steckermodell, das schon Strom und Daten zugleich leiten konnte, weiterentwickelt und gerade rechtzeitig bei der Normbehörde eingereicht. Viel Aufwand war nötig, um den Stecker so kompakt zu bauen, dass er gut in der Hand liegt – und trotzdem bis zu 63 Ampere hindurchfließen können. „Wenn das jetzt auf der politischen Bühne scheitern würde – das wäre schon bitter.“

So weit aber ist es noch nicht. Neben der Mennekes-Werkshalle, wo Kontakte aus Messing und die Plastikteile des Steckers gefertigt werden, entstehen Büros für neue Mitarbeiter. Sie sollen eingestellt werden, wenn Mennekes’ Stecker Europas Stecker wird. Mennekes, das ist bester deutscher Mittelstand: Tradition, Familienbetrieb, Weltmarktführer bei Industriesteckern. Und der Chef, Walter Mennekes (63), ist einer, der Lehrlingen mit gutem Zeugnis eine Cola hinstellt und bei schlechten Noten die eigene Ehre beleidigt sieht. Aber wie kam Mennekes zum Elektroauto? Natürlich ist auch Vitamin B im Spiel – B wie Bayern München. Seit 25 Jahren ist Mennekes Mitglied.

Es ist Herbst 2008. Die Münchner kicken gegen Wolfsburg, als auf der Haupttribüne das Verwaltungsbeiratsmitglied Mennekes dem Aufsichtsratsmitglied Martin Winterkorn den Prototyp eines Steckers in die Hand drückt. Der Sauerländer hat zuvor ein Interview mit dem VW-Chef in der „Zeit“ gelesen. „Die Zukunft wird den Elektromotoren gehören“, so Winterkorn, „betankt aus der Steckdose.“ Mennekes fühlt sich angesprochen. Als Winterkorns Leute ihm antworten, dass der Stecker im Prinzip der richtige sei, wenn er weiterentwickelt werde, wittert er ein großes Geschäft und geht aufs Ganze. Softwareentwickler und Datentechniker werden eingestellt, es soll ein kluger Stecker werden, der zwischen Autofahrer und Energieunternehmen Kontakt herstellt. Die Firma konzentriert sich fast nur noch auf dieses Projekt, das Kerngeschäft läuft nebenher. „Nur wer häufig aufs Tor schießt“, sagt Mennekes, „trifft auch mal.“

Seit dem Wolfsburg-Spiel läuft die Sache mit dem Stecker. Denn wer Winterkorn kennt, bekommt auch Kontakt zu den Brüderles, Röttgens und Merkels – und zu Günther Oettinger, dem EU-Energiekommissar. Im neunten Stock des Brüsseler Kommissionsgebäudes steht deshalb Anfang Februar ein knallgelbes Bobbycar. Mennekes’ Mannschaft hat es zu Demonstrationszwecken mit einer Steckdose versehen. Eine Ladesäule ist hereingerollt worden. Das Konkurrenzprodukt aus Italien liegt auch auf dem Tisch und wird mit vorbereitetem Alltagsdreck eingeschmiert. Das soll beweisen, dass es schon nach ein paar Steckvorgängen gewaltig hakt. Pikant ist die Vorführung, weil ihr nicht nur Günther Oettinger lauscht, sondern auch Antonio Tajani, der Industriekommissar, der kürzlich schon das einheitliche Handyladekabel präsentierte. Tajani ist Italiener und schaut etwas betreten auf den Boden, wenn der italienische Stecker sein Fett wegkriegt. Am Ende sichert er der deutschen Delegation feierlich zu, dass er keinerlei Einfluss auf die Entscheidung nehmen werde. „Wenn Ihre Lösung die beste ist“, so Tajani, „ist das für mich in Ordnung.“ Die Normbehörden seien unabhängig.

Interessen spielen trotzdem eine Rolle, wenn das Europäische Komitee für die elektrische Standardisierung, kurz Cenelec, das Maß aller Dinge bestimmt. Denn beraten wird es dabei von Industrievertretern aller beteiligten Branchen. „Gegensätzliche Anforderungen“ stellten diese, klagte im November die spanische Generaldirektorin Elena Santiago Cid in einem Brief an Tajani, um ihm aber zu versichern, dass „flexibel und schnell“ entschieden werde. Danach sieht es derzeit jedoch nicht aus. „Es geht nicht voran“, berichtet einer, der die Sitzungen verfolgt, „die ganze Sache ist total blockiert.“ Die Frist für eine erste Stellungnahme ist Ende März abgelaufen – wegen „Unstimmigkeiten“, wie am Donnerstag ein Kommissionssprecher bestätigte. Oettinger dringt auf schnelle Entscheidungen: „Sonst wird am Ende nicht der deutsche oder der französische Stecker europäischer oder gar internationaler Standard, sondern der chinesische.“

Kommen die Normierer zu keinem Urteil, ginge das Geschacher wieder von vorn los. Immer nämlich, wenn die EU etwas entscheiden muss, spielen nationale Prägungen hinein. Die Franzosen sehen das Ganze eher pragmatisch. Die Deutschen möchten es besonders gut machen. „Wir wollen, dass die Elektroautos der Zukunft auch als Stromspeicher für erneuerbare Energien genutzt werden“, sagt Projektmanager Mark Walcher vom Energieversorger EnBW. Wenn der Wind besonders stark über die Offshoreparks hinwegbläst und viel Strom erzeugt, soll der in den Garagen der Republik zwischengelagert werden und später aus den Autos abfließen, wenn er gebraucht wird. Das verlangt auch nach einem besonders raffinierten Stecker. „Die Franzosen mit ihrem vielen Atomstrom dagegen wollen hauptsächlich, dass das Auto schnell und einfach geladen wird“, berichtet Walcher von seinen Erfahrungen mit dem Pilotprojekt Straßburg-Kehl.

Das klappt auch bei Pascal Bick nicht immer auf Anhieb. Die Ladestation nahe des Straßburger Hauptbahnhofes akzeptiert seine Karte nicht. Er lacht verlegen. „Sie sehen, es gibt noch viel zu tun!“ Auch er wartet dringend auf Brüssel. „Erst wenn der Standard festgelegt ist“, so Pascal Bick, „wissen wir, dass wir nicht umsonst investieren.“

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