US-Investor George Soros: "Europa droht eine lange Phase der Stagnation"
Star-Investor George Soros spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über das Krisenmanagement von Kanzlerin Merkel und das mögliche Scheitern der Europäischen Union.
Herr Soros, fünf Jahre nach Beginn der Finanzkrise erholt sich Europa langsam. Nun attackieren Sie die Hilfspolitik Angela Merkels. Wollen Sie Investoren an die ungelösten Probleme der Euro-Zone erinnern?
Dank der Intervention von EZB-Präsident Mario Draghi haben sich die Märkte beruhigt. Es wird aber einen Wettlauf geben zwischen den Reformen und der weiteren Kooperation der Schuldenländer. Mit anderen Worten, es könnte dort einen Aufstand geben, der die EU zerstört.
Sie malen schwarz.
Es geht nicht um eine Finanz-, sondern um eine politische Krise. Wenn sich daran nichts ändert, wird Deutschland tatsächlich gehasst werden, und die EU wird untergehen in Bitterkeit und gegenseitigen Anschuldigungen. Die Austeritätspolitik, also die Sparpolitik, die die Deutschen Europa verordnet haben, hat zu einer Depression geführt. Die Euro- Krise kann es mittlerweile mit der Großen Depression in den 1930er Jahren aufnehmen. Europa hat den Tiefpunkt erreicht und steht vor einer langen Phase der Stagnation.
1992 haben Sie gegen das britische Pfund gewettet und Milliarden verdient. Jetzt fordern Sie einen Kurswechsel der Euro-Politik. Würden Sie daran auch verdienen?
Diese Dinge lassen sich nicht vergleichen. Viele stimmen heute darin überein dass meine Spekulation gegen das Pfund am Ende segensreich war, weil Großbritannien an einem bestimmten Punkt das Europäische Währungssystem verlassen musste. Ich gebe nicht politische Ratschläge, um daran zu verdienen – und ich habe von Investitionen in Europa Abstand genommen, wenn ich in politische Debatten dort eingebunden bin.
Haben Hedgefonds die Krise verschärft?
Man kann Investoren auf jeden Fall nur zum Teil für die Euro-Krise verantwortlich machen. Der Maastricht-Vertrag wurde geschlossen in der Annahme, dass Ungleichgewichte stets auf den öffentlichen Sektor zurückgehen, dass der Privatsektor seine eigenen Exzesse korrigiert. Es war aber der private Sektor, der die Euro-Krise ausgelöst hat. Aber Hedgefonds sind nur ein kleiner Teil des Finanzsystems. Die ausgesprochen negative Sicht auf Hedgefonds geht zurück auf die öffentliche Hand, sie macht sie für die Probleme verantwortlich. Tatsächlich sind Hedgefonds nur die Überbringer, nicht die Täter. Politiker wollen die Verantwortlichkeit nur von sich ablenken.
Sie sagen, Deutschland weigere sich, die Probleme seiner Nachbarländer zu lösen. Was sollte die Merkel-Regierung denn tun?
Deutschland benimmt sich wie die europäische Version der Tea-Party-Bewegung in den USA. Sie lehnt Geldtransfers innerhalb eines Bundesstaats ab. Deutschland ist ebenso gegen Transfers an andere Staaten. Innerhalb der Bundesrepublik gibt es aber ein sehr effizientes, gut entwickeltes soziales Netz und einen Finanzausgleich. Die Deutschen tun nur das absolute Minimum und nur, wenn es sich nicht vermeiden lässt. So werden wir die dringend notwendige Wachstumsagenda in Europa nicht bekommen.
Sie verlangen Eurobonds.
Eurobonds ändern nichts am Problem der Wettbewerbsfähigkeit. Das ist aber auch das Einzige, was sie nicht können. Sie würden Zeit verschaffen, um notwendige Reformen anzugehen.
Staaten wie Italien oder Griechenland fehlt es an Wettbewerbsfähigkeit. Würde die EU mit Eurobonds dieses Problem nicht bloß verschieben?
Heute würden Eurobonds nicht das Maß an Erleichterung verschaffen, wie sie es vor einigen Jahren getan hätten, als die Zinsunterschiede im Euro-Raum viel größer waren. Der einzige Schritt, der nun einen Unterschied machen würde, ist ein Plan für einen Euro-Zonen-Haushalt, der gespeist würde aus Unternehmensteuern und verwendet würde für eine EU-weite Arbeitslosenversicherung. Das würde natürlich Transferzahlungen von Deutschland nach Spanien oder Italien bedeuten, aber unter anderen Umständen könnte es sich entpuppen als eine Transferzahlung in die entgegengesetzte Richtung.
Die Merkel-Regierung geht einen anderen Weg, sie drängt die Länder zu Wirtschaftsreformen. Mit Erfolg – Irland und Spanien geht es besser und sogar Griechenland.
Die Austeritätspolitik funktioniert nicht. Irlands Wirtschaft schafft ein Comeback, aber die Gewinne fließen nicht an die Iren, sondern überwiegend an multinationale High-Tech-Konzerne, die keine oder nur sehr geringe Steuern zahlen. Griechenland geht es vielleicht ein wenig besser, es braucht aber weiter unbedingt einen Schuldenschnitt. Die derzeitige Diskussion um eine Verlängerung der Kredit-Laufzeiten von 30 auf 50 Jahre und um eine Senkung der Zinslast ist nur ein Weg, um diese unpopuläre Entscheidung bis nach der Europawahl zu verschieben. Jeder weiß, dass das Geld verloren ist.
Die Krise hat gezeigt, wie mächtig die Finanzmärkte geworden sind. Hat die Politik entschlossen genug darauf reagiert?
Unglücklicherweise sind toxische Finanzinstrumente wie Credit Default Swaps noch in Gebrauch. Ich finde, sie sollten auf die beschränkt werden, die tatsächlich etwas absichern müssen. Investoren müssen die Anleihen besitzen, gegen die sie eine Absicherung kaufen. Zwar glaube ich, dass Spekulation stabilisierend wirken kann, wenn das System gut designed ist. Ich bin aber kein Markt-Fundamentalist. Märkte sind befangen und bilden nicht die Realität ab. Sie haben in der Krise überreagiert und sie verschärft. Die Euro-Krise war eine Kombination aus falscher Regulierung und einer falschen Wahrnehmung durch die Märkte.
"Wetten auf Europa" heißt das neue Buch, das George Soros zusammen mit dem Journalisten Gregor Peter Schmitz geschrieben hat. Es ist erschienen in der Deutschen Verlags-Anstalt, 192 Seiten, 19,99 Euro.