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Zähne zeigen. In Europa entstehen starke Filme – wie „Toni Erdmann“ von Maren Ade. Die EU will ihren Vertrieb stärken.
© picture alliance / dpa

Filmindustrie: EU plant Konkurrenz für Netflix

Filme aus den USA sind erfolgreich, weil europäische Filme kaum verfügbar sind, glaubt die Kommission. Daher will Brüssel nun eine Mediathek finanzieren. Einige Anbieter dürften das Projekt torpedieren.

Berlin - Europäische Filme sind selten ein Exportschlager. Mehr als 70 Prozent der hier produzierten Filme werden nur im Produktionsland ausgestrahlt beziehungsweise online angeschaut. Das will die EU-Kommission jetzt ändern. Digitalkommissarin Mariya Gabriel hat dazu am Montag bei der Berlinale ihren Vorschlag für eine neue Online-Plattform für europäische Filme vorgestellt. Wie genau die funktionieren könnte, will die Kommission in den nächsten Monaten im Dialog mit Filmemachern, Produktionsfirmen, Sendern und anderen Beteiligten ausloten. Es wäre auch ein Angriff auf kommerzielle Anbieter wie den US-Anbieter Netflix. Widerstand und juristische Probleme sind also programmiert.

Das Grundproblem ist nach Ansicht der Kommission, dass europäische Filme schwer auffindbar sind. „In Europa werden viele Filme produziert – mehr als beispielsweise in den USA – aber konsumiert werden sie zu wenig“, sagte Roberto Viola, der Generaldirektor der „DG Connect“ der Kommission für Kommunikationsnetze, Inhalte und Technologien, dem Tagesspiegel. Bei kommerziellen Anbietern wie Netflix oder Sky sind es häufig die amerikanischen Blockbuster, die prominent beworben werden, selbst wenn neuere deutsche Produktionen wie „Dark“ oder „Babylon Berlin“ zunehmend auch im Ausland Aufmerksamkeit bekommen. „Das Problem betrifft uns alle, die Filmwirtschaft, aber auch den öffentlichen Sektor, der den Kultursektor fördert“, meint Viola. Im Prinzip hätten aber beide Seiten dasselbe Ziel: Europäer sollen mehr europäische Filme sehen können. Um den Wildwuchs an Lizenzen in den EU-Mitgliedstaaten zu ordnen, soll nun eine von der Kommission geförderte Plattform her.

Im ersten Schritt ist eine Datenbank geplant, in der Informationen zu europäischen Filmproduktionen gesammelt und die verschiedenen Zugriffsmöglichkeiten in den europäischen Ländern veranschaulicht werden sollen. Der nächste Schritt wäre die Plattform, auf der man die Filme auch abrufen kann. „Man kann das Ganze auch weiterdenken“, erläutert Viola. Zwei Varianten kommen für den Generaldirektor der einflussreichen DG Connect infrage. „Die kommerziellen Anbieter könnten über ein Plug-In in einem solchen System den Usern zusätzliche Filme aus der europäischen Datenbank anbieten.“ Oder aber: „Wenn die Rechteinhaber dem Verleih über eine europäische Plattform grundsätzlich zustimmen, könnten Nutzer aber auch dort direkt für einen Film bezahlen, der in ihrem Land noch nicht verfügbar ist.“ Ein solches Payment-System für einzelne Filme, bieten etwa Amazon oder iTunes seit Jahren an.

Ziel ist es laut Viola, schon Ende 2018 mit einem Prototypen für eine Datenbank an den Start zu gehen. „Lasst uns sicherstellen, dass man diese Inhalte auch finden kann“, fordert Viola, der seit 2012 für die Kommission tätig ist. „Dafür müssen wir die Metadaten zu diesen Werken in einer Datenbank sammeln, damit sie von Nutzern, Filmverleihen und all denjenigen, die den Film in anderen Ländern zugänglich machen wollen, gefunden werden können.“ Die Datenbank könnte auch Innovationen in der Filmwirtschaft fördern, meint Viola. „Gestern hatten wir hier in Berlin eine gute Diskussion mit Start-up-Vertretern. Blockchain-Technologie ist fantastisch für das Film-Business, weil man damit die Transaktionskosten aller Beteiligten an einer Produktion über ‚Smart Contracts' regeln kann“, schwärmt er. „Das geht aber nur, wenn die Daten zu den Produktionen an einer Stelle gesammelt werden.“

„Darüber, wie ein solches System gesteuert wird, ob es zum Beispiel eine öffentliche Aufsicht geben soll, müssen wir uns in den kommenden Monaten verständigen“, kündigte der Koordinator an. Auch ist noch unklar, ob das „europäische Netflix“ – wie das US-Original – auch Serien umfassen soll. „Ich kann mir gut vorstellen, dass wir das Projekt im zweiten Schritt auf Serien ausweiten.“ Denn auch die Kommission erkenne, dass sich die Grenzen der Formate Film und Serie zunehmend auflösen.

Der Vorschlag der EU-Kommission kommt pünktlich zum Beginn des Europäischen Kulturerbejahrs 2018 – das Jahr, in dem auch der digitale Binnenmarkt in der EU seinen konkreten Nutzen für die Bürger entfalten soll. Einige Gesetzesvorhaben, die mitunter das Ziel haben, den Zugang zu digitalen Medien auszubauen, liegen noch auf dem Verhandlungstisch in Brüssel, dazu zählen die Urheberrechtsreform, oder die neuen Regeln für Online-Übertragungen. „Das Ziel, das Urheberrecht europäischer zu machen, und das Ziel, europäische Filme auf einer Plattform anzubieten, schließen sich nicht aus“, sagt Viola.

Im vergangenen Jahr hat die EU-Kommission eine Quote für Netflix, Amazon & Co. vorgeschlagen – europäische User sollen zukünftig 30 Prozent europäische Inhalte angeboten bekommen. Ob sie das Angebot annehmen, bleibt ihnen überlassen. „Die Quote ist ein wichtiger Schritt. Die Mitgliedstaaten haben dazu alle unterschiedliche Regeln. Eine EU-weite Mindestanforderung an die Plattformbetreiber ist unserer Meinung nach aber notwendig“, verteidigt Viola den Vorstoß, der bei den amerikanischen Konzernen auf wenig Zustimmung gestoßen ist.

Die Diskussion um eine europäische Filmeplattform ist nicht neu. Im Januar hatte der neue ARD-Vorsitzende, BR-Intendant Ulrich Wilhelm, erneut für eine „gemeinsame Plattform aller Qualitätsanbieter“ geworben und auch die europäische Eben ins Gespräch gebracht.

Hinweis: In einer früheren Version des Artikels wurde Viola als "Berlusconi-Vertrauter" bezeichnet. Das führe in die Irre, sagt er. Viola hatte zwar in der Regierungszeit des umstrittenen Ministerpräsidenten und Medienunternehmers Silvio Berlusconi für eine Behörde gearbeitet. Er stehe ihm aber nicht nahe und habe ihn nie persönlich getroffen, erklärt Viola.

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