Doch länger als 90 Tage: EU-Kommission will Roaming nun doch nicht befristen
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker reagiert auf Proteste von Verbraucherschützern. Die Roaming-Gebühren sollen nun doch ganz entfallen.
Verbraucherschützerin Lina Ehrig ist erleichtert. "Jetzt wird die EU-Kommission hoffentlich etwas Ehrgeizigeres präsentieren", sagte die Telekommunikationsexperten des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV) dem Tagesspiegel. Ihr Chef, Klaus Müller, hatte vor wenigen Tagen heftig gegen die geplante Einschränkung beim Wegfall der Roaming-Gebühren in der EU protestiert - so wie viele andere auch. Der massive Protest zeigt Wirkung. Überraschend zog Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die erst Anfang der Woche bekannt gewordenen Pläne seiner Behörde zurück und ordnete eine Überarbeitung an. Die EU hatte vergangenen Sommer angekündigt, die Roaming-Gebühren fürs Telefonieren und Surfen im EU-Ausland sollten ab Sommer 2017 ganz wegfallen. Die Kommission wollte davon aber plötzlich nichts mehr wissen und wollte die Gebührenfreiheit auf 90 Tage im Jahr beschränken.
Die Gebühren werden ab Juni 2017 abgeschafft
"Damit es klar ist: Roaming-Gebühren werden ab Juni 2017 vollkommen abgeschafft", sagte ein Kommissionssprecher am Freitag in Brüssel. Angesichts der Reaktionen auf die Pläne der Kommission habe Juncker der Behörde aufgetragen, "etwas Besseres" vorzulegen. Schon in der kommenden Woche werde es "etwas Neues" geben, kündigte er an. Kommende Woche tagt das EU-Parlament in Straßburg.
Neben Verbraucherschützern hatten viele EU-Abgeordnete die Pläne der Kommission scharf kritisiert. Die Kommission habe versucht, den Willen des Gesetzgebers zu hintergehen und die Abschaffung der Roaming-Gebühren wieder teilweise zu kassieren, erklärte am Freitag der CSU-Abgeordnete Markus Ferber. "Der Vorstoß war ein Affront und er zeigt einmal mehr, wie bürgerfern die Kommission denkt und handelt." Brüssel hatte vorgeschlagen, pro Jahr maximal 90 Tage gebührenfrei grenzüberschreitend telefonieren und surfen zu können. Auch das jedoch nicht am Stück. Die Bürger sollten gezwungen werden, sich alle 30 Tage im Inland einzuloggen.
Parlamentarier fühlen sich bestätigt
Die Vorsitzende der CSU-Europagruppe im Europäischen Parlament, Angelika Niebler, betonte, der Widerstand aus dem EU-Parlament gegen die Pläne der Kommission habe "unmittelbar Wirkung gezeigt". Der Verstoß sei "unnötig" und "bedauerlich" gewesen: "Denn gerade das Ziel eines Roaming-freien Europas ist doch ein gelungenes Beispiel für bürgernahe europäische Politik, die für die Menschen einen unmittelbaren Mehrwert bringt."
Das Centrum für Europäische Politik (CEP) in Freiburg dagegen betonte, in der Roaming-Verordnung sei die Klausel enthalten, die Abschaffung der Gebühren werde nur "in begrenztem Umfang" gelten. Dafür gebe es triftige Gründe: Die Vorleistungspreise für Roamingdienste seien je nach Mitgliedstaat sehr unterschiedlich und Anbieter ohne eigene Netze im Ausland müssten für die Zustellung jedes Anrufs an den ausländischen Netzbetreiber zahlen. Zudem sollte das SIM-Shopping vermieden werden, also dass Kunden nicht mit einer günstigeren SIM-Karte aus dem einen Staat dauerhaft in einem anderen Staat telefonieren.
Kommission will Investitionen schützen
Diesen Grund hatte auch die Kommission angeführt, als ihre Pläne am Montag bekannt geworden waren. Zudem sei die Abschaffung der Roaming-Gebühren vor allem für Reisende gedacht - und die seien im Schnitt nur zwölf Tage im Jahr im EU-Ausland unterwegs - also weit weniger als die 90 Tage, rechtfertigte die Behörde ihr Vorhaben. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Christine Lambrecht, verwies dagegen auf Erasmus-Studenten oder Berufstätige, die länger im europäischen Ausland sind. Sie wären von der 90-Tage-Einschränkung unmittelbar betroffen. "Wer eine bessere Akzeptanz der europäischen Einigung will, der darf nicht die Profitinteressen von Unternehmen über die Interessen der Verbraucher stellen." Viel zu lange seien die Verbraucher von den Anbietern mit völlig überhöhten Roaming-Gebühren geschröpft worden. Die Regelungen zum Roaming werden nun überarbeitet und mit den Mitgliedstaaten abgestimmt. Am 15. Dezember sollen sie beschlossen werden.
Hochemotionales Thema
Seit 2007 seien die Roaming-Gebühren bereits um über 90 Prozent gefallen, betonte der Kommissionssprecher am Freitag. Doch den Kritikern reicht das nicht. Europaparlamentarier und Verbraucherschützer fordern die komplette Streichung. "Das Thema ist emotional besetz", sagt Ehrig. Die Telekommunikationsunternehmen hätten jahrzehntelang gut verdient, "jetzt müssen sie auch mal verzichten". (mit AFP)