Autonomes Fahren: Ethik-Kommission schlägt 20 Regeln vor
Experten haben im Auftrag der Regierung definiert, was automatisierte Fahrsysteme künftig dürfen - und was aus ethischen Gründen ausdrücklich nicht.
Als Udo Di Fabio in einem Roboterauto sitzt und bei Starkregen über die A9 fährt, ohne das Lenkrad zu berühren, fühlt er sich in die Zukunft versetzt. „Wie Science Fiction“ sei dies gewesen, berichtet der ehemalige Bundesverfassungsrichter. „Ich wollte das Lenkrad gar nicht zurückhaben, ich hatte den Eindruck, das Auto fährt besser als ich.“ Was der Jurist auf der Autobahn im Testbetrieb erlebte, soll in einigen Jahren auf allen Straßen Alltag sein: autonomes und vernetztes Fahren, gesteuert von Computern, ohne dass ein Fahrer sich einmischt.
Wenn die Maschine denkt und lenkt, stellen sich dem Menschen neue Fragen: nach der Sicherheit, nach Haftung, Datenschutz und nach persönlicher Entscheidungsfreiheit. Udo Di Fabio ist Vorsitzender einer 14-köpfigen Kommission, die für die Bundesregierung in den vergangenen neun Monaten ethische Leitlinien für die Programmierung automatisierter Fahrsysteme erarbeitet hat. Am Dienstag übergaben die Experten – Juristen, Philosophen, Theologen, Ingenieure, Datenspezialisten und Verbraucherschützer – ihren Bericht Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) in Berlin.
Dobrindt: Kommission hat Pionierarbeit geleistet
Er bescheinigte der von ihm eingesetzten Ethik-Kommission, „absolute Pionierarbeit“ bei der Formulierung von 20 Thesen geleistet zu haben. Deutschland verfüge nun über die weltweit ersten Leitlinien zum automatisierten Fahren. Dabei konnten auch die Experten nicht in die Zukunft schauen. Di Fabio betonte, es sei nur möglich gewesen, den heutigen Stand der Technik zu bewerten. Allerdings gebe es große Entwicklungssprünge. Die Thesen seien als Diskussionsgrundlage zu verstehen. Die Kommission sei bei vielen Punkten ambivalent gewesen und habe häufig „mit entschiedenen Sowohl-als-auch“ argumentiert.
Die Kommission, die parallel in fünf Arbeitsgruppen getagt hatte, beschäftigte sich damit, was automatisierte Fahrsysteme künftig dürfen und was aus ethischen Gründen ausdrücklich nicht. Grundsätzlich sollten sich nach Meinung der Experten Autos nur selbst steuern dürfen, wenn das die Sicherheit auf den Straßen erhöhe. Das versprechen auch die Hersteller. Die Technik solle Unfälle so gut wie unmöglich machen, heißt es im Bericht. Wenn die Risikobilanz insgesamt positiv sei, stünden „technisch unvermeidbare Restrisiken“ dem nicht entgegen. „Wenn ein Unfall aber nicht mehr vermeidbar ist, stellen sich ethische Fragen“, sagte Di Fabio. Bestimmte Grenzsituationen seien eben nicht programmierbar.
"Jedes Menschenleben ist gleich"
Es müsse gelten: In Gefahrensituationen habe der Schutz menschlichen Lebens immer Vorrang, etwa gegenüber möglichen Sach- oder Tierschäden. Bei unausweichlichen Unfallsituationen dürfe es zudem keine Qualifizierung von Menschen nach persönlichen Merkmalen wie Alter, Geschlecht, körperlicher oder geistiger Konstitution geben. „Jedes Menschenleben ist gleich“, sagte Di Fabio. Das müsse Leitlinie für die Programmierer sein. Auch bei der Haftung nach einem Unfall dürften keine Grauzonen entstehen. Es müsse klar sein, wer im Fall der Fälle die Verantwortung getragen habe, der Mensch oder der Computer. Wer fährt, müsse in allen Fahrsituationen dokumentiert und gespeichert werden. Diskutiert wird, ähnlich wie in der Luftfahrt eine Blackbox im Wagen zu installieren. Die Kommission schlägt eine unabhängige Institution vor, die als eine Art Treuhänder die Daten prüfen soll. Die Verbraucherzentralen brachten am Dienstag einen „Algorithmen-Tüv für Autosoftware“ ins Gespräch.
Die in Roboterautos erzeugten und gesammelten Datenmengen werden Di Fabio zufolge in Zukunft „explodieren“ und neue Fragen des Datenschutzes und der Datennutzung aufwerfen. „Wir müssen als Kunden, Nutzer und Bürger aufmerksamer dafür sein, welche Geschäftsmodelle entstehen“, sagte Di Fabio, der eine „neue Transparenz“ forderte. Häufig sei Verbrauchern gar nicht ersichtlich, wo und welche Daten im Auto gesammelt würden. „Die Daten müssen greifbar und portabel sein“, sagte der Kommissionsvorsitzende. Dies sei nötig, damit Fahrer selbst über die Weitergabe und Verwendung ihrer Fahrzeugdaten entscheiden könnten.
Das Gesetz ändert das Straßenverkehrsrecht
Dobrindt sagte, der Kommissionsbericht stelle nach der technischen Entwicklungsarbeit und dem Ende März verabschiedeten Gesetz zum automatisierten und vernetzten Fahren die dritte Säule im Entwicklungsprozess dar. Das Gesetz, das an diesem Mittwoch in Kraft tritt, passt das Straßenverkehrsrecht an. Demnach darf künftig der Computer teilweise die Fahrzeugsteuerung übernehmen. Die letzte Verantwortung bleibt aber beim Menschen. Dobrindt hatte gesagt: „Wir setzen den Computer gleich mit dem menschlichen Fahrer.“
Bis autonomes Fahren im wörtlichen Sinne den Fahrer ganz überflüssig macht, werden indes nach Expertenmeinung noch viele Jahre vergehen. Deutsche Bank Research schätzt, dass sich die Technologie nicht vor dem Jahr 2040 durchsetzen wird. In der Klassifizierung der Autoindustrie, die fünf Stufen des automatisierten Fahrens definiert, befindet sich die Technik aktuell erst zwischen Stufe eins (assistiert) und Stufe zwei (teilautomatisiert). Vor dem rein autonomen Fahren sieht die Industrie Phasen der Hoch- und Vollautomatisierung.
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