Tarifkonflikt bei der Bahn spitzt sich zu: „Es wird weitere Streiks geben“
Dienstag demonstriert die Lokführergewerkschaft GDL am Potsdamer Platz. Ulrich Silberbach, Vorsitzender des Beamtenbundes, verteidigt die GDL.
Herr Silberbach, passt der Arbeitskampf der Lokführer in die Zeit?
Ein Streik passt nie in die Zeit, denn es werden immer die Bürgerinnen und Bürger oder die Kunden getroffen. Das ist aber auch Sinn der Sache: Ein Streik soll Schmerzen verursachen und somit die Kompromissbereitschaft der Arbeitgeber erhöhen. Die Bahn hat binnen vieler Monate kein vernünftiges Angebot vorgelegt, sodass der Gewerkschaft der Lokomotivführer keine andere Wahl blieb als der Arbeitskampf.
IG Metall, Verdi und die anderen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes inklusive Beamtenbund haben in den vergangenen Tarifauseinandersetzungen auch wegen der Pandemie vor Streiks zurückgeschreckt.
Es gab in diesen Bereichen auch keine Nullrunde, wie sie jetzt die Bahn den Lokomotivführern verordnen möchte.
[Wenn Sie die wichtigsten Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]
Darauf hat sich die Eisenbahnverkehrsgewerkschaft EVG eingelassen, um die Personalkosten bei der Bahn in der Pandemie stabil zu halten.
Die EVG organisiert weniger das fahrende Personal. Außerdem hat sich die EVG eine Meistbegünstigungsklausel in den Tarifvertrag schreiben lassen: Wenn die Bahn mit der GDL einen besseren Tarif abschließt, dann muss auch der Tarif der EVG entsprechend nachgebessert werden. Das ist Trittbrettfahrerei. Offensichtlich sitzt die EVG auf dem Schoß des Bahn-Vorstands.
Ist die Polemik des GDL-Vorsitzenden Claus Weselsky, der die Bahn-Manager als „Nieten in Nadelstreifen“ beschimpft, die angemessenere Umgangsform als die Lösungsorientierung der EVG?
Zwischen Claus Weselsky und mir passt kein Blatt. Ich bin mir 100-prozentig sicher, dass die GDL auf dem richtigen Weg ist. Die Bahn-Beschäftigten auf den Zügen haben die ganze Pandemie über durchgearbeitet. Es sind leere Züge durchs Land gefahren, weil die Politik das so wollte. Dadurch sind enorme Verluste bei der Bahn entstanden, für die nun die Beschäftigten geradestehen sollen. Das passt nicht zusammen, und deshalb findet der Streik der GDL so viel Unterstützung.
Auch bei den Beamten, die wegen des Streiks nicht per Zug ins Büro kommen?
Ja, anders als beim letzten Streik 2015, der uns viele Protestmails eingebracht hat, gibt es heute großes Verständnis für das Vorgehen der GDL. Die Leute regen sich vielmehr darüber auf, dass die Führungskräfte bei der Bahn sich 220 Millionen Euro an Boni einstecken, während die Zugbegleiterin und der Lokführer mit einer Nullrunde das Unternehmen sanieren sollen.
Ist eine Lösung des extrem verhärteten Konflikts ohne einen neutralen Schlichter überhaupt denkbar?
Es wird vermutlich noch weitere Streikaktionen geben müssen, doch am langen Ende braucht jeder Tarifkonflikt einen Kompromiss. Derzeit sieht es aber so aus, dass es weiteren Druck braucht, damit der Vorstand der Bahn seine Strategie überdenkt.
Will der Vorstand mit Hilfe des Tarifeinheitsgesetzes die GDL eliminieren, wie Weselsky meint?
Bislang ist das Tarifeinheitsgesetz nicht berührt, weil es keine Kollision der Tarifverträge der Bahngewerkschaften gibt. Und eine Kollision verschiedener Tarifverträge wird es ja auch am Ende nicht geben, weil die EVG auf die Meistbegünstigungsklausel setzt. Die Eisenbahnerverkehrsgwerkschaft macht es sich bequem und lässt die GDL eine Tariferhöhung durchsetzen, von der sie anschließend profitiert. Das erklärt auch die große Wut in den Reihen der Lokführer. Die EVG ist das Schoßhündchen des Vorstands und kritisiert jetzt in dieser Rolle natürlich auch die GDL.
Sie treten am Dienstag auch bei der Kundgebung der GDL vor dem Bahntower am Potsdamer Platz auf. Wie geht es dann weiter, was passiert noch in dieser Woche?
Nach der Veranstaltung besprechen wir die Streiktaktik für die nächsten Tage und Wochen. Es geht nicht darum, die Kunden zu treffen, sondern eine Tariferhöhung nach dem Vorbild des öffentlichen Dienstes durchzusetzen. Das sind ja keine riesigen Beträge. Es geht schlicht um die Anerkennung nach der Pandemiebelastung für die Bahnbeschäftigten in den Zügen, Stellwerken und Werkstätten, die alle nicht im Homeoffice gesessen haben.