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„Berlin hat uns agiler gemacht“, sagt Peter Albiez im Rückblick auf die vergangenen zehn Jahre.
© T. Rückeis

Pfizer-Deutschlandchef Peter Albiez: „Es gibt Krebsarten, die wir heilen können"

An diesem Montag und Dienstag findet in Berlin der Weltgesundheitsgipfel statt. Was die Pharmaindustrie kann und was der Fortschritt kostet.

Herr Albiez, Pfizer ist seit zehn Jahren in Berlin, und der Chef hat noch immer kein Büro. Warum haben Sie es nur zu einem Schreibtisch im Großraum gebracht?
Das war eine der großen Veränderungen, die wir damals bei unserem Umzug umgesetzt haben. Wir kamen aus Karlsruhe in das quirlige Berlin, an den Potsdamer Platz. Unser Büro sollte den neuen Standort widerspiegeln. Wir haben uns für ein „Open-Space-Konzept“ entschieden, also keine Einzelbüros, sondern große Flächen mit separaten Konferenzräumen und Coffee-Lounges. Viele Mitarbeiter waren am Anfang skeptisch, aber das hat sich gegeben. Das offene Büro steht für einen Kulturwandel, mehr Transparenz, mehr informelle Begegnungen, weniger Hierarchie. Ich bin ein Fan davon.

Also steckt dahinter kein Geldmangel. Immerhin mussten Sie ja in Ihrem wichtigsten Markt, den USA, auf Druck des US-Präsidenten Donald Trump unlängst eine Preiserhöhung aufschieben.
(lacht) Vor zehn Jahren hat noch niemand an Trump gedacht.

Aber vielleicht kann der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn ja von Trump lernen und dafür sorgen, dass Ihre Medikamente auch hierzulande günstiger werden.
Die Preisfrage lässt sich nicht so leicht beantworten. Das deutsche und das US- System unterscheiden sich fundamental. In Deutschland werden die Preise ja zwischen Pharmaherstellern und Krankenkassen ausgehandelt.

Im ersten Jahr dürfen Sie bei neuen Medikamenten allerdings nehmen, was Sie wollen.
Das ist so nicht richtig. Die Preise orientieren sich immer an verschiedenen Aspekten: Vergleichstherapien, Innovationsgrad, internationale Preise. Die Regelung, die Sie ansprechen, ist eine sehr gute. Sie führt zum Beispiel dazu, dass Patienten in Deutschland sehr schnell Zugang zu neuen und besseren Medikamenten haben. Im weltweiten Vergleich ist nur die USA schneller. In Sachen Preisen: Ein solches System wie bei uns gibt es in den USA nicht, aber auch dort sind die Verhältnisse komplizierter. Es gibt zwar Listenpreise, aber auch viele unterschiedliche Vertragsmodelle, die den Preis bestimmen.

Was ist in Deutschland das teuerste Medikament von Pfizer?
Das ist Vyndaqel, ein Medikament zur Behandlung einer tödlich verlaufenden Erbkrankheit. Bei dieser Erkrankung werden die Nerven, die außerhalb des zentralen Nervensystems liegen, irreversibel geschädigt. In Deutschland sind rund 300 Patienten daran erkrankt. Die Therapie mit Vyndaqel kostet rund 11 000 Euro im Monat. Aber man darf bei solchen Medikamenten nicht nur auf den Preis schauen. Nehmen Sie etwa die CAR-T- Therapie, die einer unserer Wettbewerber auf den Markt gebracht hat. Dabei werden individuell T-Zellen eines Patienten aus dem Immunsystem genetisch so verändert, dass diese die Krebszellen erkennen können. Auch wir haben etwa in der Krebstherapie Medikamente, die nur für einen sehr kleinen Kreis gedacht sind. Das erhöht natürlich die Preise. Aber auch der Nutzen ist groß.

Die hohen Preise werden in der Regel mit den Kosten für Forschung und Entwicklung begründet. Beim Potenzmittel Viagra hat Pfizer allerdings ohne großen Forschungsaufwand prächtig verdient.
Ja, solche Fälle gibt es, aber sie sind die Ausnahme. In den meisten Fällen ist Forschung teuer und der Weg eines Medikaments vom Labor zum Patienten auch. Bis ein Medikament zulassungsreif ist, vergehen zehn bis zwölf Jahre. Wir investieren pro Jahr sieben Milliarden US-Dollar in die Forschung, das sind 13 Prozent vom Umsatz. Die Anforderungen an die Sicherheit der Arzneimittel werden immer strenger, und die Therapien werden immer spezifischer. Das heißt der Patientenkreis für ein bestimmtes Medikament wird kleiner, und man braucht mehr klinische Studien. Im onkologischen Bereich ist die Zahl der klinischen Studien weltweit von 3800 im Jahr 2008 auf 5200 im Jahr 2016 gestiegen.

Sie forschen in der Erwartung, dass die Versichertengemeinschaft schon zahlen wird. Ist das denn so selbstverständlich?
Weder unser Gesundheitswesen, noch unser Versicherungssystem sind selbstverständlich. Es sind große gesellschaftliche Errungenschaften, die es zu schützen gilt. Wir brauchen eine gesellschaftliche Diskussion: Was ist medizinisch möglich, was benötigen wir, wie soll es bezahlt werden? Wir reden immer über Preise, aber zu wenig über den medizinischen Fortschritt. Vor 20 Jahren sind Krebspatienten in die Klinik gegangen mit der Erwartung, bald zu sterben. Durch die Genforschung, durch Big Data-Analytics haben wir ein neues Verständnis von Tumoren bekommen, es gibt Tumorarten, die wir heilen können, bei anderen können wir zumindest das Leben verlängern oder die Lebensqualität deutlich erhöhen.

Muss sich die Finanzierung ändern?
Ja. Wir müssen das System vom Kopf auf die Füße stellen. Statt für Leistung sollte für Erfolg bezahlt werden. Geld gibt es dann nicht mehr für die Pille, sondern nur, wenn die Pille Erfolg hat. Wie man diesen misst, muss man vorher festlegen – das kann Heilung sein, aber auch eine deutliche Linderung der Symptome. Das Geld gäbe es dann vielleicht auch nicht mehr auf einen Schlag, sondern in Raten. Ich glaube, wir werden auch Zusammenschlüsse sehen von Pharmaunternehmen und Start-ups, die gemeinsam mit einer Krankenkasse die Versorgung bestimmter Patientengruppen übernehmen. Wir sollten nicht mehr Krankheit honorieren, sondern Gesundheit.

Das sehen auch viele Ihrer Konkurrenten so. Aber was sagt die Politik?
Das Vertrauen in den Staat, die Möglichkeiten sich zu entfalten, ein gelungenes Leben zu führen, seinen Platz zu finden, hängen auch mit dem Vertrauen in ein leistungsstarkes Gesundheitswesen zusammen – gerade in einer alternden Gesellschaft. Die Politik ist zum Beispiel sehr daran interessiert, wie die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung dazu beitragen können, dass Krankheiten früher erkannt und besser gemanagt werden können. Im Bundesgesundheitsministerium gibt es dazu sogar eine eigene Abteilung. Leider hinken wir bei der Digitalisierung international hinterher. Wir sind spitze bei Erfindungen, aber hintendran bei der Technik.

Warum hat sich Pfizer aus der Alzheimer-Forschung zurückgezogen?
Man kann nicht überall dabei sein. Wir spezialisieren uns auf Onkologie, Herz-, Kreislauferkrankungen, Entzündungserkrankungen, Impfstoffe und seltene Erkrankungen. Hier investieren wir viel Geld und Zeit.

Warum nicht Alzheimer?
Wir sind weit gekommen, aber am Ende haben die Forschungen nicht zu dem Ergebnis geführt, das wir uns gewünscht haben. Wir waren vorne mit dabei, wir haben 1997 das erste Alzheimer-Medikament auf den Markt gebracht, das die Symptome lindern sollte. Seitdem sind viele Milliarden Euro in die Forschung geflossen. Aber wir sind nicht wirklich weitergekommen, was die Heilung angeht.

Ihr Konzernchef will bis zum Jahr 2022 rund 15 neue Blockbuster auf den Markt bringen. Was macht Sie so sicher, dass ein Medikament ein Blockbuster wird?
Ich bin seit 20 Jahren bei Pfizer. Ich sage Ihnen: In all den 20 Jahren hatten wir noch nie eine so gut gefüllte Pipeline wie im Moment. Wir haben rund 100 Projekte, bei vielen sind wir sehr weit. Im Bereich Brust- und Lungenkrebs werden wir Fortschritte sehen, auch bei seltenen Erkrankungen.

Vor zehn Jahren ist Pfizer nach Berlin gekommen. Wie hat sich der Umzug auf das Unternehmen ausgewirkt?
Wir wollten nach Berlin kommen, weil hier Wissenschaft und Forschung in einer Dichte und Qualität vorhanden sind, die für uns als pharmazeutisches Unternehmen sehr attraktiv ist. Kurze Wege zur Spitzenforschung sind ein Markenzeichen der Region. Von den über 60 klinischen Studien, die wir in Deutschland derzeit durchführen, ist etwa die Hälfte davon in Berlin, vor allem an der Charité angesiedelt. Außerdem war und ist uns die Nähe zu den Entscheidungsträgern sehr wichtig. Was wir damals noch nicht absehen konnten, war die gewaltige Entwicklung Berlins im Start-up-Bereich. Berlin hat unser Unternehmen agiler und internationaler gemacht, weil diese Stadt international so präsent ist. Berlin ist eine Plattform für internationalen Austausch geworden. Es ist kein Zufall, dass Pfizer die gesamte Onkologie-Sparte in über 50 Ländern von Berlin aus leitet.

Das Berlin Institute of Health soll die Entwicklung zu einem international sichtbaren Gesundheitscluster voranbringen. Was halten Sie von diesem, mit viel Fördergeld versehenen Leuchtturm?
Er leuchtet natürlich noch nicht so, wie er könnte. Bislang ist es eher ein zartes Flämmchen. Ich gehöre zu denjenigen, die fest überzeugt sind, dass das BIH sehr wichtig ist: Wenn es ein Feld gibt in der Medizin, wo Deutschland enorm zulegen muss, dann ist das die Translation. Wir sind stark in der Grundlagenforschung, aber nicht in der Übersetzung von Grundlagenerkenntnissen in medizinische Anwendungen, Produkten und Dienstleistungen. Mit dem BIH ist ein guter Wurf gemacht worden, wie wir exzellente Grundlagenforschung am Max-Delbrück-Centrum mit Forschung und Klinik in der Charité verknüpfen können. Dieser Verbund hat das Potenzial, ein weltweit strahlender Leuchtturm der Translation in der Medizin zu werden.

Peter Albiez ist seit März 2015 Deutschland-Chef von Pfizer. Bei dem US-Pharmakonzern stieg der studierte Biologe 1996 als einfacher Pharmavertreter ein, 2009 war der zweifache Familienvater nach Stationen in Vertrieb und Marketing bereits Mitglied der Geschäftsführung in Deutschland. Weltweit macht Pfizer fast 53 Milliarden Dollar Umsatz, und beschäftigt 97000 Mitarbeiter, davon etwa 2500 in Deutschland. Das Unternehmen wurde 1849 von Karl Pfizer, der aus Ludwigsburg stammte, und Charles Erhart in Brooklyn gegründet. Das erste Produkt war Santonin, ein Mittel gegen Parasiten.

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