Das Gastgewerbe verliert die Geduld: „Es geht um das nackte Überleben“
Verzweiflung macht sich breit. Das Hotel- und Gaststättengewerbe vermisst Finanzhilfen und Empathie der Politik.
Die Nerven liegen blank und der Ton wird bitter: „Wenn wir nicht spätestens Mitte Mai wieder öffnen können, gibt es Massenentlassungen“, sagt Thomas Lengfelder vom Berliner Landesverband des Hotel-und Gaststättengewerbes. Die Unternehmer seien „fassungslos“ ob der Ignoranz des Senats, der keinen Blick habe auf einen der wichtigsten Wirtschaftsbereiche der Stadt. „Die andauernden Corona-Beschränkungen werden zu einer noch nie dagewesenen Pleitewelle in unserer Branche führen“, meint Lengfelder. Rund 19 500 Betriebe mit 90 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gibt es in Berlin; zusätzlich Dienstleister (Reinigung, Sicherheit, Handwerk) und Lieferanten sind es etwa 250 000 Personen, die ihren Lebensunterhalt im Berliner Gastgewerbe verdienen und zurzeit ganz überwiegend vom Kurzarbeitergeld (60 Prozent des Nettoeinkommens) leben müssen.
Hälfte der Hotelgäste aus dem Ausland
Lengfelder zufolge geht das nicht mehr lange gut: Jeder zweite Gastbetrieb sei inzwischen insolvenzgefährdet. Besonders bedrohlich ist die Situation der Hotels mit insgesamt 147 000 Betten, weil rund die Hälfte der Gäste aus dem Ausland kommt. Touristen, Geschäftsreisende, Kongressteilnehmer. Da passiert nicht mehr viel in diesem Jahr: Die weltgrößte Schienenfahrzeugmesse Innotrans war für Ende September terminiert und wird nun ins Frühjahr 2021 verschoben. Ob es Anfang September die Funkausstellung Ifa in einer schlanken Form und mit deutlich weniger Gästen gibt, entscheidet sich vermutlich in der nächsten Woche.
Kellnerin mit Maske
Der Dehoga wirbt für weitere Hilfen und einen Fahrplan zur Wiedereröffnung und hat dazu der Politik Vorschläge geliefert. Dazu gehört das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes für die Mitarbeiter und der Mindestabstand von 1,50 Meter zwischen Tischen. Pro Tisch dürfen nur zwei Personen sitzen oder aber Familienmitglieder. Ganz wichtig sind der Branche bundesweit einheitliche Regelungen vor allem auch für national agierende Unternehmen wie Hotelketten, Systemgastronomen (zum Beispiel McDonald’s und Nordsee) sowie die großen Caterer.
Wirrwarr in den Ländern
Wie es nicht gehen sollte, macht der Dehoga an den Eisdielen deutlich: In Baden-Württemberg wurden Eisdielen komplett geschlossen, auch der Außer-Haus-Verkauf ist untersagt. Wirrwarr gibt es nach Angaben des Verbandes auch bei den Betriebskantinen, für die es in einigen Bundesländern Regelungen gibt, in anderen aber nicht.
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Die vielfältige und sehr kleinteilige Branche braucht einen Fahrplan und frühzeitige Informationen über Lockerungen, damit die Gaststätten, Kneipen und Pensionen sich mit Hygienemaßnahmen, dem Wareneinsatz und der Personalplanung vorbereiten können. „Die Personalstärke ist das A und O auch für einen vernünftigen Gesundheitsschutz“, sagt Guido Zeitler, Vorsitzender der Branchengewerkschaft NGG. „Wenn Betriebe wegen der Krise weniger Arbeitskräfte einsetzen wollen, wird es schwierig mit Hygiene und Abstand.“ Doch wie kann ein Betriebskonzept unter Corona-Bedingungen aussehen? Auf diese Frage gibt es keine allgemeine Antwort, „jeder Betrieb ist anders“. Tatsächlich gibt es ein Dutzend unterschiedlicher Typen: Restaurants, Cafés, Betriebsrestaurants, Biergärten, Caterer, Kneipen, Imbisse, Eisdielen, Tanzlokale, Bars und Clubs, Hotels, Hostels, Jugendherbergen, Ferienhäuser und -wohnungen. Und jeder Typ braucht einen individuellen Coronaschutz.
Angst vor Ansteckung
„Wie kann eine Kellnerin den Teller servieren und dabei 1,50 Meter Abstand einhalten?“, fragt Gewerkschafter Zeitler. Ohne Maske funktioniert das nicht. Der Dehoga hat mit Hilfe der Berufsgenossenschaften einen Leitfaden für die Betriebe ausgearbeitet. „Die Gesundheitsämter müssen vor Ort in den größeren Betrieben kontrollieren, ob der Gesundheitsschutz für Beschäftigte und Gäste gewährleistet ist“, sagte dazu Zeitler dem Tagesspiegel. „Sobald es eine Ansteckung in einem Hotel gibt, ist der Teufel los. Das müssen wir verhindern.“
Streit um die Mehrwertsteuer
In diesem Punkt gibt es keinen Dissens zwischen Dehoga und Gewerkschaft. Bei der Ausgestaltung möglicher Hilfen dagegen schon. Die NGG favorisiert eine Absenkung der Mehrwertsteuer von 19 auf null Prozent befristet für sechs Monate als eine Art Anschubhilfe und veranschlagt dafür rund drei Milliarden Euro. Der Dehoga lehnt das ab: Das bringe nichts, weil kein Vorsteuerabzug geltend gemacht werden könne. Viel wirksamer sei dagegen die dauerhafte Reduzierung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf sieben Prozent für Speisen, wie es sie bereits für den Außer-Haus-Verkauf gibt. Schätzungsweise knapp zwei Milliarden Euro würde das im Jahr ausmachen.
80 Prozent sind Kleinbetriebe
Dazu fordert der Verband einen Rettungsfonds, aus dem direkte Finanzhilfen gezahlt werden könnten. In der Branche sind gut 220 000 Betriebe tätig, davon haben rund 80 Prozent weniger als zehn Mitarbeiter. Diesen häufig inhabergeführten Familienbetrieben sei mit den von der KfW besicherten Krediten nicht geholfen, argumentiert der Dehoga für direkte, nicht rückzahlbare Zuschüsse, wie es sie etwa bei Dürren auch schon für die Bauern gegeben habe.
„Es geht um’s nackte Überleben“, sagt Dehoga-Chefin Ingrid Hartges. Selbst nach der Wiederöffnung könnten die Betriebe aufgrund des Gesundheitsschutzes nur mit der Hälfte des normalen Umsatzes rechnen, auch deshalb sei eine dauerhafte Mehrwertsteuersenkung jetzt „ein wichtiges Signal“ für alle Unternehmen in Not. Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee sieht in seinem Bundesland „bis zu 50 Prozent“ der Gastbetriebe vor dem Aus. „Das Thema gehört ganz dringend auf die Tagesordnung der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz Ende April“, fordert der SPD-Politiker.
Am 30. April steht die Runde an, spätestens dann erwartet die Branche einen Plan, der keinesfalls hinter die Regelung in Österreich zurückfallen dürfe: Mitte Mai öffnen dort die Lokale.
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