Innenminister Horst Seehofer gibt nach: Erntehelfer dürfen jetzt doch einreisen
Den Bauern fehlen Saisonarbeitskräfte aus Polen und Rumänien. Jetzt dürfen einige Zehntausend kommen - unter strengen Auflagen.
Gute Nachrichten für die Bauern: Erntehelfer aus Polen und Rumänien dürfen jetzt doch nach Deutschland einreisen. Um eine Verbreitung des Coronavirus zu verhindern, haben sich Bundesinnen- und Bundesagrarministerium am Donnerstag jedoch auf enge Voraussetzungen für den Einsatz geeinigt. Danach dürfen die Erntehelfer nur mit dem Flugzeug anreisen und müssen am Flughafen von den Betrieben abgeholt werden. Die Helfer müssen einen Gesundheitscheck bestehen und werden in den ersten 14 Tagen von anderen Arbeitern getrennt. Zudem werden die Unterkünfte für die ausländischen Saisonarbeiter nur zur Hälfte belegt.
Bis zu 40.000 Kräfte dürfen im April kommen
Im April und im Mai dürfen jeweils bis zu 40.000 Erntehelfer kommen, sie ergänzen die 20.000 ausländischen Arbeitskräfte, die bis zum aktuellen Einreisestopp bereits nach Deutschland gereist waren. Die Lockerung des Einreisestopps reicht jedoch nicht, um den Arbeitskräftebedarf der Bauern zu decken. Bis Ende Mai werden etwa 100.000 Saisonarbeiter in der Landwirtschaft benötigt, in normalen Zeiten arbeiten über das Jahr verteilt bis zu 300.000 ausländische Erntehelfer in Deutschland.
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Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) sprach am Donnerstag von einer pragmatischen, zielorientierten Lösung und einer guten Entwicklung für die Bauern. „Denn die Ernte wartet nicht, auch Aussaaten kann man nicht verschieben“, sagte Klöckner. „Um die Verbraucher auch während der Corona-Pandemie mit ausreichend und hochwertigen heimischen Lebensmitteln zu versorgen, sind die Landwirte auf die Mitarbeit ausländischer Saisonarbeitskräfte angewiesen - das sind Fachkräfte auf ihrem Gebiet.“
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) lobte, es sei gelungen, „einen Weg zu finden, den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und die Sicherung der Ernten miteinander in Einklang zu bringen.“ Der Druck auf Seehofer, das Einreiseverbot zu lockern, war gewaltig. Nicht nur Klöckner und der Deutsche Bauernverband, sondern auch der Vorsitzende des Agrarausschusses im Europaparlament, Norbert Lins (CDU) hatten, Reformen gefordert. „Um die Ernte nicht zu gefährden, wird es höchste Zeit, dass die Bundesregierung sich an die Vorgaben der EU-Kommission für systemrelevante Arbeitskräfte hält“, hatte Lins gedrängt.
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Am Montag hatte die EU-Kommission Leitlinien herausgegeben, wonach Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft, die für wichtige Pflanz-, Pflege- und Erntearbeiten gebraucht werden, an den Grenzen genauso behandelt werden sollen wie andere systemrelevante Arbeitskräfte, etwa Ärzte oder das Personal in Fabriken für Medizinprodukte.
Mitgliedstaaten sollten dafür sorgen, dass die Einreise ermöglicht wird. Arbeitgebern könnten Auflagen erteilt werden, damit der Schutz vor Ansteckung gewährleistet wird, hatte Brüssel beschlossen. Deutschland hat das jetzt umgesetzt.
Auch deutsche Helfer sollen zum Einsatz kommen
Weil die ausländischen Erntehelfer, die jetzt einreisen dürfen, nicht reichen, um den Spargel zu ernten und neues Obst und Gemüse zu pflanzen, sollen auch Bundesbürger bei der Ernte helfen. Zusätzlich sollen jeweils rund 10.000 Inländer im April und Mai zum Einsatz kommen - Arbeitslose, Studierende, Asylbewerber, Kurzarbeiter, beschlossen Seehofer und Klöckner. Schon jetzt gibt es verschiedene Vermittlungsportale und zahlreiche Bewerbungen von Bundesbürgern für einen Arbeitseinsatz auf dem Land. „Die Bauern sind sehr dankbar für die große Solidarität und die vielen Angebote, die ihnen derzeit aus der Bevölkerung entgegengebracht werden“, sagte der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, Bernhard Krüsken, dem Tagesspiegel. Allerdings würden die Landwirte ihre langjährigen und erfahrenen Mitarbeiter aus Osteuropa brauchen. „Diese können nicht von heute auf morgen ersetzt werden“, gibt der Generalsekretär zu bedenken.
Viele wollen nur in Teilzeit oder befristet arbeiten
„Jede zusätzliche helfende Hand ist herzlich willkommen“, sagt Krüsken. Landwirte berichten, dass sie zwar viele Angebote zur Mitarbeit erhalten. „Allerdings können etliche offenbar nur in Teilzeit oder an bestimmten Tagen aushelfen. Viele können ihre Mitarbeit nur bis zum 20. April fest zusagen, sie wollen natürlich so schnell wie möglich wieder in ihren eigentlichen Beruf zurück“, gibt Krüsken zu bedenken.
Nicht nur bei der Spargelernte, auch in vielen anderen Bereichen der Landwirtschaft fehlen die Erntehelfer aus dem Ausland. „Insbesondere die Obst-, Gemüse- und Weinbaubetriebe, aber auch größere Tierhaltungsbetriebe, die auch Teil der kritischen Infrastruktur sind, brauchen dringend Arbeitskräfte“, berichtet Krüsken.
Jürgen Jakobs, Vorsitzender des Beelitzer Spargelvereins, der mit seinem Bruder zwei Spargelhöfe bewirtschaftet, hatte vor dem Einreisestopp noch rund 130 rumänische Erntehelfer nach Brandenburg eingeflogen. Etwa 400 benötigt er für die Saison bis Juni.
Hunderte Bundesbürger haben sich bei ihm gemeldet, die helfen wollen. Sie kommen aus allen Berufsgruppen, sogar ein Pilot ist dabei. Dem würde daheim „die Decke auf den Kopf fallen“, erzählt der Spargelbauer. Ob es mit den neuen Kräften gelungen wäre, die Ernte einzubringen, ist unklar. Die Arbeit ist hart. Außerdem ist Spargel ein sensibles Gewächs, bei falscher Behandlung kann man auf einem Feld viel verderben. Gut, dass jetzt Experten kommen.