Öffentlicher Dienst: Endlich angekommen
Busfahrer, Polizist, Krankenpfleger: Berlin braucht Azubis - und wirbt gezielt um Jugendliche mit Migrationshintergrund.
Ein selbstbewusster Start in die Ausbildung sieht anders aus: „Ganz ehrlich, am Anfang habe ich mich einfach nicht getraut, mich bei einem großen Unternehmen zu bewerben“ sagt die 17-jährige Defne Deniz aus Moabit. Die Ausbildung, die sie schließlich bei einem kleinen Autohaus begann, gefiel ihr gar nicht, sie fühlte sich unterfordert.
Wie der jungen Frau, deren Familie aus der Türkei stammt, geht es vielen: „Ich kenne viele Jugendliche mit Migrationshintergrund, die es schwer haben, eine gute Ausbildungsstelle zu finden – sie erwarten einfach nicht, dass große Unternehmen oder der öffentliche Dienst sie annehmen könnten. Manche sind schon nach ein paar Absagen total demotiviert“, sagt die 17-Jährige.
Viele meinen, sie werden nicht gebraucht
Auch Defne Deniz schöpfte erst im zweiten Anlauf Mut und bewarb sich bei der Tourismus- und Marketingorganisation visitBerlin, wo sie nun im zweiten Jahr Kauffrau für Büromanagement lernt. Sie nennt ihre neue Ausbildungsstelle ein tolles Rundumpaket: „Hier kriege ich viel mehr Einblicke, ich nehme an verschiedensten Projekten teil – und ich kann als Türkin Berlin vertreten.“ Auch der Sprecher von visitBerlin, Christian Tänzler, freut sich über Dafne Deniz' Einsatz: „Als Tourismusorganisation bilden wir Berlin in seiner ganzen Vielfalt ab. Da brauchen wir auch ein buntes Team. Azubis wie Frau Deniz passen sehr gut zu unserem Unternehmen.“
VisitBerlin gehört wie die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), die Wasserbetriebe oder die Stadtreinigung zu den so genannten Landesbetrieben. Bezirksämter, Universitäten, Polizei oder Feuerwehr dagegen zählen zum öffentlichen Dienst. Trotz einiger Unterschiede gilt für beide Bereiche: Nachwuchs mit Migrationshintergrund ist gesucht.
Es geht angesichts der immer internationaler werdenden Bevölkerung darum, am Ball zu bleiben, und die bunte Mischung Berlins auch nach außen deutlich sichtbar zu repräsentieren. Der Polizist, von dessen kulturellem Know-how die Kollegen profitieren und der leichter Zutritt in ausländische Milieus findet, die Busfahrerin bei der BVG, die mit Touristen in verschiedenen Sprachen parlieren kann, der Mitarbeiter im Bezirksamt, der sich durch die eigenen ausländischen Wurzeln besser in sein Gegenüber mit Migrationshintergrund hineinversetzen kann – die Vorteile liegen auf der Hand.
40 Prozent der Berliner hat Migrationshintergrund
Zum anderen sind es die statistischen Zahlen, die das Anwerben von Mitarbeitern mit Migrationsgeschichte notwendig machen, sagt Klaus Kohlmeyer vom Beruflichen Qualifizierungsnetzwerk für Migrantinnen und Migranten in Berlin (BQN e.V.): „Jedes Jahr gehen etwa 3000 im öffentlichen Dienst Beschäftigte in Rente. Für sie müssen Nachfolger gefunden werden. Ohne Einsteiger mit Migrationshintergrund wird das kaum möglich sein.“
Dabei hat sich in Berlin einiges getan. Die Kampagne „Berlin braucht dich“, die seit zehn Jahren an der Vernetzung von Schulen und Betrieben arbeitet, liest sich als Erfolgsgeschichte: Als sie vor zehn Jahren startete, fanden sich unter den Auszubildenden im öffentlichen Dienst nur 8,7 Prozent Jugendliche mit Migrationshintergrund – verschwindend wenige, bei einem Bevölkerungsanteil von 40 Prozent.
Seither fanden im Rahmen der Initiative so viele Betriebsbegehungen, Praktika und sonstige Aktivitäten statt, dass die Zahl der Azubis mit Einwanderungsgeschichte im öffentlichen Dienst auf rund 18, in den Landesbetrieben sogar auf fast 22 Prozent gestiegen ist.
Die anfangs gesetzte Marke, 25 Prozent der Ausbildungsverträge an Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte zu vergeben, ist damit schon in erreichbare Nähe gerückt. Klaus Kohlmeyer aber reicht das noch nicht, er findet, dass gerade der öffentliche Dienst noch viel mehr machen muss. Gerade jetzt, wo eine große Zahl Geflüchteter in die Stadt komme.
Kohlmeyer sagt: „Die Berufsentscheidung ist bei vielen Jugendlichen sehr fragil. Sie gehen oft gar nicht davon aus, dass sie zum Beispiel mit türkischen oder arabischen Wurzeln für den öffentlichen Dienst in Frage kommen. Man muss Ihnen Mut zusprechen, aber das können nur die Arbeitgeber selbst machen. Sie müssen deutlich sagen 'Hey, kommt zu uns!'“
In diesem Sinne fortschrittlich zeigt sich die Berliner Polizei. Auf ihrer Webseite für Berufsanfänger wirbt sie mit Begriffen wie „multikulturell“ und „interkulturelle Kompetenzen“ um Einsteiger. Eine lange Reihe erwünschter Sprachen ist dort aufgelistet. Auch die Zahlen sprechen für sich: 26 Prozent der Berliner Polizei-Azubis haben Migrationshintergrund.
Als vorbildlich beschreibt Klaus Kohlmeyer auch den Landesbetrieb Vivantes, der sehr aktiv bei „Berlin braucht dich“ mitmischt: „Vivantes bietet viele Praktika an – und Praktikanten, die gut sind, bekommen auch einen Ausbildungsplatz. So muss das laufen“, sagt Kohlmeyer. Als eines der größten Krankenhausunternehmen Deutschlands bildet Vivantes derzeit 867 Azubis aus, jeder dritte bringt eine Einwanderungsgeschichte mit.
Defne Deniz ist eine Botschafterin, die ihre Erfahrungen gerne weitergibt. Regelmäßig besucht sie Partnerschulen von „Berlin braucht dich“, um den Schülern mit Migrationshintergrund von ihrer Ausbildung zu berichten. „Ich fühle mich ihnen nahe, weil ich mich in sie hineinversetzen und ihre Probleme nachvollziehen kann – und sie suchen das Gespräch mit mir. Ich sage ihnen dann immer: Traut euch und bewerbt euch überall, auch in großen Unternehmen. Es lohnt sich!“
Judith Hyams
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