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 260.000 Wohnungen wurden im Schnitt der vergangenen fünf Jahre gebaut, 400.000 wären erforderlich.
© Christian Charisius/dpa

Branchengipfel in Berlin: Eine Million Wohnungen fehlen

Immobilienexperten warnen bei einem Branchentreffen in Berlin vor wachsender Wohnungsnot und steigenden Preisen – und zweifeln an politischen Zielen.

Die Bau- und Immobilienbranche sieht das Ziel von 1,5 Millionen Wohnungen bis 2021 in Gefahr und fordert mehr Bauland und zusätzliche Anreize für Bauherren und Unternehmen. Von einer Realitätsverweigerung wollten Experten bei einem Branchengipfel des Verbändebündnisses Wohnungsbau am Donnerstag in Berlin nicht sprechen. Doch die Fakten, die Wissenschaftler, Vertreter von Bau und Wohnungswirtschaft sowie der Mieterchef zusammengetragen haben, sprechen dafür, dass die Wohnungsnot nicht ernst genug genommen wird. Es gibt kaum Bauland und wenn, dann sei es „absonderlich teuer“. Und die Not wächst weiter, weil nicht die erforderlichen 400.000 Wohnungen jährlich neu gebaut werden, sondern nur 260.000 im Durchschnitt der letzten fünf Jahre.

Auch in diesem Jahr bleibt der Wohnungsbau mit 340.000 neuen Einheiten unter Plan. Schuld daran sind die Bauämter der Länder und Gemeinden: Statt mehr Baugenehmigungen erteilten sie sogar weniger. Der Rückgang um zehn Prozent sei umso schmerzlicher, als Deutschland eine Netto-Zuwanderung von mindestens 450.000 Menschen im vergangenen Jahr verzeichnet habe.

Bezahlbare Wohnungen fehlen

Immerhin habe die künftige Regierung den „sozialen Sprengstoff“ in der Wohnungsfrage erkannt, sagt Sebastian Thurn, Präsident des Bundesverbands Deutscher Baustoff-Fachhandel, mit Blick auf den Koalitionsvertrag. Das Ziel, 1,5 Millionen Wohnungen in dieser Legislatur neu zu bauen, nennen die Verbände dennoch „sportlich“.

Es fehlen bezahlbare Wohnungen: Jährlich müssten 80.000 Sozialwohnungen und weitere 60.000 Wohnungen für weniger als acht Euro Nettokalt pro Quadratmeter gebaut werden, sagte der Chef des Bundesverbandes deutscher Wohnungsunternehmen (GdW), Axel Gedaschko.

Um die Not zu lindern, fordert Mieterbund-Chef Lucas Siebenkotten eine „große Koalition von Bund, Ländern und Gemeinden“. Es brauche eine „nationale Offensive Wohnungsbau, koordiniert vom Bund“. Eine Million Wohnungen fehlten aktuell in Deutschland. Selbst wenn 80000 Sozialwohnungen jährlich gebaut würden, werde das nicht ausreichen, weil jährlich zugleich 100.000 aus der Förderung fallen. Kurzum: Das Angebot schrumpft, obwohl die Nachfrage wächst. Obwohl fast die Hälfte der Deutschen Anspruch auf eine Sozialwohnung habe, gebe es nur für jeden Siebten eine.

Grundstückspreise steigen viermal schneller als Lebenshaltungskosten

Am Beispiel Berlin zeigte Robert Feiger von der Industriegewerkschaft Bau, was schiefläuft: Nicht eine Sozialwohnung sei in Berlin zwischen 2006 und 2012 neu entstanden. In den Ballungszentren hätten 35 bis 50 Prozent der Bewohner Anspruch auf eine Sozialwohnung, aber nur sechs Prozent des deutschen Wohnungsbestandes seien subventionierte Sozialbauten.

Teuer sind Wohnungen auch deshalb, weil es keine Grundstücke gibt. GdW- Chef Gedaschko berichtete von Bodenpreisen von weit über 1000 Euro je Quadratmeter in Großstädten. Die Grundstückspreise seien viermal schneller gestiegen als die Lebenshaltungskosten. Deshalb begrüßen die Bündnispartner die Absicht der Koalitionäre, Grundstücke des Bundes für den bezahlbaren Wohnungsbau günstiger abzugeben, indem das Gesetz geändert wird. Sie fordern aber einen solchen Eingriff auch für Grundstücke aus dem Eisenbahnvermögen. Bisher half der Bund wenig bei der Bekämpfung der Bauland-Not: Zwischen 2013 und 2017 verkaufte er ganze 13 Grundstücke zu verbilligten Preisen.

In Berlin soll soziale Durchmischung erhalten bleiben

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nannte die Wohnungsnot „das soziale Thema mit Sprengkraft für die Stadtgesellschaft“. Dass der Bund künftig preiswerte Grundstücke für den Wohnungsbau den Ländern geben will, sei „ein Riesenschritt nach vorne“. Zusammen mit Wohnungsbauförderungen könne Berlin „Wohnraum unter der Kostenmiete anbieten“ und damit die „soziale Durchmischung im ganzen Stadtgebiet“ erhalten. Ob die Brisanz der Lage wirklich beim Bund angekommen ist, stellte Müller infrage: Der Bund habe versäumt, „ein Statement“ abzugeben und ein eigenständiges Bauministerium zu schaffen.

Weil es an Bauland fehlt, „müssen wir Grundstücke intensiver und besser nutzen, höher und dichter bauen“, forderte Müller. Durch den Ausbau von Dächern etwa und die bessere Nutzung von Einzelhandelsflächen: „Container mit riesiger Parkplatzfläche sind verschenkter Raum.“ Auch der „Flächenverbrauch pro Kopf“ sei in Berlin mit „über 40 Quadratmeter ein Spitzenwert – das werden wir in international werdenden Städten nicht durchhalten“, so Müller.

Serieller Bau als Option

Ein „Knalleffekt“ sei möglich durch „standardisiertes preiswertes Bauen“ sagte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke). Er komme gerade aus Südkorea, wo Wohnungen „in Affengeschwindigkeit“ gebaut würden. Über den industriellen seriellen Bau müsse wieder nachgedacht werden. Noch steht dem ein „Gestrüpp von Vorschriften“ im Wege, sagte Boris Palmer, grüner Bürgermeister in Tübingen. Immerhin verspricht Baustaatssekretär Günther Adler eine „Musterbauordnung“ für alle Bundesländer.

Über die Mietpreisbremse stritt Boris Palmer mit Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU). Während Günther die „wirkungslose“ Bremse abschaffen möchte, will Palmer sie verschärfen. Der Grund: Private Firmen drehten nach wie vor an der Mietschraube. „So viel Bauland kann eine Stadt gar nicht ausweisen.“

In einer früheren Version dieses Textes stand fälschlicherweise, dass Bodo Ramelow soeben aus Nordkorea zurück gekehrt sei. Diese Aussage war falsch, er hielt sich zuvor in Südkorea auf. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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