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Digitale Gesundheit für Hipster: Eine Krankenkasse zwischen Obama und Trump

Das New Yorker Startup Oscar mischt den US-Versicherungsmarkt auf. Der Chef ist ein Deutscher mit gutem Draht ins Weiße Haus.

Mario Schlosser ist es gewohnt, Besucher durch seine Firma zu führen. Er schlendert lässig durch die sechste Etage eines wuchtigen Backsteinbaus im New Yorker Viertel Soho, durch ein Büro-Loft mit weißen Wänden und hohen Decken und gelben Stühlen. Zwischen Ping-Pong-Tischen und Cafeteria sitzen junge Menschen mit großen Kopfhörern vor silberfarbenen Laptops.

Was sich anfühlt wie ein Technologie-Startup, ist tatsächlich: eine Krankenkasse. „Jeder, der die Welt von Versicherungen kennt, sagt, dass bei uns eine ganz andere Energie herrscht“, sagt Schlosser, eine Hand in der Tasche seiner Jeans.

Oscar – so heißt die fröhliche Firma – mischt seit 2012 den amerikanischen Versicherungsmarkt auf. Es gibt keine Makler, keine Vertreter, keine Filialen; der Kontakt mit den Versicherten ist digital, interaktiv, nutzerfreundlich. Es ist eine Krankenkasse, die offenbar keine Angst vor einer möglichen Abschaffung von Obamacare hat, dem Gesundheitsgesetz des früheren Präsidenten.

Auch der Gründer und CEO selbst entspricht kaum dem konventionellen Bild des Versicherungsmanagers: Schlosser ist 38 und läuft im T-Shirt mit Rucksack herum. Er stammt aus Hessen, studierte Informatik in Trier und Hannover, später in Stanford und Harvard.

Mit Oscar gründete er eine Krankenversicherung, die so einfach funktioniert wie ein Instant-Messaging-Service oder ein Musikstreaming-Dienst. Der Versicherte kann via Smartphone-App Ärzte suchen und vergleichen, Arzttermine buchen und Arztrechnungen bezahlen. Er kann den Doktor-Knopf drücken, und ein Arzt ruft zurück. Sogenannte Concierge-Teams aus je vier Oscar-Mitarbeitern – darunter immer eine Krankenschwester oder ein Krankenpfleger – navigieren die Versicherten per Chat oder Video-Call durch das Gesundheitssystem.

Innovative Technologie, cooles Marketing und vernetzte Kommunikation – eine Krankenversicherung für Hipster also, wie das Magazin „Fortune“ titelte? „Wir versuchen nicht, Healthcare hipper zu machen“, sagt Schlosser. „Wir versuchen, Healthcare besser zu machen.“

Allerdings: das hippe Image helfe Oscar, gute Leute an Bord zu holen. Leute, die sonst nie auf die Idee gekommen wären, bei einer Krankenversicherung anzuheuern. Viele der 500 Oscar-Mitarbeiter waren vorher bei Google, Yahoo, Spotify oder Uber.

Oscar sammelte bislang 720 Millionen Dollar Kapital ein und hat heute gut 100 000 Versicherte. Das Unternehmen schreibt noch immer Verluste, aber das Geschäft beginnt sich zu stabilisieren.

Dennoch sind viele Gesundheitsökonomen skeptisch. „Oscar hat sich als verbrauchernahe Krankenkasse positioniert“, sagt Bill Custer von der Georgia State University in Atlanta. „Aber am Ende zählt, was eine Versicherung kostet, welche Leistungen sie abdeckt und vor allem: mit wie vielen und welchen Ärzten sie zusammenarbeitet.“

In den USA gibt es keine freie Arztwahl. Versicherer handeln Verträge mit Ärzten und Krankenhäusern aus. Das Netzwerk von Gesundheitsversorgern, mit denen Oscar kooperiert, ist bislang nicht sehr groß. Die Prämien bei Oscar liegen mit rund 400 Dollar pro Monat im amerikanischen Durchschnitt, aber der Selbstbehalt kann je nach Police mehrere tausend Dollar betragen.

Hohe Anfangsverluste, hohe Selbstbeteiligung, begrenzte Netzwerke: „All das hat Oscar mit vielen anderen Versicherern gemeinsam“, sagt Custer. Die meisten Amerikaner beziehen ihre Krankenversicherung über den Arbeitgeber. Nur etwa 15 Prozent – meist Selbstständige und Freiberufler – kaufen Policen auf dem freien Markt. Obamacare hat diesen Markt für individuelle Versicherungen radikal reformiert – mit Online-Börsen und Subventionen. Eine perfekte Startrampe für Oscar. Allerdings: Präsident Trump ist wild entschlossen, Obamacare zu kippen. Der Kongress werkelt seit Monaten an einem neuen Gesetz, bislang erfolglos.

Schlosser sieht das gelassen. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Washington etwas passiert, das 20 Millionen Amerikanern die Krankenversicherung wegnehmen würde.“ So viele Menschen könnten tatsächlich ihren Versicherungsschutz verlieren, wenn einer der bislang vorliegenden Entwürfe Gesetz würde, schätzt das unabhängige Budgetbüro des Kongresses. „Das würde apokalyptische Szenarien heraufbeschwören“, meint Schlosser. „Die Leute würden Schlangen vor den Notaufnahmen bilden. Das kann niemand wollen.“

Schlosser muss es wissen. Schließlich hat seine Firma einen direkten Draht ins Weiße Haus. Hauptinvestor und Mitgründer von Oscar ist Josh Kushner, Bruder von Jared Kushner, dem Schwiegersohn und Berater von Donald Trump. Der Urgroßvater der Kushner-Brüder hieß übrigens Oscar – und wurde zum Namensgeber für das Startup.

Schlosser und Kushner sind Freunde seit Studientagen in Harvard. Bei ihren Treffen sei Politik kein Thema, versichert Schlosser. „Wenn Oscar es schafft, als Gesundheitsversorger glückliche Mitglieder zu haben, ist alles andere unwichtig.“ Selbst ohne Geheimdiplomatie hätte Oscar gute Chancen auf eine Zukunft nach Obamacare. Weil das Unternehmen jüngere Leute anzieht. In New York sind die Oscar-Versicherten zwischen 25 und 35 Jahre alt. Ein Gesundheitsgesetz der Republikaner, wie auch immer es im Detail aussehe, wolle Jüngere und Besserverdienende steuerlich bevorzugen, sagt Ökonom Custer. „Und eine Versicherung wie Oscar, die diese Gruppe anspricht, könnte damit gut fahren.“

Oscar setzt jedenfalls schon heute auf Expansion: Bislang verkauft das Startup Policen in drei Bundesstaaten; 2018 sollen drei weitere dazukommen. „Unsere Vision – Krankenversicherung als Verbraucherprodukt – funktioniert auch unabhängig von Obamacare“, sagt Schlosser.

Katja Ridderbusch

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