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Organspende: Eine Entscheidung über Leben und Tod

Alle zwei Jahre werden Versicherte gefragt, ob sie Organe spenden wollen. Viele tun sich schwer damit. Die Spendebereitschaft ist in Deutschland niedrig.

Für die Krankenkassen ist es ein Riesenakt. Alle zwei Jahre müssen sie, so schreibt es das Transplantationsgesetz vor, ihre Versicherten ausgiebig über die Möglichkeit einer Organentnahme nach dem Tod informieren. Dazu gehört auch, ihnen Spenderausweise beizulegen und sie dazu anzuhalten, diese doch bitteschön gleich auszufüllen. Mit einem „Ja, ich gestatte dies“, einem „Nein, ich widerspreche“ oder dem Hinweis, dass man im Fall des Falles lieber andere für sich entscheiden lassen möchte.

Einen Zwang zur Festlegung gibt es nicht. Doch weil die Organspendebereitschaft in Deutschland so niedrig ist, sollen die Menschen auf Wunsch der Politik nun wenigstens regelmäßig mit der Nase auf das Tabuthema gestoßen werden.

START VOR ZWEI JAHREN

2013 hatte die staatlich verordnete Infoaktion Premiere, und wenn dieses Jahr zu Ende ist, haben die nahezu 80 Millionen Versicherten, egal ob gesetzlich oder privat, per Post oder über Mitgliederzeitschriften erneut Organspendeaufklärung erhalten. Deutschlands größte gesetzliche Kasse, die Techniker (TK) mit acht Millionen Versicherten, etwa ist damit gerade durch. Seit einem halben Jahr haben die Hamburger Woche für Woche gut 600 000 Flyer mit heraustrennbarem Organspendeausweis verschickt. 35 Cent kostet jedes Anschreiben, macht 2,8 Millionen Euro. Und wie es ankommt, weiß keiner. Die Versicherten melden sich nicht zurück, die Entscheidung wird, wenn sie denn getroffen wird, nirgendwo registriert. Im besten Fall füllen die Angeschriebenen den Spenderausweis aus und verwahren ihn im Geldbeutel.

Dass bei der Aktion auch chronisch Kranke oder Behinderte angeschrieben werden, die fürs Organspenden gar nicht infrage kommen, lasse sich nicht vermeiden, sagt TK-Sprecherin Michaela Hombrecher. Schließlich würden die Stammdaten der Versicherten nicht mit Krankenakten zusammengeführt. Und da alle Versicherten nach Vollendung ihres 16. Lebensjahres informiert werden müssen, könne pro Familie auch schon mal ein Pack gleichartiger Infopost anlanden.

KEINE ALTERSGRENZEN

Grundsätzlich gilt, dass Jugendliche ab 16 einer Organ- und Gewebespende auch ohne das Plazet der Eltern zustimmen können. Umgekehrt ist es bereits mit dem 14. Geburtstag möglich, einer verfügten Spende zu widersprechen. Für die Organspenden selber besteht ansonsten keine Altersgrenze. Entscheidend sei, so heißt es bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), „nicht das kalendarische, sondern das biologische Alter des Spenders“.

Ob Organe und Gewebe für eine Transplantation geeignet seien, könne erst im Falle einer tatsächlichen Spende geprüft werden.

DIE WAHL

Wer spenden möchte, kann auf dem Ausweis aber auch differenzieren – und entweder bestimmte Organe ausnehmen oder seine Spendenbereitschaft nur für spezielle Organe oder Gewebeteile erklären. Zudem kann er auf dem Ausweis Personen seines Vertrauens benennen, die im Todesfall entscheiden sollen.

OFFIZIELLES DOKUMENT

Der Organspendeausweis gilt als offizielles Dokument und ist rechtlich gültig. Wer ihn ausfüllt und zugänglich macht, erspart seinen Angehörigen möglicherweise eine enorme Belastung. Denn wenn in Sachen Organspende weder schriftlich noch mündlich irgendwas klargestellt wurde, muss die Entscheidung von anderen getroffen werden – in der ohnehin emotionsbeladenen Situation eines plötzlichen Sterbefalls.

Die Sorge, sich dadurch endgültig und unwiderruflich festzulegen, muss dennoch keiner haben. Wer seine Verfügung zur Organ- und Gewebespende aus irgendwelchen Gründen ändern will, braucht das Kärtchen lediglich zu vernichten und die Angehörigen über seine neue Sichtweise zu informieren. Er kann dann, falls er möchte, jederzeit wieder einen neuen Ausweis mit einer anderen Erklärung ausfüllen.

RETTUNG UNMÖGLICH

Voraussetzung für eine Organspende ist, neben der Zustimmung, die zweifelsfreie Feststellung des Hirntodes. Zuvor müssen alle intensivmedizinischen Möglichkeiten zur Lebensrettung unternommen worden sein. Definiert ist der Hirntod als „endgültiger, nicht behebbarer Ausfall der Gesamtfunktion von Großhirn, Kleinhirn und Hirnstamm“. Die teilweise umstrittene Diagnostik erfolgt nach den Richtlinien der Ärztekammer. Sie muss durch zwei voneinander unabhängige Ärzte erfolgen, die nicht an der Transplantation beteiligt sind.

Erklärtes Ziel der aufwendigen Infoaktion ist es, die Organspendebereitschaft der Deutschen zu erhöhen. Zu einer sogenannten Widerspruchslösung, wie sie in anderen EU-Ländern praktiziert wird und bei der Toten, die dem vorher nicht ausdrücklich widersprochen haben, jederzeit Organe entnommen werden können, wollte sich der Gesetzgeber nicht durchringen. Gleichzeitig hat eine BZgA-Befragung von 2012 ergeben, dass 70 Prozent der 14- bis 75-Jährigen grundsätzlich bereit wären, nach ihrem Tod ihre Organe zu spenden. Allerdings befanden sich zu diesem Zeitpunkt lediglich 22 Prozent der Befragten im Besitz eines Organspendeausweises. Viele scheuten offenbar davor zurück, sich diesbezüglich in irgendeiner Weise festzulegen.

ZU WENIG SPENDER

Für schwerst Kranke, die auf Organspenden angewiesen sind, ist das eine Tragödie. Aktuell befinden sich knapp 11 000 Patienten auf den Wartelisten für eine Transplantation – und die meisten davon haben keine Chance, dass diese jemals stattfindet. Pro Tag sterben statistisch drei von ihnen, weil sie nicht rechtzeitig ein Spenderorgan erhalten.

ABER DIE ZAHLEN STEIGEN

Bislang befinden sich die Spenderzahlen trotz der verordneten Konfrontation mit dem Thema nach wie vor im Keller. Doch mittelfristig könnte die Zwangsbefassung die Situation verbessern. Nach der ersten Infoaktion vor zwei Jahren habe man per Umfrage in Erfahrung gebracht, dass nun 30 Prozent der TK-Versicherten über einen Spenderausweis verfügten, berichtet Sprecherin Hombrecher. Vorher seien es nur rund 20 Prozent der Versicherten der Techniker-Kasse gewesen.

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