zum Hauptinhalt
Mindestens 1,8 Milliarden Euro steckte VW dem Vernehmen nach in die Entwicklung der neuen Golf-Generation
© Hirschberger/AFP

Vorstellung des neuen Golfs: Ein Smartphone auf Rädern

Volkswagen bringt die achte Generation seines Erfolgsmodells auf den Markt. Die Fahrzeuge werden komplett in Wolfsburg gebaut.

Zuletzt versorgte der Autobauer Interessierte Tag für Tag mit Erinnerungen an frühere Golf-Generationen. Die „Golf-Klasse“ schrieb Geschichte und große Zahlen. Allein im vergangenen Jahr lieferte VW rund 832.000 Fahrzeuge der Golf-Familie aus. Der Golf liegt in Europa bei den Neuzulassungen auf Platz eins. Seit der Markteinführung im Jahr 1974 wurden 35 Millionen Exemplare des Käfer-Nachfolgers gebaut, 26 Millionen davon im Werk Wolfsburg.

Dort ist die Produktion des 8er-Golfs im Sommer angelaufen, Anfang Dezember kommen die ersten Fahrzeuge in den Handel. 450.000 Golfe in allen Modellvarianten kann das Wolfsburger Werk maximal pro Jahr bauen. VW legt die Golf-Produktion zusammen, die Fertigung in Zwickau und im mexikanischen Puebla wird nach Niedersachsen verlagert.

„Es wäre schön, wenn die Marktnachfrage diese Kapazität füllt“, sagte Produktionsvorstand Andreas Tostmann am Dienstag. Der Golf bleibt als „Brot-und-Butter“-Modell für VW sehr wichtig, weil er den Hochlauf der Elektromobilität und den Start des batteriebetriebenen ID.3 mitfinanzieren soll.

Die Aufwertung des Standorts wird das Land Niedersachsen freuen, das 20 Prozent der Stimmrechte an Volkswagen besitzt. 8400 Beschäftigte arbeiten ausschließlich in der Golf-Produktion, 72 Golf-Zulieferer haben ihren Sitz in dem Bundesland. Die Konzentration in Wolfsburg ist dennoch ein gewagter Schritt, galt das Werk doch bislang vor allem wegen hoher Löhne als vergleichsweise unwirtschaftlicher Standort.

Fast zwei Milliarden Euro flossen in Entwicklung

Doch Tostmann berichtete von Erfolgen: „Der Golf 8 ist deutlich komplexer als sein Vorgänger. Trotzdem können wir die durchschnittliche Fertigungszeit um etwa eine Stunde reduzieren.“ 2300 Roboter seien allein im Karosseriebau tätig.

Die Baukastenstrategie des Herstellers greife. Da der Golf 8 zur zweiten Generation von MQB-Produkten (Modularer Quer-Baukasten) gehöre, habe VW die Investitionen in der Produktion deutlich senken können. In den Anlauf sei im Vergleich zum Vorgänger nur halb so viel investiert worden. Ein „mittlerer dreistelliger Millionenbetrag“ floss Tostmann zufolge insgesamt in die Golf 8-Produktion, mindestens 1,8 Milliarden Euro steckte VW dem Vernehmen nach in die gesamte Entwicklung.

Vernetzter als seine Vorgänger

Herausgekommen ist ein aus 2700 Einzelteilen bestehendes Auto, das es vor allem in sich hat. Der Golf 8 gleicht einem Smartphone auf Rädern, er ist digitaler und vernetzter als alle seine Vorgänger – und die meisten Wettbewerber in der Kompaktklasse. „Er hat 95 digitale Funktionen mehr als der Golf 7“, sagte Tostmann. Auch das sei eine Herausforderung für die Produktion. Volkswagen-Chef Herbert Diess hatte angekündigt, der Golf 8 werde beim Thema Assistenzsysteme und digitale Vernetzung „im Volumensegment Maßstäbe setzen“. Die im Auto verbaute Software hat rund 100 Millionen Codezeilen, Facebook kommt gerade einmal auf die Hälfte.

Berichte, wonach die komplexe Software und Bordelektronik in der Entwicklung extrem fehleranfällig war und der neue Golf in einer zunächst deutlich abgespeckten Form auf den Markt kommt, hatte VW zwar dementiert. Doch nicht alles, was geplant war, ist offenbar serienreif. Die „meisten Funktionen und Technologien“ seien zum Marktstart konfigurierbar, erklärte am Dienstag eine Sprecherin.

Golf hat zwei SIM-Karten

In puncto Digitalisierung soll der Wagen gleichwohl die Zukunft der Branche mit einläuten. Der Golf 8 ist ständig im Netz, hat zwei SIM-Karten (E-Call und Internet). Alle Instrumente sind digital, ein Infotainment-Display und Projektionen im Sichtfeld des Fahrers sollen Konkurrenten wie dem BMW 1er oder der A-Klasse von Daimler Kunden abjagen – sofern technisch alles von Anfang an läuft.

Mir persönlich genügt ein Auto was mich wie bisher von A nach B bringt. Ein Tablet oder Smartphone auf Rädern brauche und will ich nicht.

schreibt NutzerIn Andrae

Vor allem Mercedes hat beim Thema Sprachsteuerung einen Vorsprung mit seinem selbst programmierten lernfähigen Multimediasystem MBUX, das künstliche Intelligenz einsetzt. VW hat sich beim Golf 8 bei seinem Modularen Infotainment-Baukasten (MIB) bedient, der ebenfalls Funktionen wie intelligente Sprachsteuerung, Streaming und eine lernende Navigation erlaubt.

Zukunftsfunktionen schon an Bord, aber noch inaktiv

Ähnlich wie beim Smartphone können Golf-Fahrer künftig ihre User-ID nutzen, mit der persönliche Einstellungen konfiguriert und bei Fahrtbeginn aktiviert werden, seien es die Sitz- und Lenkradpositionen oder die Musikauswahl. Erstmals eingeführt wurde die User-ID bei VW im Touareg, jetzt wird die Funktion auch in der Kompaktklasse serienmäßig.

Die Zukunft fährt im neuen Golf buchstäblich schon mit, denn das Auto ist für digitale Anwendungen vorbereitet, für die es noch keine gesetzliche Zulassung gibt. Zum Beispiel kann der 8er-Golf Car-to-X-Kommunikation mit Ampeln oder anderen Fahrzeugen. In Niedersachsen wird die Technologie in der Praxis erprobt. Angelegt, aber noch inaktiv, sind im Golf 8 auch bereits automatisierte Fahrfunktionen wie selbstständige Spurwechsel oder Überholen auf der Autobahn. Das Vor und Zurück beim Einparken, das Spur- und Abstandhalten beherrscht der Golf 8 hingegen schon heute.

Henrik Mortsiefer

Zur Startseite