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"Gemeinschaftswerk Aufschwung Ost" steht an einer Mauer in Magdeburg.
© Jens Wolf/dpa

Verlängerte Werkbank des Westens: Ein neuer Aufbau Ost gelingt nur mit Geld

Wie steht es um die Zukunftsaussichten des Standortes Ostdeutschlands? Ein echter Entwicklungssprung wird nur im Feld des Digitalen gelingen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

30 Jahre nach dem Mauerfall stehen die Zukunftsperspektiven des Standorts Ostdeutschland wieder auf der Tagessordnung. Oder immer noch. Gerade diskutieren Politik und Wirtschaft im brandenburgischen Bad Saarow darüber, was zwischen West und Ost steht.

Was schon feststeht: Es ist ein neuer Aufbruch nötig. Und Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier versucht, Hoffnung zu machen. Das ist auch seines Amtes, immerhin ist „Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologie“. Wusste Vorvorgänger Ludwig Erhard, der (westdeutsche) Vater des Gedankens „Wohlstand für alle“. Dass sich Ostdeutschland also wieder zu einer starken Industrieregion entwickeln könnte, wie Altmaier sagt, soll dementsprechend bestimmt zuerst einmal das regionale Selbstbewusstsein stärken.

Fakt ist: Ganze Regionen und Städte wurden seit der Wiedervereinigung deindustrialisiert. Beinahe jede Familie in Ostdeutschland hat in den vergangenen Jahrzehnten die Folgen von Arbeitslosigkeit zu spüren bekommen. Da ist es gut, dass Altmaier – aus welcher Position auch immer, ob als Bundesminister oder womöglich demnächst als EU-Kommissar - die nachhaltige Förderung mit EU-Mitteln erhalten will. Will sagen: Er tritt für Strukturfondsmittel in der nächsten Förderperiode ab 2021 ein.

Ein weiterer, ein neuer Aufbau Ost kann nur mit finanzieller Hilfe gelingen. Zwar hat sich die Wirtschaftsleistung pro Kopf von einem Drittel des westdeutschen Niveaus auf drei Viertel erhöht; zwar hat sich das Pro-Kopf-Einkommen mehr als verdoppelt, die Produktivität ist um das Vierfache gestiegen, wie der Bund der Deutschen Industrie (BDI) feststellt. Doch bedeutet Aufbau Ost bis heute in vielen Fällen einen Nachbau West.

Thomas Kralinski, brandenburgischer Staatssekretär für den Bund und internationale Beziehungen, gebürtig aus Weimar, hat das auf Tagesspiegel-Causa vor einigen Monaten so erklärt: Gut sei, dass es in Leipzig ein BMW-Werk gebe, doch die Konzernzentrale liege in München. „Dort werden die strategischen Entscheidungen getroffen. Ostdeutschland ist nach wie vor eine ‚semiperiphere Wirtschaft‘ – oder anders gesagt: in vielen Fällen eine verlängerte Werkbank.“

Wirklich entscheidend wäre dagegen ein wirklicher Entwicklungssprung. Nicht erst Altmaier, schon Kralinski hat dafür das Feld des Digitalen ausgemacht, gerade wegen der dünn besiedelten Regionen. Beispielsweise durch besondere Anstrengungen bei Breitbandinfrastruktur und Mobilfunknetzen, einen bevorzugten Ausbau der neuen 5G-Mobilfunktechnik, durch die Benennung der neuen Länder als das Testgebiet für Elektromobilität und autonomes Fahren, für Energiespeicherung, Batterieproduktion und künstliche Intelligenz. Ist es jetzt soweit, nach Bad Saarow?

Es kommt Hoffnung auf. Altmaier will ja zuvörderst in diesem Bereich Jobs mit Zukunft in Ostdeutschland schaffen: indem unternehmerische Investitionen gefördert werden, die Infrastruktur ausgebaut wird, sich Bundes- und Forschungseinrichtungen ansiedeln. Das alles mit Unterstützung des Bundes und aus Europa. Für den Mittelstand. Weil ja auch die Wirtschaftsstrukturen kleinteiliger sind und große Unternehmen oder Konzernzentralen zwischen Ostsee und Erzgebirge fehlen, wie der stellvertretende BDI-Hauptgeschäftsführer Holger Lösch sagt. Aber nicht zuletzt, um die Skepsis der Ökonomen im Blick auf ostdeutsche Perspektiven 30 Jahre nach dem Mauerfall zu widerlegen.

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