Wirtschaft: Ein deutsches Unternehmen
Krupp, einst Waffenschmiede und inzwischen Teil eines Mischkonzerns, wird heute 200 Jahre alt – und steckt mitten im Umbruch
Diesmal wird er wohl kommen, der Herr Bundespräsident. Anders als im Mai. Damals hatte Christian Wulff kurzfristig den Besuch des neuen Stahlwerks von Thyssen-Krupp in Brasilien abgesagt. Er war beleidigt, weil die Konzernführung in Essen einen Tag zuvor ein umfangreiches Verkaufsprogramm ankündigte und ihn nicht vorab informiert hatte. Diese kleine, ärgerliche Episode ist am heutigen Sonntag vergessen. Auch deshalb, weil nicht der Vorstand eingeladen hat, sondern die Krupp-Stiftung. Und damit Berthold Beitz. Da kommt jeder Präsident wie gerufen. Um an die vielen Auf- und Abstiege zu erinnern, dabei die Verwicklungen in Krieg und Gefangenenausbeutung nicht zu verschweigen und schließlich die sozialen Taten eines der bekanntesten deutschen Unternehmen zu würdigen. Heute nämlich wird Krupp 200 Jahre alt.
1811 führte die Blockade Englands durch Napoleon auf dem europäischen Kontinent zu Engpässen bei diversen Gütern, auch beim Stahl. Am 20. November gründete deshalb Friedrich Krupp mit zwei Kompagnons eine Fabrik „zur Herstellung von Gussstahl englischer Qualität“, wie es in der Konzernhistorie heißt. Friedrich ist wenig erfolgreich, doch sein Sohn Alfred, der 1848 Eigentümer der Firma wird, macht es besser. Fast 40 Jahre später, 1887, im Todesjahr Alfreds, ist Krupp mit mehr als 20 000 Mitarbeitern der größte private Industriekonzern Europas. Die Produktion von Eisenbahnrädern – drei übereinanderliegende Reifen bilden das Firmenlogo –, aber auch die Herstellung von Stahlkanonen haben Krupp wachsen lassen. Erzvorkommen, Kohlezechen und Hütten werden gekauft oder gebaut und damit die Basis für die Expansion des Stahlkonzerns gelegt.
Alfred lässt die Villa Hügel bauen (1870–1873), in deren Wohnzimmer sich heute die Gratulanten versammeln. Gegen 11 Uhr spielt Daniel Barenboim Schubert. Dann begrüßt Berthold Beitz die 200 Ehrengäste und der Bundespräsident hält eine Festansprache. Auch Gerhard Cromme, Aufsichtsratsvorsitzender von Thyssen-Krupp und designierter Nachfolger von Beitz an der Spitze der Stiftung, wird ein paar Worte sagen. Ebenso Thomas Schlenz, der Betriebsratschef. Das hat sich Beitz so gewünscht. Trotz Crommes Todesurteil für Rheinhausen Ende der 80er Jahre hat sich die Krupp- und später die Thyssen- Krupp-Führung meistens um Rücksicht auf die Belange der Arbeitnehmer bemüht. Bis heute.
Der Konzern beschäftigt inzwischen 180 000 Menschen in aller Welt und kommt auf einen Umsatz von rund 45 Milliarden Euro. Bei Weitem nicht nur mit Stahl, doch mit Stahl verbinden viele den Konzern aus dem Ruhrgebiet. Das soll sich ändern unter der Führung des neuen Vorstandsvorsitzenden Heinrich Hiesinger, der im Januar Ekkehard Schulz ablöste. Wenige Monate später setzte Hiesinger ein kräftiges Zeichen: Nicht sonderlich rentable oder nicht zum Kerngeschäft zählende Sparten mit 35 000 Beschäftigten und zehn Milliarden Euro Umsatz werden verkauft. Mit den Erlösen soll die enorme Schuldenlast von 6,5 Milliarden Euro abgetragen werden. Und Hiesinger, der von Siemens kam, will in Technologien investieren und nach und nach das Gewicht des Stahls reduzieren. Das alles, wie es sich für Thyssen-Krupp gehört, ohne Kündigungen und unter Beteiligung der Betriebsräte.
Unter Friedrich Alfred Krupp, dem einzigen Sohn des 1887 verstorbenen Alfred, erweitert der Konzern seine Geschäfte auf den Anlage- und den Schiffbau. 1897 wird ein Hüttenwerk in Rheinhausen gebaut – hier, wo 90 Jahre später die Ruhr brennt, als Cromme den Standort schließen will. Bertha Krupp erbt den Konzern nach dem Tod ihres Vaters Friedrich Alfred 1902. In den nächsten Jahrzehnten werden unter anderem nichtrostende Stähle entwickelt – und die Produktion von Rüstungsgütern wird enorm hochgefahren. Auch mithilfe von zigtausenden Zwangsarbeitern. Hitler spricht von der „Waffenschmiede des Reiches“.
Berthas Sohn Alfried übernimmt den (Rüstungs-)Konzern 1943 – und hat 1945 alle Mühe, nach Zerstörungen, Demontagen und dem Ende der Rüstungsproduktion neue Geschäftsfelder zu besetzen. Dann wird Alfried als Kriegsverbrecher verurteilt und muss von 1945 bis 1951 ins Landsberger Kriegsverbrechergefängnis.
1953 holt er aus Hamburg Berthold Beitz von der Iduna-Germania-Versicherung als Generalbevollmächtigten nach Essen. Eine glückliche Wahl, denn Beitz, der sich in den Nazi-Jahren überaus anständig verhielt und auch unter hohem Risiko Juden schützte, hilft Krupp bei der Rückkehr in eine zivile industrielle Welt.
Alfried stirbt 1967, und da sein Sohn Arndt als „letzter Krupp“ auf das Erbe verzichtet, übernimmt die Alfried Krupp von Bohlen und Halbach Stiftung das Unternehmen. Damit ist Stiftungschef Beitz der entscheidende Mann. Er überzeugt Mitte der 70er Jahren den Iran von einer gut 25 Prozent großen Beteiligung an Krupp, weil die Firma Geld braucht. Er billigt die Übernahme des Dortmunder Konkurrenten Hoesch Anfang der 90er Jahre, und er bastelt mit am Zusammenschluss zu Thyssen-Krupp Ende der 90er. Heute macht Beitz trotz seiner 98 Jahre nicht den Eindruck, als wolle er schon bald an der Spitze der Stiftung, die noch mit gut 25 Prozent eine Sperrminorität am Konzern hält, Platz für Cromme machen.
Beitz hat immer Wert gelegt auf die Vorzüge eines Mischkonzerns: Wenn es einem Bereich mal schlecht geht, gleicht das ein anderer aus, so dass im Ergebnis die Stiftung immer mit einer Ausschüttung rechnen konnte. Die ist auch im Jubiläumsjahr nicht in Gefahr. Trotz der zwei Großbaustellen in den USA und in Brasilien. Rund acht Milliarden Euro haben die beiden Stahlwerke gekostet – ein paar Milliarden mehr als geplant. Und dann tauchten auch noch in der vor gut einem Jahr begonnenen Hochlaufphase immer neue Probleme auf. Womöglich wird Beitz seinen 100. Geburtstag feiern, bevor die beiden riesigen Anlagen endlich reibungslos laufen.
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