Neun Wirtschaftssenatoren in 26 Jahren: Ein Berliner Posten zwischen vielen Stühlen
Als Wirtschaftssenator in Berlin hat man viel Spielraum - und riskiert permanent Streit. Wer erinnert sich an Peter Mitzscherling? Erinnerungen an neun Persönlichkeiten.
Neun Senatoren in 26 Jahren seit der Deutschen Einheit – offenbar ist der Job des Berliner Wirtschaftssenators aufreibend. Oder gefährlich. Dabei wird die Statistik auch noch verfälscht von Harald Wolf, der allein gut neun Jahre im Amt war. Ausgerechnet ein Politiker der Linken kommt auf die meisten Dienstjahre im Senatorenamt seit dem Fall der Mauer. Das muss nicht zwingend mit der Qualifikation zusammenhängen. Vielleicht aber doch auch. In der Wirtschaft war der Linke jedenfalls überraschend beliebt.
Als die Mauer fiel, war Peter Mitzscherling im rot-grünen Senat von Walter Momper für die Wirtschaft zuständig. Der Sachse, 1926 in Löbau geboren, Diplomkaufmann und promovierter Politologe, verstand etwas von Wirtschaft. Als langjähriger Abteilungsleiter beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) war der makroökonomische Sachverstand gewissermaßen berufsbedingt vorhanden. Der feine, ruhige und fachkundige Herr erlebte den Fall der Mauer – und bald darauf das Scheitern des rot-grünen Senats Ende 1990. In der folgenden Regierung unter Eberhard Diepgen verantwortete dann sein SPD-Parteikollege Norbert Meisner das Wirtschaftsressort. Mitzscherling verstarb Ende 1996.
Norbert Meisner, 1942 in Berlin geboren, ist promovierter Theologe. Nachdem er im rot-grünen Senat als Finanzsenator fungiert hatte, übernahm er in der schwarz-roten Landesregierung Anfang 1991 das Amt des Senators für Wirtschaft und Technologie. In jenen Jahren ist viel von Boomtown die Rede, von der Dienstleistungsmetropole Berlin und der Ost- West-Drehscheibe. Da ist viel Wunschdenken im Spiel. Und es lenkt ab von einer dramatischen Entwicklung: Die Industrie sackt nicht nur im Ostteil, sondern auch im Westen in die Knie.
Rund 200 000 Industriearbeitsplätze gehen verloren. Meisner versucht zu retten, was nicht zu retten ist, als er große Industrieflächen für eine Nutzung allein durch Industriebetriebe sichert und so den Verdrängungsdruck zu mindern versucht. Den Zusammenbruch der Kombinate im Ostteil und das Ende der verlängerten Werkbänke im Westteil der Stadt, die nach dem Auslaufen der Berlinförderung aufgegeben werden, kann der Wirtschaftssenator nicht verhindern.
Anstelle des eher melancholischen Meisners tritt 1996 Elmar Pieroth, eine umtriebige Frohnatur. Der Pfälzer Volkswirt und Weinanbauer verkörpert das Grundprinzip des Wirtschaftspolitikers: gute Laune machen und Optimismus verbreiten, dabei immer ansprechbar für die Belange der Unternehmen. Pieroth ist ein alter Hase in dem Job, in den 1980er Jahren war der CDU-Politiker eine Legislaturperiode Senator für Wirtschaft und Verkehr und eine weitere für Wirtschaft und Arbeit. Es waren schöne Jahre, das Geld kam aus Bonn, und mit Berlinhilfe und Berlinförderung konnten sowohl Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber in West- Berlin gut leben. Im Diepgen-Senat von 1991 bis 1996 amtierte Pieroth als Finanzsenator – und konnte ebenso wenig wie Diepgen selbst gegenüber Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und Finanzminister Theo Waigel (CSU) den schnellen Abbau der Förderung für Berlin verhindern. Unter den Folgen hatte er dann auch als Wirtschaftssenator (bis 1998) zu leiden. Die letzten Jahre im Senatorenamt waren eher von Müdigkeit geprägt.
Pieroths Staatssekretär Wolfgang Branoner, ebenfalls CDU, nimmt Ende 1998 und bis Mitte 2001 auf dessen Senatorenstuhl Platz. Branoner hat Spaß am Amt, weiß aber nicht so recht, was er machen soll. In jenen Jahren wird eifrig privatisiert, unter anderem die Wasserbetriebe, was im Ergebnis zu höheren Preisen führt und die Wirtschaft belastet. Branoner befördert immerhin die Fusion der landeseigenen Wirtschaftsfördergesellschaft mit der Berliner Absatzorganisation (BAO) der IHK.
Im Sommer 2001 wird Juliane von Friesen, frühere Personalreferentin beim Industrieunternehmen Otis, auf dem Ticket der Grünen (der „Alternativen Liste für Demokratie und Umweltschutz“) Wirtschaftssenatorin. In der Wirtschaft erzählt man sich noch heute, dass sie jeden Morgen beim IHK-Präsidenten Werner Gegenbauer anrief, um sich einen Tagesbefehl zu holen. Womöglich tat man sich in der Kammer auch einfach nur schwer mit der ersten Frau auf dem Posten. Weitere sollten folgen. So oder so: Dieses Missverständnis endet acht Monate später, im Februar 2002.
Als Klaus Wowereit damals einen rot- roten Senat bilden will, fragt er einen guten Bekannten, was der davon hält: Werner Gegenbauer. Der hat prinzipiell keine Einwände („Nicht der Untergang des Abendlandes“), rät aber dazu, Gregor Gysi als Frontmann der Linken in die Regierung zu berufen. So wird Gysi im Februar 2002 Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen. Als Staatssekretär bekommt er den besten Mann Gegenbauers, den IHK-Geschäftsführer Volkmar Strauch, einen Sozialdemokraten, zur Seite gestellt. Doch Aktenfressen und Verwaltungsgedöns ist nicht Gysis Sache. Eine kleine Miles-and- More-Affäre nutzt der Politiker im Juli desselben Jahres zum Ausstieg aus dem Amt.
Von August 2002 bis November 2011 sitzt Harald Wolf im holzgetäfelten Senatorenzimmer an der Martin-Luther-Straße, ein paar Meter neben dem Rathaus Schöneberg. Der Politologe aus Offenbach hat Elan. Er bemüht sich um Bürokratieabbau, entdeckt die Bedeutung der Industrie und treibt die Fusion der Wirtschaftsförderinstitutionen voran. Wolf bemüht sich um die Zusammenarbeit mit Brandenburg, nicht zuletzt bei der Ausformulierung der länderübergreifenden Clusterpolitik, mit der die Wirtschaftsförderung den Fokus auf eine Handvoll Branchen legt, die in der Region besonders stark sind. 2011 wird die gemeinsame Innovationsstrategie der Länder Berlin und Brandenburg beschlossen. Unter Wolf entwickeln in Berlin Arbeitgeber, Gewerkschaften und Politik einen Masterplan für die Industrie, dazu wird im Senat ein entsprechender, verwaltungsübergreifender Steuerungskreis gebildet. Kurzum: Mit Wolfs Hilfe wird die Industriestadt Berlin wiederentdeckt.
Bei Wolfs Nachfolgerin Sybille von Obernitz spielt wieder die IHK eine Rolle. Im rot-schwarzen Senat sollen viele Frauen sitzen – und CDU-Chef Frank Henkel sucht eine für die Wirtschaftsverwaltung. Die Kollegen in der IHK empfehlen Obernitz, die einst als persönliche Referentin für Gegenbauer gearbeitet hat und nun beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag für Bildungspolitik zuständig ist.
Die unerfahrene Obernitz legt sich mit dem Establishment der Messe Berlin an, und dazu gehören mit allen Wassern gewaschene Wirtschaftsvertreter aus Bereichen wie Agrar (Grüne Woche), Tourismus (ITB) oder Funkausstellung. CDU-Chef Henkel zieht die Reißlinie, Obernitz tritt im Spätsommer 2012 nach rund zehn Monaten zurück. Mittlerweile führt sie als Hauptgeschäftsführerin die IHK Kassel-Marburg.
Auf Obernitz folgte 2012 wieder eine Überraschung – aber diesmal hatte Henkel die Kammer nicht gefragt. Er nominierte eine Parteifreundin, die niemand auf dem Zettel hatte: Cornelia Yzer, die damals 51-jährige oberste Lobbyistin der Pharmaindustrie. Die Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa) verfügte über viel politische Erfahrung – als Bundestagsabgeordnete und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Frauen und Jugend. Auch Yzer zeigte manchem Funktionär die kalte Schulter, knüpfte lieber direkt Kontakte mit ansiedelungswilligen Unternehmen und mit Vertretern der Gründerszene. Yzer will dem nächsten Senat nicht angehören. Wohin sie geht, verriet sie bisher nicht.
Welcher Partei Yzers Nachfolgerin oder Nachfolger stellt, entscheiden die Berliner am heutigen 18. September.
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