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Der Tag der Pleite: Am 15. September 2008 musste Lehman Brothers Insolvenz anmelden.
© dpa

Bankensystem: Drei Jahre danach - Erinnerungen an Lehman

Am 15. September 2008 musste die US-Investmentbank Lehman Brothers Insolvenz beantragen. Drei Jahre nach der Pleite ist das Finanzsystem kaum stabiler geworden, wie die jüngste Vergangenheit zeigt.

„Keine Bank darf so groß werden, dass sie die Regierung erpressen kann.“ Das Zitat stammt von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Vor ungefähr zwei Jahren hat sie das gesagt, auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise, ein Jahr nach der Pleite von Lehman Brothers. Der Zusammenbruch der amerikanischen Investmentbank, die so klein war, dass sie vorher kaum jemand kannte, aber so stark vernetzt, dass sie die Weltwirtschaft an den Rand des Abgrunds brachte, jährt sich heute zum dritten Mal. Und es sieht nicht danach aus, als hätte die Politik die Kontrolle über die Finanzen wiedergewonnen. Im Gegenteil. Nicht nur Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann fühlt sich angesichts der aktuellen Turbulenzen an den Märkten an den Herbst 2008 erinnert.

Die Welt zittert, weil ein kleines Land am Rande von Europa seine Schulden nicht in den Griff bekommt. Griechenland trägt nur zwei Prozent zur Wirtschaftsleistung der EU bei. Seine Pleite aber könnte die Gemeinschaft weit mehr kosten. Wenn das Land seine Schulden nicht zurückzahlt, würden auch die griechischen Banken pleitegehen, die die meisten Staatsanleihen ihrer Regierung gekauft haben. Betroffen wären aber auch die französischen Institute, die den Griechen, ihren Banken und ihren Unternehmen viel Geld geliehen haben. Am Mittwoch stufte die Ratingagentur Moody’s die Kreditwürdigkeit von zwei französischen Banken herab. Eine dritte steht unter Beobachtung.

Der Grund dafür sind nicht nur die Außenstände der Franzosen in Griechenland, sondern auch die Kredite, die sie in anderen Schuldenländern wie Spanien, Italien oder Portugal vergeben haben. Denn sollten die Europäer Griechenland pleitegehen lassen, könnte es den anderen bald genauso gehen. Die Investoren spekulieren bereits auf dieses Szenario: Als der FDP-Chef Philipp Rösler am vergangenen Montag laut über eine mögliche Insolenz Griechenlands nachdachte, stiegen weltweit auch die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen.

Nicht viel gelernt. Ex-Lehman-Boss Richard Fuld vor dem US-Kongress.
Nicht viel gelernt. Ex-Lehman-Boss Richard Fuld vor dem US-Kongress.
© AFP

Auch die deutschen Geldinstitute könnten in den Strudel hineingeraten. Die Deutsche Bank etwa ist stark in Spanien engagiert. Eine Ausweitung der Euro-Schuldenkrise hätte nach Ansicht der Ratingagentur Standard & Poor’s für die deutschen Institute gravierende Folgen. „Ein potenzieller Vertrauensverlust im Falle einer Ausbreitung der Krise könnte wie schon nach Lehman einen Unterstützungsbedarf auslösen“, sagte Finanzexperte Stefan Best der Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch. Normalerweise leihen sich Banken ständig Geld bei anderen Banken. Weil aber derzeit niemand so genau weiß, wie viele Risiken die anderen in ihren Büchern haben, ist der Interbankenmarkt ins Stocken geraten. Auch das erinnert an die Krise von 2008. Nach der Lehman-Pleite war vielen Banken der Zugang zum Kapitalmarkt verschlossen. Ohne die Hilfe der Staaten wären noch mehr Institute pleitegegangen – mit noch verheerenderen Folgen für Realwirtschaft und Arbeitsplätze. Die Rettung der Banken aber hat, genauso wie die Konjunkturpakete, die Staatsschulden in schwindelerregende Höhen getrieben.

Die Politik hat darauf bislang erstaunlich gelassen reagiert. Ein Bankenrestrukturierungsgesetz, das dafür sorgen soll, dass der Steuerzahler nicht mehr für gescheiterte Institute einspringen muss, will die EU-Kommission erst im Herbst vorlegen. Große Banken müssen zwar demnächst mehr Eigenkapital vorhalten, können sich aber darauf verlassen, gerettet zu werden, wenn sie sich verspekulieren. Für Staaten gibt es überhaupt keine Insolvenzordnung. Abhilfe soll ab 2013 der Euro-Rettungsschirm ESM schaffen, der auch eine Beteiligung der privaten Gläubiger im Fall einer Staatspleite vorsieht. Ob das entsprechende Gesetz alle Parlamente der 17 Euro-Staaten passiert, steht aber in den Sternen. Dasselbe gilt für die Finanztransaktionssteuer, mit der die Branche an den Kosten der Krise beteiligt werden sollte.

Eine Alternative wäre die Herausgabe gemeinsamer Euro-Anleihen. Dabei würden starke Länder für die Schwachen mithaften. Weil Deutschland auf dem Kapitalmarkt so viel Vertrauen genießt, so die Hoffnung, könnten auch die Zinsen für die anderen sinken. Das würde den Regierungen Luft verschaffen, ihre Länder zu reformieren. Die Deutschen, wenden Kritiker ein, müssten dann vielleicht höhere Zinsen in Kauf nehmen und würden für die Schulden der anderen zahlen. „Die EU-Kommission wird Optionen vorbereiten für die Einführung von Eurobonds“, kündigte Kommissionspräsident José Manuel Barroso am Mittwoch an.

Die Politik wird nicht darum herumkommen: Sie muss noch mehr Geld aufwenden, um Griechenland und die anderen Schuldenstaaten zu unterstützen – oder sie muss wieder ihre eigenen Banken retten. Man kann das Erpressung nennen. Wohlgemerkt, selbstverschuldet.

Miriam Schröder, Christopher Ziedler

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