Europäische Zentralbank fällt historische Entscheidung: "Draghi schießt aus allen Rohren"
Die Europäische Zentralbank pumpt neue Milliarden in das Finanzsystem. Sie will Banken mit Strafzinsen zur Kreditvergabe zwingen. Zusätzlich verleiht sie selbst mehr Geld - und macht es damit so billig wie nie zuvor im Euro-Raum.
Es ist eine historische Entscheidung: Die Europäische Zentralbank (EZB) senkt nicht nur die Leitzinsen auf ein Rekordtief, sie führt auch Strafzinsen für Banken ein und will noch mehr billiges Geld in Umlauf bringen. Die Notenbank reagierte am Donnerstag auf die zuletzt extrem niedrige Inflation im Euroraum und senkte ihren Leitzins von 0,25 Prozent auf das Rekordtief von 0,15 Prozent. Gleichzeitig beschloss der EZB-Rat, erstmals einen Strafzins von minus 0,10 Prozent für Bankeinlagen zu erheben. Zusätzlich will die Europäische Zentralbank (EZB) Kreditvergabe an Unternehmen in der Eurozone mit einer Reihe von Maßnahmen ankurbeln. Darunter sind zwei Notenbankkredite mit vierjähriger Laufzeit für Banken in der Eurozone, wie EZB-Präsident Mario Draghi am Donnerstag in Frankfurt am Main sagte. Außerdem werde die EZB die Banken noch bis Ende 2016 unbeschränkt kurzfristig mit Liquidität versorgen.
Die EZB will die Kreditvergabe ankurbeln
"Das ist ein sehr bedeutsames Maßnahmenpaket", urteilte Draghi auf der Pressekonferenz am Nachtmittag. Nach monatelangem Zögern machen die Währungshüter damit im Kampf gegen den gefährlich niedrigen Preisauftrieb ernst. Niedrige Zinsen verbilligen tendenziell Kredite und Investitionen und kurbeln so die Wirtschaft an. Das stärkt in der Regel den Preisauftrieb. Auch der negative Einlagenzins soll die Inflation antreiben: Indem er den Euro schwächt und so Importe verteuert. Zudem will die EZB mit dem Schritt die schwache Kreditvergabe im Euroraum ankurbeln. Banken sollen überschüssige Liquidität nicht mehr bei der EZB parken, sondern das Geld in Form von Krediten an Verbraucher und Unternehmen weiterreichen. Diese könnten investieren und so die Konjunktur in Gang bringen. Neu ist die Idee allerdings nicht - der Sozialwissenschaftler Silvio Gesell hatte bereits vor etwa 100 Jahren befunden, dass Geld nur dann produktiv sei, wenn es zirkuliere. Die Idee eines Strafzinses auf Einlagen geht auf ihn zurück.
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Unmittelbar nach der Zinsentscheidung übersprang der Dax die Marke von 10000 Punkten. Doch der negative Einlagenzins ist umstritten: Ökonomen befürchten, dass die Banken die Strafgebühr auf ihre Kunden abwälzen könnten.
Johannes Mayr von der BayernLB erwartet bestenfalls einen minimalen Effekt des Strafzinses. Viele betroffene Banken dürften die überschussige Liquidität, die sie vor allem aus Vorsichtsmotiven hielten, bei leicht negativen Einlagezinsen kaum verringern: „Die befürchteten negativen Effekte auf Haushalte und Unternehmen in Form von negativen Spar- und Einlagezinsen oder einem Anstieg der Kreditzinsen dürften somit gering bleiben“, erklärt Mayr.
Des weiteren erklärte EZB-Chef Draghi, man wolle die die Kreditvergabe an Unternehmen in der Eurozone mit einer Reihe von Maßnahmen ankurbeln. Darunter sind zwei Notenbankkredite mit vierjähriger Laufzeit für Banken in der Eurozone. Sie sollen ein Volumen von bis zu 400 Milliarden Euro haben. Daran geknüpft sei die Bedingung, dass das Geld an Unternehmen aus der Realwirtschaft verliehen werde. Außerdem werde die EZB die Banken noch bis Ende 2016 unbeschränkt kurzfristig mit Liquidität versorgen. In Vorbereitung ist ein Programm zum Aufkauf von verbrieften Unternehmenskrediten. Die sogenannten forderungsbesicherten Wertpapiere (ABS) sind Bündel aus einer Vielzahl von Krediten, die zu Wertpapieren zusammengefasst und an Investoren verkauft werden.
"Draghi schießt aus allen Rohren", kommentierte ein Geldhändler. "Das ist mehr als die 'Dicke Bertha'. Es muss verdammt schlimm um die Euro-Zone stehen, wenn so viel Geld reingepumpt werden muss."
Im Mai war die Teuerung auf 0,5 Prozent gesunken
Im Mai war die Jahresteuerung im Euroraum wieder auf 0,5 Prozent gesunken. Sie liegt damit deutlich unterhalb der Zielmarke der EZB von knapp unter 2,0 Prozent. „Wir werden nicht zulassen, dass die Inflation zu lange auf zu niedrigem Niveau bleibt“, hatte Draghi erst in der vergangenen Woche bei einer EZB-Konferenz im portugiesischen Sintra klargestellt. Denn der geringe Preisauftrieb schürt Sorgen vor einer Deflation, also einer Abwärtsspirale der Preise quer durch alle Warengruppen. Unternehmen und Verbraucher könnten dann Investitionen und Anschaffungen in Erwartung weiter sinkender Preise hinauszögern. Das würde die ohnehin fragile Konjunkturerholung in Europa abwürgen. Gerade in Deutschland ist die lockere Geldpolitik der Währungshüter umstritten, zumal sie eher symbolisch wirken dürfte. Denn schon bisher waren die Leitzinsen extrem niedrig, doch das billige Geld kommt bei den Unternehmen in den südlichen Krisenländern nicht an.
Die EZB deutete an, dass sie noch über weitere Möglichkeiten zur Belebung der Kreditvergabe nachdenkt. "Sind wir schon am Ende? Nein", sagte Draghi. "Wir sind hiermit nicht am Ende, solange wir uns im Rahmen unseres Mandates bewegen.“
Draghi ging auch auf den Vorwurf ein, die EZB kümmere sich nicht um die Belange von Sparern und Anlegern. Er betonte aber, die Notenbank sei nicht verantwortlich dafür, welche Zinsen Banken ihren Kunden zahlten. „Die Zinssätze, die wir festlegen, gelten für Banken, nicht für die Menschen.“ Er betonte: „Die Behauptung, wir wollten Sparer enteignen, ist völlig falsch.“ Die EZB wolle genau das Gegenteil erreichen, nämlich das Wirtschaftswachstum zu unterstützen. Dann werde auch das Zinsniveau wieder anziehen. (mit dpa)