Auch Wertpapierankäufe möglich: Draghi: EZB notfalls mit allen Mitteln gegen Mini-Inflation
Die Europäische Zentralbank steht womöglich kurz vor dem Einsatz noch schwererer Geschütze. EZB-Chef Mario Draghi signalisierte am Donnerstag Bereitschaft, eine für die Konjunktur gefährliche Deflationsspirale auch mit ungewöhnlichen Mitteln zu verhindern.
Europas Währungshüter wollen sich notfalls mit allen Mitteln gegen eine anhaltend niedrige Inflation stemmen. „Der EZB-Rat ist sich einig, dass die EZB gegebenenfalls auch weitere unkonventionelle Maßnahmen im Rahmen ihres Mandats einsetzt wird, um die Risiken einer zu langen Periode niedriger Inflationsraten in den Griff zu bekommen“, sagte der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, am Donnerstag in Frankfurt. Draghi betonte, der EZB-Rat sehe trotz der zuletzt extrem niedrigen Teuerungsrate im Euroraum von 0,5 Prozent im März derzeit weiterhin nicht die Gefahr einer Deflation - also einem Preisverfall auf breiter Front, der die Konjunktur abwürgen könnte.
Auch Wertpapierkäufe in großem Stil, mit denen die Geldmenge aufgebläht werden könnte, seien denkbar, erklärte Draghi. Der Euro fiel daraufhin deutlich auf fast 1,37 Dollar. Ein solcher Schritt sei im EZB-Rat ebenso diskutiert worden wie auch eine mögliche Zinssenkung, so Draghi. Nicht einig gewesen seien sich die Notenbanker darin, ob der Rückgang der Inflation im März auf nur noch 0,5 Prozent zeitlich begrenzt sei oder das Bild grundsätzlich geändert habe. “Bleibt die Teuerungsrate im April bei 0,5 Prozent, dürfte die EZB nachlegen - und dann nicht nur mit Worten“, sagte Holger Sandte, Chef-Analyst der Nordea Bank in Kopenhagen. Wegen der niedrigen Teuerungsrate im Euro-Raum hatten manche Ökonomen und auch der Internationale Währungsfonds (IWF) in den vergangenen Tagen eine weitere Zinssenkung gefordert, um eine ruinöse Abwärtsspirale von Löhnen, Preisen, dem Konsum und Investitionen abzuwehren. Niedrigere Zinsen beleben tendenziell die Konjunktur und können so indirekt zu steigenden Preisen führen. Das Gros der Experten hatte damit gerechnet, dass die EZB dieses Mal noch still hält, weil die niedrige Teuerung hauptsächlich auf den Rückgang von Lebensmittel- und Energiepreisen zurückgeht. Draghi schloss sich dieser Denkweise an. “Wir sehen nicht, dass das Risiko einer Deflation gestiegen ist.“ Der Einsatz von Wertpapierkäufen sei vor allem deshalb erwogen worden, weil mit zunehmender Dauer einer niedrigen Inflation die Wahrscheinlichkeit steige, dass Verbraucher und Unternehmen das Vertrauen in die Stabilität des Euro verlören. “Das ist der Grund, warum wir über 'Quantitative Easing' diskutiert haben“, sagte Draghi. “Quantitative Easing“ ist der Fachausdruck der Notenbanker für Wertpapierkäufe mit dem Ziel, die Teuerung künstlich anzuheizen. Zu diesem Mittel haben in den vergangenen Jahren bereits die Zentralbanken in den USA, Großbritannien und Japan gegriffen, um die Wirtschaft anzukurbeln - teilweise mit guten Erfolgen. In Deutschland ist dieses Werkzeug allerdings wegen möglicher Risiken und Nebenwirkungen verpönt. Es wird befürchtet, dass dadurch die Inflation kräftig angeheizt wird.
Allerdings hatte Bundesbank-Chef Jens Weidmann zuletzt seine Bereitschaft angedeutet, im Fall der Fälle auch eine solche Form der Geldpolitik im EZB-Rat mitzutragen. Er hatte zudem erklärt, auch ein Strafzins für Banken sei denkbar, um diese dazu zu bewegen, mehr Geld als Kredite an Firmen und Haushalte zu vergeben - anstatt es bei der EZB zu parken.
Draghi sagte, über einen solchen Strafzins sei eingehend diskutiert worden. Wie Weidmann zeigte er sich grundsätzlich offen für den Ankauf von privaten Wertpapieren anstatt von Staatsanleihen wie beim klassischen “Quantitative Easing“.
Durch den Erwerb von Verbriefungen oder Bank-Anleihen könnte die EZB versuchen, die Banken zur Kreditvergabe zu ermuntern. Analysten zeigten sich überrascht von den deutlichen Worten Draghis: “Er hat wiederholt betont, dass man notfalls sehr schnell handeln werde. Ich denke, es dürfte was passieren, wenn die Inflationsrate - anders als erwartet - bald nicht steigt“, sagte Michael Schubert, der für die Commerzbank seit vielen Jahren die Geldpolitik der EZB analysiert. Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin, gab sich enttäuscht, dass Draghi den Worten keine Taten folgen ließ: “Die Entscheidung ist gefährlich, da sich die Erwartungen einer Deflation in den Finanzmärkten und bei den Unternehmen immer weiter verfestigen.“ (dpa, Reuters)